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Dienstag, 11. Februar 2025
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Wo Dummheit zur Mission wird – Hasenpost keult gegen Gewerkschaften

Liebe Leserin, lieber Leser, ich bin der schreibende Igel in der OR-Redaktion und verantwortlich für das Projekt „Das isso! Muss man wissen!“. Gepackt hat mich die Schreiberei, weil ich mich vor einiger Zeit dem Lesen einer quälenden Lektüre unterworfen habe. Sie nennt sich mit Zweitnamen ebenfalls „Post“, ist auch online unterwegs und besitzt als Vornamen nicht mich, sondern den eines hastig nagenden Langohrs. Ein Igel ist bekanntlich viel schneller und cleverer als dieser stets gehetzte Vierbeiner, der bei jeder Gelegenheit vor vermeintlich grünen Jägern oder roten Reitern in kopflose Panik gerät. Aber anstatt sich zu verziehen, plustert er sich dummdreist auf, und wenn jemand so aufgeblasen daherkommt, steche ich gern zu.

 

IGELPOST – die Online-Satirebeilage der OR – 5/24 – 3. Jahrgang – Satire ist Notwehr
Die neue Igelpost – von Mal zu Mal billiger
Wo Dummheit zur Mission wird:
Hasenpost keult gegen Gewerkschaften

„Wie dumm kann man eigentlich … IG-Metall will mehr Geld, auch für VW-Beschäftigte“, so betitelt der Hasenpost-Herausgeber und Chefkommentator Heiko Pohlmann am 29. Oktober seinen Kommentar zum aktuellen Tarifstreit in der Metallindustrie.

Ihr habt es gemerkt: Seit Bestehen der Igelpost unterziehen wir uns während sporadisch auftretender altruistischer Wahnanfälle der Selbstfolterung und studieren dann die Hasenpost, hin- und hergerissen zwischen Lachanfällen, heftigen Übelkeitsattacken und dem Absingen unflätiger Lieder. Am Ende steht aber jedes Mal nur ein gelangweiltes Gähnen, begleitet von einem ungläubigen Kopfschütteln und der Erkenntnis, dass jeder Mensch das Recht hat, ein Arschloch zu sein oder auch das Gegenteil.

Was soll man noch schreiben, wenn der ehemalige BOB-Pressesprecher Wolfgang Niemeyer zum tausendsten Male die Grünen als Untergang des Abendlandes geißelt oder der Chefhase zum zehntausendsten Male Verrat am Autofahrer wittert, weil irgendwo mal wieder ein Radweg entstanden ist oder die von ihm so geliebte Rechtsabbiegerspur verlegt wurde. Ganz ehrlich, eigentlich hatten wir vor, die Hasenpost einfach rechts liegen zu lassen und in Zukunft komplett zu ignorieren, zumal man in deren Facebook-Kommentaren täglich nachlesen kann, welche Klientel sie bedient, und uns zukünftig lieber die NOZ vorzunehmen, die mit ihrem Chefredakteur Ewert immer weiter nach rechts abdriftet.

Das jüngst abgesonderte Pamphlet gegen die um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Kolleg:innen der IG Metall beweist aber, dass selbst die wütendsten Kreuzritter gegen rot-grünes Ungemach es schaffen können, sich selbst zu toppen. Die Überschrift „Wie dumm kann man eigentlich … (sein)“ unterstellt dem politischen Feindbild namens Gewerkschaften also plumpe Blödheit. Es fehlt nur noch die Empfehlung, den Psychiater aufzusuchen, um sich auf dessen Sofa die Vertretung von Arbeitnehmer:innen-Interessen therapeutisch ausreden zu lassen oder wenigstens vorher die Hasepost um Rat zu bitten.

Die aktuelle VW-Krise soll in Pohlmanns Gedankenwelt dazu herhalten, sich gesenkten Hauptes in die Gespräche mit den Arbeitgebern zu begeben und gehorsam den Kotau zu vollziehen. Vielleicht nach dem geschichtlichen Vorbild der „Gelben Gewerkschaften“, die früher einmal von Arbeitgebern gegründet wurden, um sich bei Verhandlungen brav auf deren Schoß zu setzen?

Ist der mutmaßlich von Winterkorn und Konsorten verursachte Dieselskandal mit Milliardenverlusten vergessen? Oder die von VW-Konzernmanagern verdaddelte Notwendigkeit, sich tatsächlich auf E-Autos und vor allem auf für alle erschwingliche Marken zu konzentrieren? Egal, die aktuelle Krise wird von der Hasenpost zum Anlass genommen, eine Diätkur zu starten. Gemäß der verinnerlichten und gebetsmühlenhaft wiederholten neoliberalen Ideologie, dass nur „Schlankheit“ den Weg zur Gesundung bereitet, was weltweit, außerhalb von VW natürlich, sogar Hungernden empfohlen wird. Es ist gemäß Hasenpost also „dumm“, wenn die Gewerkschaften mit Prozentzahlen in Tarifverhandlungen gehen, die alljährlich zu Abschlüssen führen, um zumindest Reallohnverluste zu vermeiden. Nie gab es übrigens in der Geschichte Tarifforderungen irgendeiner Seite, die am Ende das Ergebnis bildeten.


Das Besondere an VW: ein Unternehmen, gebaut aus enteigneten Arbeitergroschen

Klar: Nicht jeder Hasenpostschreiber, auch nicht deren Chefredakteur, muss sich mit Geschichte auskennen. In diesem Fall wäre es allerdings sehr klug und auch redlich gewesen. Die VW-Historie startet nämlich mit Mitteln aus enteignetem Gewerkschaftsvermögen. 1933 hatten die Nazis nicht nur Gewerkschaftshäuser besetzt, Funktionäre ermordet, in Gefängnisse und KZs befördert und sich räuberisch die Mitgliedsbeiträge angeeignet. Regierende Nationalsozialisten hatten die Summen später tatsächlich in die Gründung der „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH“ in Höhe von 50 Millionen Reichsmark gepumpt. Überwiesen wurde die Knete von der NS-Organisation „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF), die das frühere Gewerkschaftsvermögen verwaltete.

Aber warum muss ein vor Wut gegen freie Gewerkschaften schäumender Hasenpost-Chef so etwas auch wissen? Hier steht übrigens für Interessierte mehr dazu.


Kollege Popanz als Hasenpost-Methode

Laut Pohlmanns Wahrnehmung agieren deutsche Gewerkschaften, Originalton, mit „viel linker Folklore – nichts anderes betreiben die Gewerkschaften meiner Ansicht nach die allermeiste Zeit“.  Geheuchelt wird „Verständnis für die Belastungen, die die grassierende Inflation und die Misswirtschaft der Ampelregierung“ für die Kolleg:innen bedeuten – wobei bemerkenswert ist, dass das Management des Konzerns hier gar nicht erst erwähnt wird. Passt eben nicht zum Feindbild. Greifen die von Reallohnverlust und gar von Werksschließungen bedrohten Menschen gar zu aktiven Maßnahmen, pfeffert der Hasenpost-Chef die Salve „Warnstreik an Lächerlichkeit und Dummheit kaum zu überbieten“ ab. Noch Fragen?

Wie alles ausgeht, weiß Herr Pohlmann, der täglich vor seiner Glaskugel sitzt, natürlich schon: „Zahlreiche Metallarbeiter werden bald gar nichts mehr von ihren Arbeitgebern bekommen, außer die Kündigung. Andere Metaller werden froh sein, wenn es bei einem Lohnverzicht bleibt.“ Ist es nur die Igelpost, die hier klammheimliche Schadenfreude  durchklingen hört?

So richtig spannend wird es, als sich der Schreiber heldenhaft vor die unverschämt hochbezahlten VW-Manager auftürmt. Pohlmanns Wirklichkeitswahrnehmung von Leuten, die jährlich Millionengehälter mit skandalösen Millionen-Boni beziehen: Eine Nichtauszahlung dieser Riesensummen sei ein „Dividendenverzicht“ – und dadurch würde „die ohnehin schon schlecht bewertete VW-Aktie nochmals deutlich ins Minus gedrückt.“ Oje.

Am Ende darf der Hasenpost-Chefideologe sogar seinen wahren Wunschtraum formulieren: „Irgendwann werden dann auch in den Gewerkschaftszentralen die Lichter ausgehen.“ Wahrscheinlich dürfen an diesem ersehnten Tag in den Hasenpost-Räumen die Sektkorken knallen. Die Belehrung für diese Weitsicht folgt, beinahe schon reflexartig, aus der von Pohlmann so beliebten Gleichsetzung seines Feindbildes mit der stalinistischen DDR. Originalton: “‘Vorwärts immer, rückwärts nimmer‘ war ja auch mal so eine Parole, die unter roten Fahnen skandiert wurde. Der Arbeiterstaat, an dessen Spitze eine Einheitsgewerkschaft stand, wurde von der Realität und mutigen Bürgern hinweggefegt und von einem reichem Westdeutschland aufgefangen.“

Wie tief muss ein gehetzter Hase gesunken sein, um in seinem vertieften Flankenlauf solche Wirklichkeiten wahrzunehmen?

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