Very British. Eine Expedition auf die Insel – Teil 7

Ein Bericht unserer Korrespondentin Wendy Wordsworth
Put the kettle on! – Any time is tea time 

Nachdem die Korrespondentin im Golden Fleece in York mit Old Peculier ein weiteres dunkles Real Ale verkostet hat, das von einer der ältesten Familienbrauereien Großbritanniens in den Yorkshire Dales produziert wird, kommen wir endlich zum Tee.
Tresen mit Old PeculierTresen mit Old Peculier
„That’ll keep you going!“ meint die Frau, die zum Frühstück eine große Kanne Tee bringt, weil grade keine kleine frei ist, „damit werden Sie eine Weile durchhalten.“ Ohne Tee geht in Großbritannien nichts, und ohne eine cuppa den Tag durchzustehen ist für Briten völlig undenkbar. Die Gewerkschaften haben hier erfolgreich für  offizielle tea breaks um 11 und 15 Uhr gekämpft. Als BMW in Ignoranz der essentiellen britischen Sitten vor zehn Jahren vorhatte, die beiden 26minütigen Teepausen am Vor- und Nachmittag um je zehn Minuten zu kürzen, waren die Gewerkschaften in Oxford sogar zum Streik bereit.
A nice cup of tea gehört zu den Annehmlichkeiten britischen Lebens, die sich jeder mehrmals am Tag gönnt, vom Minenarbeiter bis zur Queen. Er wird aber auch in jeder schwierigen Situation serviert. Wenn Inspector Barnaby in der gleichnamigen britischen Krimiserie (die dort bereits so lange wie bei uns der Tatort läuft), die Nachricht vom 348. Mord in der fast entvölkerten Grafschaft Midsomer überbringt, setzt sein Assistent in der Küche der Betroffenen schon mal den Kessel für das Teewasser auf. Das gehört zu seiner Arbeitsplatzbeschreibung genauso selbstverständlich dazu, wie durch den knöcheltiefen Schlamm auf einer Farm zu stapfen, um für das Auto seines Vorgesetzten das Gatter zu öffnen.

Bei jedem Unglück, ob man sich in den Finger schneidet, einen Autounfall hat oder das Haus im Blitzkrieg durch eine deutsche Bombe zerstört wird, wird erstmal eine Tasse Tee gekocht. Selbst in den zerbombten Straßen waren neben Ambulanzen Teewagen unterwegs. Eine Tasse Tee oder a brew ist die medizinische Erstversorgung in jeder Art von Notfall.

Getrunken wird überwiegend indischer Tea aus den ehemaligen Kolonien. Trotz der auf die Honourable East India Company zurückgehende lange Tradition fragt niemand hier, welche Sorte Tea man bevorzugt. Seit der Einführung der von einem Mitarbeiter des Unternehmens Teekanne erfundenen Teebeutel in Großbritannien in den 1960ern zahlen nur noch Markennamen wie Tetley’s, PG Tips, Typhoo oder der aktuell von Sean Bean in seinem Heimatakzent beworbene Yorkshire Tea.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Jüngere Briten glauben wahrscheinlich mittlerweile, dass der Tee auf den Mooren von Yorkshire oder den Hängen von Tetley angebaut wird statt in Assam, Darjeeling oder Ceylon. Tee gibt es in Beuteln, mehr muss man nicht wissen. Verkauft werden die Beutel in Gebinden von 140 oder 240 Stück, im Sonderangebot auch schon Mal bis zu 500 Beuteln. Der Erste Hilfe Kasten muss schließlich immer gut gefüllt sein.

Das die Briten Tee-Vieltrinker sind, macht sie aber keineswegs zu Teekennern. Den britischen, meist runden Teebeuteln fehlt ein wichtiges Hilfsmittel: das Bändchen zum Entfernen des Tees. Das liegt nicht daran, dass die Briten hitzeunempfindliche Finger haben, sondern dass sie gar nicht beabsichtigen, den Tee, egal ob lose oder im Beutel, aus der Tasse oder Kanne herausnehmen. Weil Tee, der zu lange zieht, bitter werden kann, gibt es gelegentlich als Zusatz-Aussattung statt des einfachen Bändchens am Beutel noch eine zweite Kanne mit heißem Wasser dazu. Dass der Tee so lange zieht, bis er bitter wird und einen Teil seines wachmachenden Effekts verliert, stört die Briten anscheinend nicht. Um ganz sicher zu sein, dass der Tee keine Wirkung hat, verkauft man hier zusätzlich Decaf Tea, entkoffiinierten Tee.
Dagegen sind viele Briten der Meinung, dass Tea ohne Milch nicht genießbar ist. Manche sind davon so sehr überzeugt, dass sie dem Gast im Café den Tee bereits mit Milch drin servieren, wie es die Korrespondentin gleich bei ihrer  ersten Tasse Tee nach der Ankunft in Kent erlebte. Auf Nachfrage erklärten die netten Damen, wer keine Milch im Tee wolle, werde schon darauf hinweisen. Das allerdings ist kein Standard in Großbritannien. Ein britischer Freund, der seinen Tea im Gegensatz zur Korrespondentin ohne Milch trinkt, war über diese Bevormundung empört: „You have to be able to make a choice, for god’s sake!“ Das sei ein Angriff auf seine Bürgerrechte. Niemand sei dazu berechtigt, jemand anders vorzuschreiben, was in seinen Tee haben wolle und was nicht…
 
Any sugars? Ob man Zucker zum Tee nehme, wird dagegen immer gefragt. Wer beides will, bestellt einen NATO-Tee, das ist eine Art DIN-Norm für Tee mit Milch und zwei Löffeln Zucker. Außer Milch und Zucker gehört zum Tea immer auch ein Keks. Ohne biscuit gilt Tee vielen Briten als ungenießbar. Die Luxusvariante ist der Cream Tea, eine Kanne Tea mit einem scone, einem kleinen süßes Brötchen, clotted cream, dicker Rahm mit mindestens 55 Prozent Fettgehalt, und Marmelade.
Die Qual der Wahl: strawberry oder raspberry?Die Qual der Wahl: strawberry oder raspberry?

 

Bei dieser leckeren Mahlzeit sind allerdings bis zu vier grundlegende  Glaubensfragen zu entscheiden: Nimmt man ein fruit scone mit Rosinen oder ohne?  Kommt erst die Milch oder erst der Tee in die Tasse? Gehört die Marmelade auf oder unter die clotted cream? Und soll man Erdbeer, Himbeer oder Johannisbeermarmelade wählen? Spoilt for choice nennt der Brite dieses Dilemma. Da die Erdbeervariante mit strawberry jam (marmelade ist in Großbritannien immer aus Orangen gemacht) als der Standard gilt, bleibt einem die letze Qual der Wahl allerdings oft erspart.
Scones sind ein Höhepunkt jedes Tages in Großbritannien. Mit Käse gibt es sie auch zum Frühstück. Und wer hat es erfunden? Die Schotten, denen wir nicht nur den Whisky, Heather Ale und Orangenmarmelade verdanken. Von wegen „da stelle mer uns janz dumm“: Schotten erfanden die Kolben-Dampfmaschine, Fernsehen und Telefon, Insulin und Penicillin, den Seismographen und Dolly das Klonschaf.
Achtung: Die Frage „What do you want for your tea?“ sollte man auf keinen Fall mit Milch oder Zucker beantworten, sonst könnte das Abendessen in Yorkshire oder Schottland etwas mager ausfallen, denn dort ist Tea auch die Bezeichnung für das Dinner.


 

Very British. Eine Expedition auf die Insel – Teil 6

 

 

 

spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Instagram
Spotify