Donnerstag, 25. April 2024

Very British. Eine Expedition auf die Insel – Teil 3

Ein Bericht unserer Korrespondentin Wendy Wordsworth
The British Countryside …
… ist nicht einfach nur Landschaft, sondern eine den Briten gemeinsame Leidenschaft.

Sie lieben ihre Landschaft – nicht nur, sich darin aufzuhalten, sondern auch, darüber zu schreiben. Nature writing wurde hier von Autoren wie Robert MacFarlane (Alte Wege) oder für Schottland Alistair Moffat (The Hidden Ways: Scotland’s Forgotten Roads) erfunden. (Als deutsches Pendant ist Judith Schalansky zu empfehlen, die mit ihren evokativen Texten bereits in Osnabrück zu Gast war). 

Dabei ist es gar nicht einfach, zu beschreiben, was den Reiz der britischen Landschaft ausmacht. Schließlich besteht sie zu 99 Prozent aus dem gleichen Sortiment an Pflanzen aus dem mitteleuropäischen Naturbastelkasten wie bei uns: Ahorn , Buchen, Eiben, Eichen, Hasel, Holunder und Weißdorn, um nur einige Hauptzutaten zu nennen. Und doch ist sie ganz anders: die Landschaft ist wesentlich kleinteiliger, durch Hecken in viele kleine Einheiten aufgeteilt -man könnte sie auch Idyllen nennen.

Die Straßen winden sich um von historischen Hecken umgebene Felder, auf denen beeindruckende Eichen wie im Auenland ihre schützenden Äste über eine alte Landschaft ausbreiten. „And that will be England gone, the shadows, the meadows, the lanes …“, beklagte der britische Dichter Philipp Larkin 1972 die fortschreitende Industrialisierung,  die R.R. Tolkien im Herrn der Ringe als den Schrecken von Mordor visualisierte. Und tatsächlich wirken die Industrieschornsteine am Horizont des idyllischen Oxfordshire, wo Tolkien lebte und lehrte, wie eine Bedrohung für das Auenland. Doch trotz dieser Schreckensvisionen ihrer Liebhaber ist die britische Landschaft weitaus weniger industrialisiert und rationalisiert worden als das deutsche Wirtschaftswunderland. Und so hat es etwas von einer Zeitreise, diese ländliche Idylle zu durchqueren.

Und Zeit braucht man dafür tatsächlich reichlich,  nicht nur um immer wieder die far reaching views, den Blick über die Landschaft zu genießen, wo Hecken- und Baumreihen die sanften runden Konturen der Hügel nachzeichnen. Die winding country roads entschleunigen zwangsläufig den Verkehr, zumal hinter der netten Hecke jederzeit ein Traktor hervorbrechen und mit einem kräftigen Adrenalinschub an die  Beachtung der Geschwindigkeitsbeschränkung erinnern kann, die oft einfach nur SLOW heißt und an die Eigenverantwortung appelliert.

Im kargen Derbyshire werden aus den Hecken solide Steinwälle. Auf Cornwalls Land’s End packt man als ultimative Herausforderung für Autofahrer noch Hecken auf die Wälle. Und wenn man, eingezwängt zwischen Mauern mit Hecken, bei denen man auch als Wohnmobilist keinen Überblick mehr hat, hofft dass einem jetzt kein Auto entgegen kommt, taucht erst ein Schild Achtung die Straße verengt sich (Wie denn, noch mehr ???) und dann der tägliche Schulbus hinter der nächsten Kurve auf. Auch wenn es auf vielen Stecken Ausweichbuchten gibt, deren letzte man sich am besten vorsorglich merkt, stellt das Reisen mit einem Doppeldeckerbus durchaus eine entspannte Alternative ( mit Aussicht) dar. Auf Land’s End kann man aus dieser gehobenen Position dann auch schon einmal in Ruhe beobachten, wie ein Farmer seine Kuhherde vor dem wartenden Bus her von der Weide in den Stall treibt.

Viele überfahrene Dachse am Straßenrand zeugen, so traurig der Anblick ist, von einer eigentlich noch intakten Naturlandschaft. Als man vor zehn Jahren begann, Dachse massenhaft zu töten, weil sie als Überträger von Rindertuberkulose galten, sprang sogar Brian May von Queen für den badger in die Bresche. Außer Dachsen verstecken sich hinter den Hecken in einigen Gegenden auch noch wilde Ponies, die mit den Sachsen oder der untergegangenen spanischen Armada ins Land gekommen sind (Achtung: die Biester sind bissig!). 

Am schönsten ist es in der Countryside im Frühling, wenn die Schlehen-  und Weißdornhecken blühen und das ganze Land von weißen Schleiern überzogen ist. Ein Gewächs, das es bei uns nicht gibt, ist gorse, ein nach Kokosnuss stinkender Stechginster, der hier im Frühling in Küstennähe als erstes in warmem Gelb blüht und auch an rainy days die Illusion von Sonnenschein auf das Land zaubert, und dessen Farbe sich unter einem bedeckten Himmel noch intensiviert.

Der Golfstrom sorgt auf seiner Seite der Insel für unerwartet warmes Klima, und sogar ein paar Palmen. Doch nicht wegen des Wetters, das durchaus wechselhaft, aber viel besser ist als sein Ruf, sondern weil die britische Landschaft in weiten Teilen so kleinteilig und dadurch unglaublich abwechslungsreich ist, möchte man gar nicht wieder weg, sondern immer mehr davon entdecken, was sich hinter der nächsten Hecke oder hinter dem nächsten Hügel verbirgt – zum Beispiel der nette Country Pub, in den die Korrespondentin gleich aufbrechen wird. 

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