Freitag, 29. März 2024

Gesichter meiner Stadt: Sylwia Sabovic – „Ich möchte für den Rest meines Lebens hier in Deutschland bleiben.“

Diese neue Serie bildet das multikulturelle und internationale Leben in Osnabrück und Umgebung ab. In dem vor einigen Jahren gegründeten Jugendmedienprojekt treffen Schülerinnen und Schüler auf Menschen in unserer Region, die aus verschiedenen Regionen der Welt nach Osnabrück & Umzu gekommen sind, führen Interviews und schreiben Porträts. Die Vielfalt der Region soll durch viele verschiedene Porträts hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund gezeigt werden. Dabei geht es nicht nur um Erfolgsgeschichten, sondern auch um ganz Alltägliches. Die Osnabrücker Rundschau veröffentlicht in loser Reihenfolge Porträts, die Schülerinnen und Schüler der Ursulaschule Osnabrück im Profilkurs „Welt der Medien“ (Jahrgangsstufe 9) für GESICHTER MEINER STADT geschrieben haben.

 

Sylwia Sabovic (Polen)
„Ich möchte für den Rest meines Lebens hier in Deutschland bleiben.“

von Rebecca Schoone

Ich sitze in der Boutique von Sylwia Sabovic in der Iburger Straße. Ihr Geschäft soll bald neu eröffnet werden und trotzdem nimmt sich die 49-Jährige die Zeit, um mit mir ein Interview zu führen. Ihre Mutter ist anwesend und spricht polnisch mit ihr. Im Raum ertönt Musik aus dem Radio, um bei Sylwias Arbeit als Unterhaltung zu dienen. Sie ist nämlich Nageldesignerin in Osnabrück. Doch der Weg dahin war nicht leicht für sie.

Sylwia ist in Polen in Lubin zur Welt gekommen. Mit acht Monaten zog ihre Familie mit ihr nach Breslau. Dort besuchte das Mädchen acht Jahre lang die Schule. Sie musste in ihrer Kindheit schon viel arbeiten. Den ersten Job, den Sylwia besaß, war an einem Eisstand. Das frühe Verdienen des Geldes war für sie notwendig, da ihr Opa gestorben war. Er war das Familienoberhaupt gewesen und hatte die Familie versorgt. Während Sylwia mir das erzählte, achtete sie darauf, dass ihre Mutter nicht im Raum ist. Sie will sie nicht durch die Erinnerung traurig machen.

Nach der Schulzeit ging es für sie in eine Kochschule. Doch Sylwia merkte schnell, dass das nichts für sie war. „Es war einfach zu langweilig“, berichtet sie mir. Sie probierte noch viele weiter Berufe aus, doch das Richtige war nicht dabei. Irgendwann bei der Arbeit lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie 1991 ihre Tochter bekam. Sie heirateten sechs Monate nach der Geburt von Andzelika.

Nach dem Oderhochwasser 1997 entschied sie, dass sie in Deutschland nach einer Arbeit suchen müsse. Mit einem dreimonatigen Aufenthalt kam sie alleine, ohne Familie, in die Nähe von Göttingen, wo sie als Haushaltshilfe arbeitete. Polen war zu dem Zeitpunkt noch kein Teil der EU, was die Reisen für Sylwia deutlich erschwerte.  Nach einem Monat machte sie sich zurück auf den Weg nach Polen. Ihre Tochter besuchte damals die erste Klasse.

Andzelika wollte nicht in Polen bleiben, also entschied Sylwia, sie mit nach Deutschland zunehmen. Sie lebte zu dem Zeitpunkt von ihrem Mann getrennt. Durch Glück hatte eine deutsche Schule Andzelika aufgenommen, aber ihre Tochter konnte kein Deutsch, weshalb sie nicht lange bleiben wollte. Die beiden einigten sich, dass Andzelika bei den Schwiegereltern bleibt.

Sylwia musste nach je drei Monaten in Deutschland wieder nach Polen zurückfahren, da ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war, nur um danach wieder nach Deutschland zurückzukommen. Die Sorge, abgelehnt zu werden, war zwar immer da, doch anders konnte sie nicht überleben. Um Silvester zur Jahrtausendwende kam sie nach Osnabrück. Sie half hier in einem Restaurant aus. Doch Sylwia war immer noch befristet in Deutschland.

Das änderte sich, als ein Pärchen in Belm, bei welchem Sylwia arbeitete, eine Arbeitserlaubnis für sie für ein Jahr beantragte. Danach konnte Sylwia bleiben, da Polen der EU beigetreten war. Sie holte ihre Tochter hier hin, die zu dem Zeitpunkt mit der Schule fertig war. Nach der Arbeit in Belm machte sich Sylwia selbständig. Ihr erster Nageltisch stand innerhalb des Hauptbahnhofs in Osnabrück in den Räumlichkeiten eines Solariums. Sie konnte nun ihr Hobby zum Beruf machen.

Später suchte sie immer wieder nach Orten, wo sie ihren Beruf ausüben konnte, doch Sylwia blieb in Osnabrück. Sie musste teilweise von 8 bis 22 Uhr arbeiten, aber ihr war es das wert. Mittlerweile ist sie froh, ihre eigene Boutique in der Iburger Straße zu besitzen. Sie erinnert sich oft an die harte Zeit, bevor sie in Deutschland Arbeit gefunden hatte. Sie erzählte mir mit Tränen in den Augen, wie sie manchmal gemeinsam mit ihrer Tochter arbeiten musste, wie zum Beispiel Zeitschriften austragen, nur um an ein bisschen Geld zu kommen. Ihre Tochter hätte vor Hunger fast geweint, doch Sylwia konnte ihr nichts geben, da sie nichts besaßen. Ihr Kühlschrank ist nun immer voll. Sie ist dafür sehr dankbar.

Sylwia lebt nun alleine in Osnabrück, ihre Tochter ist mit ihrer eigenen Familie weggezogen. Die Mutter von Sylwia lebt nicht weit von ihrer Boutique entfernt, weswegen sie fast jeden Tag ihre Tochter besucht. Sylwia hat mittlerweile auch ein Enkelkind, welches kaum noch polnisch spricht und sich selbst als komplett deutsch sieht.

Sie selber sagt, sie fühle sich ebenfalls wie eine Deutsche, auch wenn sie keinen deutschen Pass besäße. Dafür gibt es nämlich den Grund, dass man hier in Deutschland einen Sprachkurs machen muss, um einen bestimmten Abschluss zu haben. „Ich kann Deutsch, da muss ich nicht diese Kurse machen“, erklärt sie mir. Sylwia hatte sogar mal für die Polizei als Übersetzerin gearbeitet, da sie fast alle slawischen Sprachen spricht. Auch ohne die deutsche Staatsbürgerschaft ist für Sylwia klar, dass sie für den Rest ihres Lebens hier in Deutschland bleiben möchte.

studioj
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