Samstag, 20. April 2024

Very British. Eine Expedition auf die Insel – Teil 4

Ein Bericht unserer Korrespondentin Wendy Wordsworth
Every Inch a Pub …

Nach all der Landschaftsschwärmerei, now let’s get down to business, jetzt zu den wirklich wichtigen Dingen: Kommen wir zum Bier. Wer glaubt, über britisches Bier gebe es eigentlich (besser) nichts zu sagen, irrt gewaltig. Pils-Trinker allerdings können diese Folge getrost überspringen. Denn hier geht es um Real Ale, richtiges(!) Bier. Alle, die fruchtige oder malzige Biere mögen, sind im Land, wo überall ein Pub around the corner ist, genau richtig.

Das wichtigste, was man bei einem Besuch im Pub wissen muss, ist aber nicht, welches Bier man probieren will, sondern wie man überhaupt zu seinem Bier kommt. Setzt man sich an einen Tisch und wartet, geht man nach Stunden frustriert wieder nach Hause. Bier wird ausschließlich an der Theke bestellt, gleich bezahlt (egal wie oft man noch vor hat, wiederzukommen) und selbst mit zum Tisch genommen. Dann ist auch niemand anders schuld , wenn man aus dem randvollen Pint etwas verplörrt. Keine Regel ohne Ausnahme: Hat man einen Tisch zum Essengehen bestellt , wird nicht nur selbiges, sondern auch das Bier an den Tisch geliefert.

Schild über der Theke mit Hinweis auf die Local Ales - Foto: ORSchild über der Theke mit Hinweis auf die Local Ales - Foto: OR

Steht man als Kenner der britischen Sitten korrekt im Gedränge an der Theke, hat man die Qual der Wahl: Ale or Lager, that is the question! Lager ist ein dünnes und geschmacksneutrales helles untergäriges Bier, das bei niedrigen Temperaturen über einen langen Zeitraum gebraut wird. Doch hier geht es um Real Ales. Genau: Richtiges Bier: milds, stouts, porters, golden ales oder old ales. Alle werden mit einer obergärigen Hefe gebraut. Real Ale reift durch die zweite Gärung in dem Fass, aus dem es auch ausgeschenkt wird. Dank der zweiten Gärung ist das Bier noch lebendig, lauwarm, aber sehr lecker, mit kaum Schaum und Kohlensäure.

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Real Ales erkennt man an den Pumpen am Tresen, denn sie werden nicht mit Kohlensäure in das Glas geschossen, sondern in zwei bis drei Zügen in echter Handarbeit gepumpt. Wichtig ist den britischen Biertrinkern auch die Farbe , weshalb schon mal Farbmuster in kleinen Töpfchen auf dem Tresen (zur Ansicht, nicht zum Probieren!) ausgestellt werden. Amber, die Farbe von Bernstein, ist immer ein guter Hinweis auf ein leckeres Bier, wie bei dem von der Korrespondentin ausgiebig verkosteten leckeren Long Man American Red Ale aus Littlington. Die Auswahl an frisch gezapftem Bier im kleinsten Pub ist reichlich. Der Flower Pot in Maidstone in Kent beispielsweise, für den ich wegen der liebenswerten Athmosphäre gerne werbe, hat trotz der gemütlichen Größe neun verschiedene Real Ales im Angebot.

links: die 70 Meter hohe Hügelfigur des Long Man of Wilmington, rechts: Biersorten der nach ihm benannten Brauereilinks: die 70 Meter hohe Hügelfigur des Long Man of Wilmington, rechts: Biersorten der nach ihm benannten Brauerei
Foto. OR

Craft Beer gibt es auch in Flaschen. Was zählt, ist wie bei den Real Ales der Geschmack, von leicht säuerlich bis honigsüß, malzig, röstig oder rauchig. Craft-Beer-Brauer experimentieren hier auch mit Gewürzen oder Früchten, in Schottland sogar mit der landestypischen Heide. Die Fraoch Brauerei in Alloa bei Stirling beruft sich dabei auf eine Tradition, die bis  2000 B.C. zurückgeht: „This beer allows you to literally pour 4.000 years of Scottish history into a glass.“ Sie braut mit Heide ein Amber Ale mit blumig-torfigem Aoma, einem vollen Malzcharakter und einen würzigen Abgang – klingt wie Whisky und ist auch genauso lecker. Der Geschmack nach Heide, Gras, Kräutern  und Honig kann einen beinahe in die Highlands versetzen.

 

Foto: OR

Nicht nur die Pubs, sondern auch Microbreweries wie diese sind hinter jeder Ecke zu entdecken und können oft auch besichtigt werden. Noch auf der Agenda der Korrespondentin steht etwa die Besichtigung der Wychwood Brewery in Oxfordshire, der größte Brauer bin Bio-Ales in Großbritannien,  der verschiedene Biere mit einem gemeinen Kobold (Hobgoblin) als Logo produziert. Bei den Namen und Labeln sind die Briten äußerst kreativ, was besonders als Kontrast zu dem an den Tresen ebenfalls präsenten schlichten Emblemen von kalt gezapften Marken wie Grolsch, Heineken oder Stella auffällt.

Das dunkle Doom Bar zum Beispiel wurde (als passende Warnung) nach einem gefährlichen Kliff in Cornwall benannt, Proper Job oder Tribute loben den Brauer bei jeder Bestellung. Spitfire Bier erinnert an das legendäre britische Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Briten lieben ihre Militärtradition, schließlich haben sie im Gegensatz zu uns ja auch zweimal gewonnen. Wir könnten uns wohl kaum vorstellen, ein schweres dunkles Malz „Tante Ju“ oder ein leichtes Helles „Messerschmidt“ zu nennen. Aber etwas spannender als beim biederen Beck’s oder Königs Pilsener könnten die Label schon sein. Morgen mehr zu interessanten Namen, wenn es bei der Expedition auf die Insel weiter um Pubs geht.

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