„Ick bün all hier“ – Trari Trara, die brandneue Igelpost ist da!

 

Liebe Leserin, lieber Leser,
bevor Du hier weiterliest, möchte ich mich erst einmal vorstellen: Ich bin der schreibende Igel in der OR-Redaktion und verantwortlich für das Projekt „Das isso! Muss man wissen!“. Gepackt hat mich die Schreiberei, weil ich mich vor einiger Zeit dem Lesen einer quälenden Lektüre unterworfen habe. Sie nennt sich mit Zweitnamen ebenfalls „Post“, ist auch online unterwegs und besitzt als Vornamen nicht mich, sondern den eines hastig nagenden Langohrs. Ein Igel ist bekanntlich viel schneller und cleverer als dieser stets gehetzte Vierbeiner, der bei jeder Gelegenheit vor vermeintlich grünen Jägern oder roten Reitern in kopflose Panik gerät. Aber anstatt sich zu verziehen, plustert er sich dummdreist auf, und wenn jemand so aufgeblasen daherkommt, steche ich gern zu.

IGELPOST – 2 & 3/23
Die neue Igelpost als besonders billige und arg limitierte Doppelnummer

Eigentlich wollte ich mich in meinem Blätterbett noch mehrmals umdrehen. Schließlich besitzt jeder Igel das Recht, nach einem kaum erholsamen Winterschlaf noch einige Wochen unter Frühjahrsmüdigkeit zu leiden, um dann erholt in den Sommer zu starten. Dieses Jahr war aber alles anders: Kaum waren die Silvesterböller verklungen, mit denen sich primitive Zweibeiner offenbar ihrer Männlichkeit versichern, erfasste mich schiere Panik und ich war um den Schlaf gebracht. Was war geschehen?

Im dämmernden Halbschlaf habe ich es mir angewöhnt, mit der Weisheit eines Igels selbst die schlimmsten Irrlichter aus der Hasenpost in stoischer Ruhe über mich ergehen zu lassen.  Es lohnt sich einfach nicht, auf die stereotype rot-grüne Hetze dieser Journaille und seiner Klientel in den sozialen Medien einzugehen, Der Hase mit seiner schrägen Weltsicht regt mich im Grunde schon lange nicht mehr auf. Aber nun? Er war plötzlich weg! Wo ist Pohlmann? Wieder in den USA? Tief im Hasenstollen? Unauffindbar! Schlagartig, mit Schweiß unter den Stacheln, bin ich aufgeschreckt.

Fast zärtlich hatten meine Igelpfoten den Rechner gestreift. Schnell war das Hasenblatt, Sparte „Kommentar“, erleuchtet. Kurzum: auf den ersten Blick wie immer! Alles fing mit dem üblichen Einprügeln auf die rot-grün-versiffte Welt an. Geziert mit einem bedeutsamen Foto. Darunter die erste Werbung, danach die zweite. Ich las darunter mühsam endlich drei erwartbare Sätze. Und dann? Was dann?

Es erschienen graue Buchstaben, die an Artikel echter Medien erinnern, für die man Geld berappen soll. Es folgen weitere geistestötende Anzeigen mit absurden Produkten für debile Zweibeiner. Und je höher das Scrollfieber steigt, desto tiefer sinkt man. Weiter unten dann, gewissermaßen als optischer Höhepunkt, taucht das Foto eines einst schauspielenden Menschen im Steinzeitalter mit der Frage auf, was um Himmels Willen aus ihm geworden sei. Oder ein Animierfoto, hinter dem sich die Antwort auf die Frage verbirgt, was ein Talkshowmaster für seine Prunkvilla geblecht hat. Ein anderes Weiterklicken verspricht Aufklärung darüber, warum Fürstin Elina 75 kg Gewicht verloren hat und heute Bleistifte sammelt – ach, und zu unser aller Überraschung betreibt sie nun eine Fitnessstudio-Kette und vertreibt Diätpillen. Woanders entnehme ich einem furchteinflößenden Porträtfoto, dass wieder ein uneheliches Kind von Boris Becker aufgetaucht sei. Alle Sensationsmeldungen sind mit dem Schild „Weiterlesen“ ergänzt.

Besorgt fragte ich mich, wo der Oberhase und Chefkommentator inmitten dieses Orkans wichtiger Weltnachrichten geblieben sein könnte, bis ich inmitten dieser elektronischen Litfaßsäule eher zufällig den Hinweis „Weiterlesen“ entdeckte. Uff! Beruhigt. Der Hase lebt noch! Ohne ihn wäre es das Ende der Igelpost. Startschuss zum Scrollen und Grollen.


Das grüne Menschenbild

Nachdem ich also mühsam die Pfade zum Originalton Pohlmanns gefunden habe, atme ich erleichtert auf: Der Schreiber mit dem ewigen Schaum vorm Mund ist und war wieder ganz der Alte!

In seinem Kommentar „Grüne in Nadelstreifen und Vorstandsetagen“ wettert er am 31. Januar in altbekannter Manier über seine Lieblingsfeinde. Nachdem er Unternehmen, bei denen er einmal selbst Gehalt bezogen hat, für ihr immenses ökologisches Engagement lobt, geht es der Ökopartei an den Kragen. Dass dabei genüsslich Widersprüchlichkeit in Sachen Kohle und Gas angesichts der Notlage des Ukraine-Kriegs zelebriert wird, lassen wir mal großzügig außer Acht. Ein einziger Satz offenbart allerdings wieder mal das Demokratieverständnis des Oberhasen. Originalton: „ … der vom Kinderbuchautor zum Wirtschafts- und Klimaschutzminister gewandelte Robert Habeck kniet auch schon mal vor arabischen Potentaten nieder, damit diese Ersatzbrennstoffe für den immer noch als gesetzt geltenden Ausstieg aus der Kernenergie liefern.“

Aha. Habeck als Kinderbuchautor, wahrscheinlich gleichzusetzen mit Astrid Lindgren, Janosch, den Gebrüdern Grimm oder den Autor:innen der Augsburger Puppenkiste. In Wahrheit ist der kritisierte Wirtschaftsminister immerhin Absolvent eines Magisterstudiums mit der Fächerkombination Philosophie, Germanistik und Philologie, hat intensiv auch mehrsprachig in Dänemark studiert und besitzt seit über 20 Jahren einen literaturwissenschaftlichen Doktortitel. Langjährig war Habeck facettenreicher Autor, seit 2004 ist er Grünen-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. Vor mehr als zehn Jahren (!) wurde er Landesminister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, seit 2018 Grünen-Bundesvorsitzender. Seit der letzten Wahl ist er im Bundestag, jahrzehntelang Verfasser unzähliger ökonomisch-sozialer und ökologischer Grundsatzpapiere. Für Pohlmanns Welt ist er also ein Dilettant, der als Kinderbuchautor nichts von Wirtschaft und Energiepolitik versteht. Wie schräg kann das Politikbild eines Medienwissenschaftlers noch sein?


Weg mit der SPD?

Kein Feierabendblogger, der seinen unbändigen Hass auf Rot-Grüne bestätigt, ist Pohlmann anscheinend zu schade, um als Kronzeuge für eigene Feindbilder zu fungieren. Pohlmanns „Lieblingsblogger“ Felix von Leitner, dessen Produkt der Kulturwissenschaftler Michael Seemann in der TAZ im Jahre 2015 einmal „das Leitmedium von ahnungslosen, reaktionär-ignoranten Arschlochnerds“ genannt hat, wird im Kommentar zur Berlin-Wahl am 13. Februar besonders erwähnt. Pohlmann gefällt offenkundig dieser von ihm genussvoll zitierte Leitner-Satz, bezogen auf die SPD, vorzüglich: „Man könnte fast denken, dass die jemand wählt. Aber so blöde kann doch keiner sein. Oder? ODER?“

Folgt man dieser Logik, dies hat ein OR-Kommentator zur Berlin-Wahl bereits schon treffend bemerkt, müssen Hitler und Bismarck, unter deren jeweiliger  Regentschaft die Sozialdemokratie zweimal in ihrer Geschichte verboten worden ist, ja nicht so falsch gelegen haben. Oder? ODER?

Dass Pohlmanns Bannstrahl regelmäßig auch die Linkspartei trifft, kann erst recht nicht verwundern. Der Chef der Hasenpost klärt ja immer wieder gern darüber auf, dass Aktive dieser Partei für ihn einen „postrealsozialistischen hartlinken Wurmfortsatz“ von SPD und Grünen verkörpern. Zu Beginn der Achtziger, dies zur Erinnerung, bildeten alle Linken für CSU-Chef Franz-Josef Strauß, intensiver Fan des Apartheitsregimes in Südafrika und des chilenischen Diktators und Massenmörders Augusto Pinochet, „Ratten“ und „Schmeißfliegen“. Für Pohlmann sind Linke also, nicht viel besser, „Wurmfortsätze“. Was macht man mit denen eigentlich im wirklichen Leben, wenn man derartigen Geistesergüssen konsequent folgen würde? Hier wird es selbst Igeln wie mir unappetitlich, um weiter über solche Fantasien nachzudenken.


Kampf dem Femininen

Eines muss man dem Hasenpost-Chef lassen: Zuweilen toppt er sich bei der Wiedergabe der eigens wahrgenommenen Welt sogar selbst. Sehen wir es ihm aber auch hier nach! Für gehetzte Zeitgenossen ist eine abgerundete Weltbetrachtung ja auch nicht so einfach und vor allem viel zu anstrengend.

Am 2. März, nicht mehr ganz frisch aus der wutgefüllten Mottenkiste, nimmt er sich die beiden Bundesministerinnen Annalena Baerbock (Grüne) und Svenja Schulze (SPD) vor. Hatten die es doch gewagt, zu erläutern, wie sich „Feministische Außenpolitik“ darstellen soll,  was die gesamte Ampelkoalition für sich festgelegt hat.

Zum Hintergrund: Die Idee einer feministischen Außenpolitik wird bereits seit mehr als 100 Jahren diskutiert. Schweden mit seiner damaligen Außenministerin Margot Wallström war 2014 das erste Land, das sich offiziell dazu bekannt hatte. Ihre Politik verstand sich als „eine Antwort auf die systematische Diskriminierung und Unterordnung, die den Alltag unzähliger Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt prägt“. Andere Länder wie Kanada, Mexiko, Spanien und nun auch Deutschland sind der Initiative inzwischen gefolgt. Weitere dürften dies auch tun.

Herauspicken lässt sich für Pohlmann aus allen seriös vorgestellten Gedanken vor allem ein Punkt: die angebliche Forderung für eine (Achtung! Es ist wirklich so!) „gendersensible Standortwahl von Toilettenanlagen“. Beinahe bis zum Ende seiner Ausführungen befasst sich der mit dem verklemmten Humor eines Konservativen erstellte Hasenpost-Kommentar ausgerechnet und isoliert mit diesem Thema. Wenn man es nicht besser wüsste, was ihn dabei umtreibt, müsste man besorgt fragen: Und selbst so? Steh- oder Sitzpinkler?

Dass aktuell insbesondere Frauenrechte in unzähligen Ländern unter die Räder geraten, erfahren selbst Verweigerer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens geradezu täglich: Folterungen und Inhaftierungen von Frauen im Iran, weil sie keine Kopftücher tragen. Abschaffung nahezu aller Bildungs- und Arbeitsrechte für Frauen und Mädchen in Afghanistan. Fehlende Grundrechte für Frauen in etlichen Staaten der muslimischen Welt. Vergewaltigung als Kriegsmittel Putins gegen ukrainische Frauen. Ganz abgesehen von fortwährender Diskriminierung von Frauen am weltumspannenden Arbeitsmarkt. Muss angesichts dieser Probleme ernsthaft darüber debattiert werden, dass die seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden praktizierte maskuline Weltpolitik endlich ein Korrektiv benötigt?

Dass Pohlmann hämisch darüber herzieht, dass deutsche Ministerinnen in afrikanischen Hotels nächtigen, Baerbock „auf Dauerweltreise“ sei und wir es bei ihrer „zwar farblosen, aber immer gut frisierten Kollegin Svenja Schulze“ mit einer für Pohlmann besonders unfähigen Ministerin zu tun haben, ist nur noch erbärmlich dämlich und soll hier keinen weiteren Igelschweiß kosten.

Noch niederträchtiger ist eine rhetorische Frage in Pohlmann-ich-kann-auch-witzig-Manier, zu der mir gar nichts mehr einfällt: „Sollen unsere jährlich knapp 6 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe nun für eine gendergerechte Standortwahl von Toilettenanlagen verwendet werden?“ Selbst in der Hasenpost hätte ich zuvor niemals vermutet, dass dort Weltpolitik tief unten aus dem Klodeckel heraus betrachtet wird. Geschmackssache eben.

Nur eins soll zu diesem Thema noch erwähnt werden, nämlich der Schluss des unsäglichen „Toiletten-Artikels“. Da wird ein Staat in höchsten Tönen gelobt, der für Geister à la Pohlmann jahrzehntelang eher die Ausgeburt sozialistischer Schreckensherrschaft gewesen sein dürfte. Originalton des Chefredakteurs: „Die ‚Feministische Außenpolitik‘ wurde übrigens von ihren Erfindern, den Schweden (und natürlich auch Schwedinnen)*, jüngst wieder aufgegeben: weil es grober Unfug ist!“ Alles geschah Mitte Oktober. Und warum? In Schweden regiert eine Regierung aus Konservativen, Christdemokraten, Liberalen und den sogenannten „Schwedendemokraten“, die eine Schwesterpartei der deutschen AfD bilden. Noch Fragen, welche Geister da mitgewirkt haben? Sucht man nun nach einer Steigerung an Uninformiertheit fällt einem automatisch der altertümelnde ideologische Nachlassverwalter von Justus Möser ein …


Kutschen brauchen nun mal Platz

Fast hätte ich befürchtet, ohne den Hasenpost-Kommentar eines Untoten ins Frühjahr starten zu müssen. „Mösers Meinung: Über das Verschwinden von Autoparkplätzen und die Erfindung von Fahrradparkhäusern“ umschreibt Wolfgang Niemeyer, Pressesprecher der Autopartei BOB (Bund Osnabrücker Bürger:innen) und Dauerliker der FB-Beiträge des AfD-Fanboys Frohnecke, seinen schwindelfreien Kommentar vom 1. April. Wieder mal muss sein Alter Ego Justus Möser dafür herhalten, Osnabrück mit einer schnittigen Autofahrerbrille zu betrachten – wie immer der BOB-Aktivist dies auch anstellt.

Nur mal so zur Erinnerung: Möser verschied friedlich im Jahre 1794, also vor stattlichen 229 Jahren. Er schläft folglich schon länger als alle Igel dieser Welt. Seitdem ruht er eigentlich still vor sich hin, und das auch noch in der autofreien Marienkirche!

Als Igel gebe ich es aber zu: Hätte man den Originalton des Staatsmanns während seiner Kutschfahrten durch die engen Gassen Osnabrücks damals festgehalten, wäre BOB-Niemeyer sicher fündig geworden! Wütend getobt hätte sein Vorbild wahrscheinlich andauernd. Zumindest dann, wann immer törichte Menschen aus dem niederen Volk des 18. Jahrhunderts, schwer auf den Schultern bepackt oder mühsam ziehend mit ihren vollbeladenen Handkarren, seine edle SUV-Kutsche aufgehalten hätten. Ganz zu schweigen von schmuddeligen Bettlern am Straßenrand, die Mösers Kutscher mit seinen edlen Rössern mühsam umkurven musste, was den Zeitplan des Staatsmanns in Mitleidenschaft gezogen hat. Geflucht hätte Möser sicher auch über faule Pflasterer, die ganztägig viel zu viel Zeit für wohlgehauene Routen benötigen. Nun denn. Leider gibt es diese Originalaussagen Mösers zur Osnabrücker Verkehrspolitik nicht. Sie hätten es sicher zum weiteren Prachtband seines literarischen Lebenswerkes gebracht. Umso besser, dass wir nun BOB-Niemeyer haben, der seine spiritistischen Sitzungen mit dem Untoten so vortrefflich protokolliert.

Welch unvergleichliche analytische Schärfe der BOB-Möser an den Tag legt, belegt bereits seine erste Aussage. Danach stünde eine „eher seltene Spezies … in Osnabrück kurz vor dem kompletten Aussterben: die öffentlichen Autoparkplätze im gesamten Stadtbereich.“  Nun, in Wahrheit verschwinden gut drei Dutzend (!) Stellplätze am Rand des Walls, um eine Radspur von mehr als 97 cm Breite zu ermöglichen. Nochmal: Rund 40 (!) Stellplätze von rund 10.000 (!) in Osnabrücks Innenstadt. So viel zum „Aussterben“. Das wahre Sterben von immer mehr Radfahrerinnen und Radfahrern, die das komfortabel stinkende Auto meiden, darf ein Möser-Nachfolger natürlich negieren oder dessen Nutzung bei Regen gar, wie im Fall Frank Ottes, für beinahe irrsinnig halten. Ist ja nicht hergeholt, diese Sichtweise! Original-Möser hat sich ja auch nie über fehlende medizinische Versorgung und hohe Sterblichkeitsraten beim niederen Volk beschwert – es sei denn, dadurch sanken die Einkünfte der Leibherren.

BOB-Möser verdient natürlich Nachsicht. Der Bedauernswerte sieht „Parkflächen entweder mit Sitzbänken zugesperrt, in Fahrradwege umgewidmet oder ganz einfach durch die Errichtung von immer mehr autofreien Zonen für den PKW-Verkehr unerreichbar gemacht.“

Als Igel finde ich für Herrn Niemeyer eigentlich nur eine Erklärung: Wann immer er mit seinem schönen Auto durch Osnabrück flaniert, scheint er sich Mösers schimmelige Perücke über beide Augen und Ohren zu ziehen. Könnte er sehen, würde er schnell bemerken, dass ein funktionierendes, grell und weiß-blau aufleuchtendes Parkleitsystem Besuchende der Innenstadt eigentlich ganz easy in riesige Parkhäuser geleitet und kein einziges Blechgefährt die City deswegen wieder verlassen muss.

Aber Niemeyer liebt halt seine eigene Wahrnehmung. Das unterscheidet übrigens den BOB-Möser vom echten Möser: Jener hat während seines Lebens zumindest ansatzweise versucht, Probleme zu benennen und Lösungen auf der Basis von Fakten vorzuschlagen. BOB-Möser dagegen scheint stur, die Perücke des Angebeteten über beide Augen und Ohren gezogen, ins Umwelt-Nirwana zu entgleiten. Klimakrise, CO2-Bilanz, Stickstoff-Emissionen und Verkehrstote gibt es bei dieser Weltsicht offenkundig nicht, denn sie tauchen in Lexika aus Mösers Zeiten ja auch nicht auf. Kann so viel Staub eigentlich blind machen?

Falls BOB-Möser dann doch mal reale Befunde benennen möchte, liegt er dermaßen daneben, dass selbst ich als geduldiger Igel unruhig werde. Niemeyer belehrt die Hasenpost-Lesenden in der Weise, dass „pro Monat in Osnabrück im Durchschnitt 1,5 Dooring-Unfälle stattfinden, fast immer ohne nennenswerte Personenschäden.“

Mal ganz im Ernst: Müsste nicht selbst ein BOB-Ideologe angesichts der dramatischen Unfallzahlen mit etlichen Toten und Schwerverletzten zumindest ein klein wenig Scham empfinden, wenn er einen derartigen Unsinn verzapft? Dass immer mehr Metropolen – von Paris über Amsterdam bis hin zu Kopenhagen – autofreie Innenstädte entwickeln, scheint der gute Mann bis heute nie vernommen zu haben. Ganz zu schweigen von jetzt einem neuen Osnabrücker Fahrradparkhaus, das sich nun zu den um ein Vielfaches an Auto-Parkhäusern gesellt und von BOB-Möser als gigantische Geldverschwendung gegeißelt wird. Räder müssen ja nie stehen und lassen sich ja auch auf Schultern tragen, oder?

Als Igel bin ich es aber gewohnt, meine Betrachtungen mit Optimismus abzuschließen. Denn der BOB-Möser beschreibt mit eigenen Worten, dass der Untote uns zukünftig, falls wir Glück haben, weniger mit seinen Weltsichten belästigen könnte. Originalton: „Nur so viel: wenn ich in einer Stadt nicht mehr parken kann, dann werde ich sie mit dem Auto auch nicht mehr aufsuchen.“ Man kann nur hoffen, dass er seine fast rührend anmutende Drohung umgehend wahrmacht und wir fortan von seinen Verkehrsanalysen aus dem 18. Jahrhundert verschont bleiben.


Schlaflos im Insektenhotel

Getreu dem Motto, nach dem sich in jeder Ecke der Stadt, an der Investigativhase Pohlmann in geheimer Mission vorbeihuscht, schon irgendwie ein Grund finden dürfte, um heftig auf „umweltbewusste Feierabendpolitiker“ einzudreschen, entdeckte er am 23. April einen neuen Skandal.

Gesehen hat er ihn wahrscheinlich vorbeirasend durch die Frontscheibe seines Dienst-SUV hindurch. Es geht um die harmlos klingende Standortfrage für einen Lidl-Markt an der Pagenstecherstraße. Nach Wahrnehmung Herrn Pohlmanns, so sein Beitrag in der Facebook-Debatte, lese sich die Lidl-Baubeschreibung „wie Bullshit-Bingo auf dem Parteitag der Grünen“.

Klar, was soll man von den bekannten Öko-Terroristen von Lidl auch anderes erwarten? Zweifler werden im Aufdeckungsbericht in der Weise belehrt, dass der Discounter den Ratsmitgliedern und „dem grünen Stadtbaurat ‚überdurchschnittlich viele Fahrradstellplätze‘, (…) ‚Grünbedachung und Photovoltaikanlage‘ (…), die ‚Anlage eines Insektenhotels‘ und ‚Regiosaat-Bepflanzungen‘” angeboten hätte.

Zielgenau packt der Oberhase seine Kernvermutung in seine rhetorisch brillante humoreske Abschlussfrage: „Aber vielleicht ist es ja auch das versprochene Insektenhotel und sind es die Fahrradparkplätze, die für Lidl den Weg frei machen??“ Wir können also gespannt auf die nächsten städtebaulichen Kommentare Herrn Pohlmanns warten. Wahrscheinlich reicht es schon, wenn Investoren Grünpflanzen ins Beet setzen, um geheime Absprachen mit der Öko-Partei zu vermuten.


Ratschläge aus dem Mösoleum

Es mutet schon eigenartig an, wenn die älteste demokratische Partei unseres Landes ausgerechnet Ratschläge eines Vertreters jener Ständegesellschaft verpasst bekommt, gegen welche die deutsche Sozialdemokratie einmal vor 160 Jahren gegründet worden ist. Wolfgang Niemeyer gibt nicht auf und versucht sich in der Hasenpost am 10. Juni tatsächlich wieder als Justus Möser. In diesem Fall sogar als Super-Möser, der mit einer in Krokodilstränen getränkten Feder ein Lamento „Über die Unsichtbarkeit der Osnabrücker Sozialdemokratie“ auf Papyrus verfassen musste, da es auf keine Kuhhaut ging.

Nach dieser feudalen Vermisstenanzeige kommt BOB-Möser erst richtig in Fahrt: Spätestens seit 2021 habe „sich die SPD in unserer Stadt quasi unsichtbar gemacht.“ Sie sei „nur noch ein Anhängsel der Grünen.“ Die SPD vertrete eine „desaströse Verkehrspolitik“, stehe für den „Abbau von Parkplätzen und damit die Absenkung der Wohn- und Lebensqualität“ und für eine Politik, die „Mobilität und damit auch ein Stück persönlicher Freiheit der Bürger immer weiter erschwert.“

Müssen wir uns eigentlich noch wundern, dass einem nostalgischen BOB-Menschen allein Autofreiheit einfällt, wenn er auf Kommunalpolitik zu sprechen kommt? Als Igel rede ich ja auch nicht pausenlos über meine durch diese Autofreiheit plattgefahrenen Artgenoss:innen.

Aber geschenkt! Und die angebliche Unsichtbarkeit der SPD? Lesen könnte ja zuweilen selbst Möser-Anbetern helfen. Wer hat beispielsweise die Abschaffung der unsozialen Straßenausbaubeiträge gegen CDU und Grüne durchgesetzt? Wer hat erfolgreich das Ziel der Kita-Beitragsfreiheit von der Krippe bis zur Vorschule als Rot-Grün-Ziel ausgehandelt? Wer hat sich besonders massiv und erfolgreich für die nach Abschaffung durch CDU und FDP neu gegründete kommunale Wohnungsgesellschaft engagiert? Aber wie sollen solche Informationen auch ihren Weg in Mösers Gruft oder hinter die BOB-Windschutzscheibe finden?

Sobald BOB-Möser seine Munition gegen die SPD auf diese Weise verschossen hat, folgt ein sensationell anmutendes Bekenntnis. Zur Erinnerung: Der grelle Geistesblitz flammt mit Berufung aus einen Möser auf, der bis zu seinem Tode eisern an Leibeigenschaft und Elitenprivilegien festgehalten hat. Originalton BOB-Möser: „Es wäre schade, wenn diese traditionsreiche Partei endgültig in der Versenkung verschwindet. Auch in Osnabrück brauchen wir eine starke Sozialdemokratie, die selbstbewusst und intelligent für die Interessen der Bürger kämpft.“ Häh?

Gemeint dürfte wohl eher eine „Möser-SPD“ sein, die sich für eine autogerechte Stadt, gegen Radwege, vor allem als Frontpartei gegen die verhassten Grünen aufstellt und sich als williger Partner von CDU und BOB unter deren dank Hoffmanns Reisstärke knitterfreie und geblümte Bettwäsche kriecht, Weichspüler war gestern. Tatsächlich: Würde dem BOB-Möser gefolgt, würde zweifellos eine gigantische Huldigung mit Fanfarenklängen aus der Walhalla Ewiggestriger erfolgen. Wie solche Pseudo-Huldigungen in Wirklichkeit zu bewerten sind, hat vor weit mehr als 110 Jahren schon der legendäre SPD-Vorsitzende August Bebel (1840-1913) formuliert: „Wenn mich meine Feinde loben, kann ich sicher sein, einen Fehler gemacht zu haben.“ Noch Fragen?

In diesem Sinne rät der Igel allen Menschen: Wer im Möser-Nachlass nach neuen Ideen sucht, hat sich schon am Start verlaufen. Wie einst der Hase, als er gegen mich antrat. Und solange der untote mosernde Möser weiter aktuelle Probleme aus der Sicht einer Ständegesellschaft erklärt, beäuge ich die Hasenpost weiter zwischen mitleidig und hämisch grinsend und, auf den Chef bezogen, sogar mit einer gewissen Nachsicht …

… denn sein Name ist Hase und er weiß von nichts.

Euer Igel

 

 

 

 

 

 


Hier gibt es alle bislang erschienenen Ausgaben der Igelpost

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