Die Panik vor der KI
Es war eine Art „ChatGpT-Schock“ – die Panik war riesig! Künstliche Intelligenz bedroht unser aller Zukunft – zumindest die berufliche von Menschen, die sich bislang vor Rationalisierung und Digitalisierung sicher glaubten: Menschen mit kreativen, planenden oder leitenden Tätigkeiten. In Hollywood treibt die Angst überflüssig zu werden, Drehbuchautorinnen und Schauspielerinnen in den Streik.
Mittlerweile hat sich die Aufregung etwas gelegt. Wir glauben, KI besser zu verstehen, und das Ungeheuer schrumpft auf beinahe menschliches Maß: Künstliche Intelligenz kombiniert lediglich bereits Vorhandenes nach statistischen Kriterien neu. Dabei erweist sich der Scheinriese als erstaunlich fehlbar. So gelingt es zum Beispiel KI-basierten Bildgeneratoren nur sehr mangelhaft menschliche Hände zu „zeichnen“. Auch stellt sich die Künstliche Intelligenz überraschend dumm an, wenn es darum geht, einfachste Muster zu erkennen, die selbst Kleinkinder mühelos durchschauen (siehe untere Abbildung). Diese Fehlleistungen liegen vor allem daran, dass KI nicht wie wir Menschen „denkt“. Ihr genügt es, das Material, mit dem sie gefüttert wurde, mit nach statistischen Wahrscheinlichkeiten neu anzuordnen. Zu echter Innovation fehlen ihr die Möglichkeiten und auch das „Interesse“. Eine derart uninspirierte Rechenleistung zeigte sich letztes Jahr im Oktober, bei Aufführung der 10. der „unvollendeten“ Symphonie Ludwig van Beethovens. Zwei Jahre lang wurde die KI mit Werken des Meisters und anderer zeitgenössischer Komponisten trainiert. Das Ergebnis fiel für viele Kritikerinnen recht ernüchternd aus: Zwar klang es nach Beethoven, insgesamt aber vermochte das überraschungsarme Werk nicht, die Hörerschaft zu berühren.
Bleibt also das menschliche Vorrecht auf echte Kreativität unangetastet? Bedarf es also doch (noch) einer menschlichen Künstlerin, um Kunst zu erschaffen? Immerhin war jahrzehntelang vom „Tod des Autoren“ (resp. des Künstlers) die Rede. Ein Kunstwerk entstehe in erster Linie während und durch seinen Konsum? Sicher, das meiste in der Welt der menschengemachten Kunst besteht ebenfalls nur aus der Variation und Neuanordnung immer gleicher Versatzstücke. Und wir geben uns allzu oft mit Kulturprodukten aus der Retorte zufrieden, häufig genug genügt uns schematische Massenware. Möglicherweise liegt sogar gerade im Konsum einer Simulation eines menschlichen Kulturprodukts ein besonderer Reiz – anders ließe sich der Erfolg von Avatare im K-Pop kaum erklären.
Immer wieder aber haben auch Brüche und Innovationen die Musik- und die Kunstgeschichte vorangetrieben. Damit reagierten Künstlerinnen auf sich wandelnde Lebensumstände und Bedürfnisse der Konsumentinnen. Für die Reproduktion von erprobten und bewerten Kulturprodukten also mag der Produzent „Künstliche Intelligenz“ genügen. Etwas Irritierendes oder verstörendes jedoch dürfte KI-generierte Kunst, aufgrund der Art seiner Entstehung kaum hervorrufen. Einem modernen, emphatischen Kunstbegriff würde das nicht genügen.
Ein romantischer Gedanke: Damit uns ein Kunstwerk berührt, bedarf es der Grundannahme, dass durch dieses Gemälde, durch jenen Song jemand zu uns spricht; da teilt jemand seine Ängste, Freunde, Wut oder Sehnsüchte mit uns – jemand der uns versteht, weil auch er (oder sie) ein Mensch ist. Kunst und Kultur sozusagen als zwischenmenschliches Verständigungsmedium. Vielleicht aber ist diese Behauptung, dass erst die Vorstellung eines menschlichen Absenders einem Kulturprodukt Relevanz verleiht, auch nur ein weiterer Reflex gegen fortlaufende narzisstische Kränkungen. Ein weiteres Gefecht Kampf im Rückzugskampf der Spezies Mensch um seine Einzigartigkeit.
In der Vormoderne stand es einem ambitionierten Kunstwerk gut an, seine Herkunft zu verschleiern. Es war nicht vorrangige das Anliegen der Kunstschaffenden, die menschliche Urheberschaft hervorzuheben. Weniger die Handschrift eines Menschen sollte durch das Werk scheinen; im Idealfall gelang es, einen göttlicher Ursprung zu simulieren. Gerade das überirdische (scheinbar übermenschliche) an einer Kantate Bachs überwältigt die Hörerinnen. Zwar war die Autorenschaft eines Menschen auch hier nicht zu leugnen, aber das menschliche Genie sollte idealerweise einen göttlichen Funken empfangen haben, wenigstens von den Musen geküsst worden sein.
Heute stehen wir  staunend vor dem KI-Kunstwerk, und begreifen nicht, wie es entstehen konnte, der genaue Produktionsprozess bleibt eine Blackbox. Jede erneute Eingabe der selben Promts bringt ein anderes Ergebnis, erzeugt ein neues Unikat. Diese Undurchschaubarkeit und Verselbstständigung der von Menschenhand geschaffenen Maschine führt uns zurück zu den religiösen Wurzeln der Kunst. Wir erschaffen mit der KI einen Fetisch, und bewundern ihn für seine Wirkmächtigkeit, seine Produktivität. Die Menschen drohen von ihrem eigenen Geschöpf deklassiert zu werden. Genau hier liegt vermutlich fortan ein wichtiges Themengebiet für menschliches Kunstschaffen. Das Spannungsverhältnis von Mensch, KI und Kunst wirft Fragen auf, die zu formulieren eine KI nicht in der Lage wäre – die sich gleichwohl mit ihr bearbeiten ließen. Es bleibt spannend!