Ali Boelzen: Lila-weiße Frühlingsgefühle am herbstlichen Pokalabend

Es war ein toller Pokalfight, den die Lilahemden am Dienstag boten. Leider war für die VfLer aber nur die Rolle der tragischen Helden vorgesehen, obwohl sie mit ihrer brückenwürdigen Moral ein Weiterkommen im Pokal mehr als verdient gehabt hätten. Genauso wie das Publikum, das die Kultstätte des Osnabrücker Fußballs beseelte und sich den atmosphärischen Assist zum Ausgleich in der 97. Minute verdiente.

Die 120 Minuten plus Elfmeterschießen waren ein Spiel, in dem sich wie in einem Zeitraffer all das zeigte, was die bisherige Saison ausmachte – im Positiven wie im Negativen. Ein Traumtor, Vollgasfußball der alten Kloppo-DNA, eine gute Spielorganisation, ein Standardtor, aber auch ein plötzliches Chancentod-Syndrom im gegnerischen Strafraum, eine haarsträubende Beihilfe zum Gegentor, ein ungewolltes Betteln nach gelben Karten und Elfmeterschwächen. Genie und Wahnsinn wechselten sich ab – insbesondere Pippo Kühn vereinte beide Seiten in einer Person. Als gegnerischer Fan hätte ich solche Torhüter gehasst, die beim Elfmeterschießen Psychospiele aufführen, als wären sie die Ballschnapper-Inkarnation eines Klaus Kinskis.

Foul an Marc Heider – Foto: Revierfoto

Auch wenn der VfL ausschied, sehe ich in dem Spiel viel Potenzial für Heldengeschichten, die anders als am Dienstag ein Happy End haben werden. Sollte der VfL im Mai 2022 aufsteigen, wird es Klaas gewesen sein, der in engen Spielen den Unterschied ausmachte. An dieser Stelle könnte ich wieder in ein Spielerberatergeseier verfallen, aber aus Rücksicht auf einen prominenten VfL-Fan in Istanbul verzichte ich darauf, über mögliche Bundesligavereine zu spekulieren, bei denen Klaas heute ohne seine Verletzungshistorie spielen könnte. Stattdessen schließe ich mich der Forderung des Oldschool-TPs auf lilaweiss.net an, dass Klaas immer spielen sollte, und zwar auf der Zehn.

Hoffnung macht auch, dass Schernings Einwechselungen am Dienstag sehr wirksam waren – womit seine Eingriffe an die „Thioun’sche Magie“ erinnerten. So erzielten Gugga und Klaas die Tore – während Wooten das Spiel belebte, und das auf eine Art und Weise, die mich veranlasste, eine gegenwärtige Zukunft zu entwerfen, in der unser Neuner eine bessere Rolle spielen kann als vor dem Pokalspiel. Auch Simakala setzte positive Akzente – bis zu seinem Aussetzer, der in seiner Konsequenz zwar nicht hilfreich, aber auch nicht spielentscheidend war.

Foto: Revierfoto

Nach dramatischen Niederlagen ist Alkohol keine Lösung, aber vielleicht Fußballpathos. So überkamen mich in der Verarbeitung des Geschehens die folgenden schwurbeligen Gedanken.

Die gefühlige Lehre aus dem brutalstmöglichen Verpassen der Pokalsensation ist: Die „Bremer Brücke“ sollten Erfolgsfans lieber meiden, für deren Emotionshaushalt nur zählt, ob der VfL gewonnen hat oder nicht. Diejenigen, deren Fußballlibido stumpf auf eine Ergebnispornographie gerichtet ist, wären gut beraten, zur Triebabfuhr lieber zum FC Bayern zu gehen (abgesehen von letztem Mittwoch;-) ). Aber für VfL-Fans, die zu einem fußballromantischen Gefühlsempfinden fähig sind, bot unser Pokalspiel eine höchst sinnliche Begegnung mit dem VfL, die Schmetterlinge im Bauch an einem Herbstabend erzeugte.

„Oh Mama, Mama, Mama, ich hab‘ mich neu verliebt, ich hab‘, ich hab‘ den VfL gesehen“ wäre der Sprechchor, der die gestrige „Brücken-Atmosphäre“ perfekt widerspiegelte, die für mich auch in dem Stream auf „Sky Go“ spürbar war. Am Dienstag ereignete sich unter den Flutlichtstrahlen auf dem Grün der „Bremer Brücke“ eine Wiederverzauberung des VfL, und zwar in ihrer tiefgründistgen Form. Denn diese Wiederverzauberung wurde aus dem Schmerz einer dramatischen Niederlage geboren. So war im fußballromantisch erhitzten Herzen eine ultrastarke VfL-Verbundenheit zu spüren – nämlich jene besondere, die sich selbst tragen kann und somit keiner materiellen Stützen mehr bedarf, die auf dem Fußballmarkt in der harten Währung des sportlichen Erfolgs angeboten werden.

Foto: Revierfoto

Der DFB-Pokal-Zirkus zieht ohne die Lilahemden weiter, aber die Liebe seiner nicht-erfolgsfixierten Fans hat der VfL zurückgewonnen. Diese Versöhnung gelang auch, weil das Drumherum beim VfL seit dem Wechsel auf der Geschäftsführerposition wieder Identifikationssehnsüchte bedienen kann. Wertorientierung und Glaubwürdigkeit in der Kommunikation blühen nachweislich auf, seitdem vom „Hannes-Haferkamp-Platz 1“ mehr Habeck- als Lindner-Style verströmt wird.

PS: Diejenigen, die beklagen, dass ein Großteil meines Textes ein Flickenteppich aus schon hochgeladenen FB- und TP-Artikeln ist. Ja, Ihr habt recht! Ich habe mich vom Chefredakteur der „Osnabrücker Nachrichten“ zu dieser Redundanz verführen lassen. Aber einen Mehrwert gibt es für Euch dennoch – nämlich die tollen Bilder vom Pokalabend, die Kalla dank Marc Niemeyer von „Revierfoto“ hier der Öffentlichkeit zugänglich macht …

Foto: Revierfoto

 

 

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