Gesichter meiner Stadt: Julie Tiemann-Nataga – Brückenbauerin

Diese neue Serie bildet das multikulturelle und internationale Leben in Osnabrück und Umgebung ab. In dem vor einigen Jahren gegründeten Jugendmedienprojekt treffen Schülerinnen und Schüler auf Menschen in unserer Region, die aus verschiedenen Regionen der Welt nach Osnabrück & Umzu gekommen sind, führen Interviews und schreiben Porträts. Die Vielfalt der Region soll durch viele verschiedene Porträts hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund gezeigt werden. Dabei geht es nicht nur um Erfolgsgeschichten, sondern auch um ganz Alltägliches. Die Osnabrücker Rundschau veröffentlicht in loser Reihenfolge Porträts, die Schülerinnen und Schüler der Ursulaschule Osnabrück im Profilkurs „Welt der Medien“ (Jahrgangsstufe 9) für GESICHTER MEINER STADT geschrieben haben.

 

Julie Tiemann-Nataga (Kamerun)
Brückenbauerin
von Margarete Ernst

„Mein Herz schlägt für beides, Kamerun und Deutschland“, erzählt mir die 44-jährige Julie Tiemann-Nataga, welche vor 16 Jahren nach Sutthausen in Osnabrück gekommen ist. Sie ist hauptberuflich Erzieherin und setzt sich viel in ehrenamtlichen Projekten ein.

Zum Gespräch sind wir bei ihr zuhause in Sutthausen verabredet. Nun sitzen wir in einer gemütlichen Küche, mit mehr als zwei Metern Abstand, da dies in der heutigen Situation anders leider nicht möglich ist, am Esstisch. Mich lächelt eine jung aussehende Frau an, welche sofort sehr nett und offen ist. Julie, geborene Nataga, hat eine dunkle Hautfarbe und ihr dunkles Haar ist zu kleinen Zöpfen geflochten.

Sie möchte sofort loslegen und über sich erzählen. Sie ist sehr locker und habe schon viele solcher Interviews für Integrationsprojekte gegeben. Ihr Weg nach Deutschland begann in Kamerun, vor fast 20 Jahren lernte sie bei ihrer dortigen Arbeit in einem Krankenhaus ihren heutigen Ehemann kennen.  Dieser fragte sie nach zwei Jahren, ob sie sich vorstellen könne, ihn nach Deutschland zu begleiten und ihn zu heiraten.

Als sie dann auch noch ihre liebste Schwester verlor, brauchte sie einen Neuanfang. So kam die damals 28-jährige nach Deutschland, und obwohl sie „nur“ Französisch und Englisch sprach, konnte sie sich gut vorstellen, in die Heimat ihres Mannes zu ziehen. Schon nach drei Wochen startete sie einen Deutschkurs. Mit dieser Hilfe und der Unterstützung durch ihren Mann und seiner Familie fühlte sie sich schnell heimisch, fand hier schnell und gut Anschluss und lernte viele neue Freunde kennen, welche ihr immer zur Seite stehen. Drei Jahre nach ihrer Ankunft holte sie ihre eine Tochter aus einer früheren Beziehung in Kamerun nach Deutschland und bekam zusammen mit ihrem Mann zwei weitere Kinder. Heute sind ihre Kinder 19, 15 und zwölf Jahre alt.

Über sich selbst sagt Julie, dass sie sehr spontan und flexibel sei, was an der Lebenseinstellung in Kamerun liege. „Wenn man irgendetwas brauchte oder einfach Langeweile hatte, konnte man einfach bei Nachbarn und Freunden vorbeikommen und wurde immer freudig empfangen.“ So entwickelte sich ihre offene und spontane Art, welche sie heute an ihre Kinder weitergibt.

Ihre Kindheit verbrachte sie in einem kleinen Dorf nahe der Hauptstadt Yaondé. Mit dem Dorf verbindet sie viele tolle Geschichten aus ihrer Kindheit. Am liebsten erinnert sie sich an ihre „Opas“, welche sich soft am Abend Zeit genommen haben, den Kindern aus dem Dorf eine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichten erzählt sie heute noch im Kindergarten oder auch ihren Kindern. In Afrika bezeichnet man ein Dorf als ganze Familie, deshalb hatte sie auch mehrere „Opas“. Dazu fällt ihr auch noch ein: „Es gibt ein schönes Sprichwort, welches ziemlich gut auf die große Familie, das ganze Dorf, bei uns in Kamerun passt: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen und stark zu machen.“ Die vielen Geschichten und großartigen Erlebnisse, die Julie mit ihrem Leben in Kamerun verbindet, gibt sie immer gerne und mit viel Freude weiter.

Ihre Jugend verbrachte sie in einem christlichen Internat in der Hauptstad Yaondé. Dort habe sie sehr viel gelernt und auch viel Zuspruch und Erziehung insbesondere durch einen französischen Priester erfahren. In dem Internat gab es auch eine feste Tagesordnung, die sie sehr geprägt hat, zum Beispiel wurde dort jeden Morgen nach dem Aufstehen geduscht. Heute tut sie es aus Gewohnheit immer noch.

Auch wenn in Osnabrück ein großer Teil ihrer Familie und Freunde leben, überkommt sie ab und zu das Heimweh. Vor drei Jahren war sie mit ihrer Familie für drei Wochen in Kamerun. Für ihre Kinder war dies das erste Mal in der Heimat ihrer Mutter. Es ist ihr sehr wichtig, ihren Kindern auch ihre zweite Heimat zu zeigen. „Sie sollen wissen, wie schön, aber auch anstrengend das Leben in Kamerun ist“, sagt Julie Tiemann-Nataga.

Neben ihrer Familie und ihrer Arbeit am Lukas Kindergarten am Schölerberg ist ihre große Leidenschaft die ehrenamtliche Arbeit im Verein „Zusammen bewegen e.V.“. Das Ziel ihrer ehrenamtlichen Arbeit ist es, uns in Deutschland die afrikanische Kultur näher zu bringen und zwischen Afrika und Deutschland eine Verbindung zu schaffen. Die afrikanische und deutsche Kultur ist wie Tag und Nacht, sagt Julie: „In Afrika darf man als Kind keinem Erwachsenen in die Augen schauen und andersrum genau so, aus Höflichkeit.“

Ein weiteres Ziel ist es, Menschen mit Migrationshintergrund zu helfen (vor allem aus Afrika), sich besser einzuleben. Die Menschen des Vereins dienen als Vorbilder. „Wir alle haben uns gut eingelebt und wollen dies nun weitergeben, damit sich auch neue Migranten besser einleben können.“ Der Verein ist auch eine Anlaufstelle bei Fragen und Problemen. Jährlich findet ein sogenanntes Afrikafest statt, auf dem afrikanische Kultur eine besondere Rolle spielt. Voller Vorfreude erzählt sie mir, dass sie im Februar 2022 wieder nach Kamerun fliegt, um für das nächste Afrikafest eine Reportage über Leben und Natur dort zu drehen. So klärt der Verein auf, bringt den Menschen in Osnabrück afrikanische Kultur näher und es werden Spenden gesammelt für das Herzensprojekt von Julie: Das Internat wieder aufbauen, in dem sie ihre Jugend verbracht hat.

Das Internat ist sehr in die Jahre gekommen und wurde durch den Bau eines Flughafens teils zerstört, erzählt Julie. Sie hat bereits ein ideales Grundstück gekauft und nun spart sie, um den Bau zu starten. „Es soll mehr Möglichkeiten geben, den Kindern in Kamerun eine sichere Zukunft zu ermöglichen“, beschreibt sie ihr Anliegen. In Kamerun ist das Leben für viele ungewiss, dort müssen viele Kinder und Jugendliche morgens sehr früh aufstehen, um den oft weiten und schweren Schulweg auf sich zu nehmen. Nach der Schule helfen sie bei der Arbeit, damit sie am Abend etwas zu essen haben. Erst danach, in der Nacht, bleibt Zeit zum Lernen. Im Internat ist vieles anders: Es gibt geregelte Zeiten, Zuversicht, dass man nach dem Lernen etwas zu essen hat, und genug Zeit, um sich auszuruhen. Dieses Leben will die Initiative „Zusammen bewegen e.V.“ Kindern ermöglichen.

Bis das Internat steht, sei es aber noch ein langer Weg, sagt Julie Tiemann-Nataga.

 

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