Freitag, 19. April 2024

„Wortmann wortwörtlich“: Kandidatin und Kandidaten stehen nun fest. Und was ist davon zu erwarten?

Kandidatin und Kandidaten stehen nun fest. Und was ist davon zu erwarten?

Die um Stabilität, Verlässlichkeit und innere Ruhe bemühte Partei der Mitte Deutschlands, die nach ihren Plakaten „mitten im Leben steht“, hat bei der Kür ihres Kanzlerkandidaten zwar eine Tragödie shakespeareschen Ausmaßes als negatives Lehrstück für Politik vorgeführt, die sich aber immer mehr als Kasperletheater entpuppte.

Keiner der Kontrahenten hatte das Format in große Rollen zu schlüpfen. Bei diesen Reihenhaus-Machiavellisten ging es nicht um eine politisch inhaltliche Fragen, sondern nur wer besser ankommt. Da standen sich Umfrageergebnisse einerseits (deren Wert trügerisch ist, wie der Fall Spahn zeigt) und vielleicht Charakterfestigkeit andererseits als Unterscheidungskriterium gegenüber. Es fehlte nicht an Intrige und Machtpoker, eigentlich nichts, was an der Politik so fasziniert wie abstößt. Aber gerade die von der CDU reklamierte Mitte dieser Gesellschaft liebt solche Schauspiele der Uneinigkeit nicht, zwingen sie doch zu Entscheidungen, die man lieber anderen überlässt und stören die Ruhe des privaten Glücks.

Jedenfalls hat dieses Drama das Engagement für die Union wohl kaum beflügelt, aber auch nicht zu massenhafter Abwanderung geführt. Söder hat seine Anhänger nicht so begeistert, dass er wie ein neuer Messias dastand und Menschen in Bewegung setzen könnte. Gute Umfrageergebnisse sind seine einzige Botschaft, die ihn für den CSU-Generalsekretär schon zum „Kandidaten der Herzen“ werden lassen. Das sagt übrigens mehr über diese Herzen aus als über den Kandidaten. Er profitierte davon, dass der frisch gewählte CDU-Vorsitzende von der Wahlbevölkerung nicht als der geborene Kanzler gehandelt wird, während der bajuwarische John Wayne-Verschnitt sich in der Pandemiekrise als (verbaler) Krisenmanager und Macher mit Weitblick aufspielt. Der Beweis, nicht nur Besserwisser zu sein, sondern es auch besser machen zu müssen, bleibt ihm und uns nun erspart.

Auf längere Sicht aber ist er in diesem Diadochenkampf der Sieger, denn Laschet wird ihn nicht missachten können, er ist ihm letztlich zu Dank verpflichtet. Ob Söder einen besseren Wahlkämpfer abgegeben hätte? Sicherlich hätte er etwas mehr verbal gerüpelt, aber ein Sympathieträger, gar ein Menschenfischer war er nicht einmal in Bayern, wo er bekanntlich ein so schlechtes Wahlergebnis einfuhr, das ihn zur Koalition mit der UWG zwang. Ein Wahlkämpfer Söder hätte der Union vielleicht etwas mehr Schwung gegeben, allerdings auch einen Haufen Einfallstore aus dessen Vergangenheit und wenig schmeichelhafte Äußerungen von CDU-Größen über den Charakter dieses Machtmenschen. Dass er so sehr Bayer ist, dass er den Rest der Republik eigentlich nur damit überzeugen könnte, ihnen vorzuzeigen, was die dort alles dank der CSU – und ihm – so sehr vorteilhaft gegenüber dem Rest der Republik geschaffen haben, das will und kann keiner mehr hören. Und würden sich die Ostdeutschen nicht daran erinnern, wer den Soli abschaffen wollte? Und die Bundesländer haben nicht vergessen, wie Bayern den Länderfinanzausgleich zu seinen Gunsten ändern wollte. Das ist alles so wenig erträglich wie die Arroganz von Bayern Münchens Fußballbossen.

Söder hat aber begriffen, dass die Große Koalition mit der weiter schwächelnden SPD sowieso ein Auslaufmodell ist. Mit der FDP, die man möglicherweise braucht, aber keinesfalls liebt (aber wer mag diese Interessenvertreter Privilegierter schon?) reicht es für die Verteidigung des Kanzleramts – und darum geht es vor allem – beileibe nicht. Nach Lage der Dinge braucht man wegen der entscheidenden zehn Prozent, die von der AfD aus der politischen Verhandlungsmasse gezogen werden, die geläuterten Grünen als Mehrheitsbeschaffer für ein neu geschnittenes „bürgerliches Lager“. Dafür wäre aber Habeck das verheißungsvollere Signal gewesen. Da hätte sich wirtschaftspolitisch nichts groß verändert, und auch sozialpolitisch wären keine allzu großen Zumutungen zu befürchten. Die alle sind im Grünen-Wahlprogramm zu vage formuliert, um CDU-Besitzstandswahrer aufzuschrecken.

Doch nun hat nach einer Woche High Noon auf der einen Seite doch der Karnevalsprinz aus Aachen gesiegt und auf der anderen Seite erwartungsgemäß Annalena Baerbock die Ehre empfangen, als erste Kanzlerkandidatin der Grünen ins Rennen um den Sieg – und nicht auf Platz – zu gehen. Während Armin Laschet angeschlagen wie eine schon jetzt lahme Ente in dieses Rennen geht, der seine Fußtruppen mühsam sammeln und motivieren muss, weil ihm seine Gegner doch unisono bescheinigten, nicht gerade als ein Hoffnungsträger dazustehen, setzt Baerbock dezidiert auf Aufbruch. Ihren formellen Nachteil, keine exekutiven Regierungserfahrungen vorweisen zu können, konterkarierte sie selbstbewusst damit, sie wolle Veränderung, für den Status quo gäbe es genügend andere Angebote. Egal ob sie mit dieser Chuzpe durchkommt, anders als Habeck verkörpert Baerbock den Willen zur Veränderung, zum Wechsel. Wobei sie sicherlich weiß, dass sie hier nicht auf einer schon rollenden Welle der Wechselstimmug reitet, sondern diese erst noch erzeugen muss. Aber wer weiß in dieser wankelmütigen Zeit schon, welche Säue in den nächsten Monaten noch alle durch die Dörfer getrieben werden.

Demoskopen haben ermittelt, dass Baerbocks Zustimmungswerte interessanterweise nicht geschlechtsspezifisch sind. Auf die gesamte Wählerschaft bezogen trifft sie bei Männern wie Frauen auf gleich große Zustimmung wie Ablehnung. Ihre Zustimmung sinkt mit zunehmendem Alter und von links nach rechts. Sie zieht also möglicherweise eher Stimmen aus dem rot-grünen Lager ab, während sie, anders als Habeck, weder bei der Union noch FDP punkten kann. Ihre Zustimmungswerte sind hier bislang nur halb so hoch wie bei WählerInnen der SPD und Linkspartei. Da sie aber auf den Wechsel für ein vom Klimawandel dominiertes Programm mit starken sozialen Abfederungen und Maßnahmen gegen soziale Ungleichheiten eintritt, müsste sie für die Mehrheitsfähigkeit eines solchen Programms im Wählerteich der Union fischen, um zu einem Reformbündnis zu kommen. Die bräuchte man selbst für eine Ampel. Aber mit einer FDP, die mit zehn Prozent oder gar mehr in den Bundestag zieht, wird es ein sozial-ökologisches Reformprojekt wohl nicht geben. Auch in einer Koalition mit der Union würde davon nicht viel übrig bleiben. Als Juniorpartner unter einem Kanzler Laschet wäre vielleicht sogar mehr drin, denn  er und die Partei würden für das Kanzleramt viele Kröten schlucken, weil das Kanzleramt geradezu das Marken- und Machtzeichen der Union darstellt. Aber in einer Koalition unter Baerbocks Kanzlerschaft würde die Union inhaltlich für die Grünen sehr teuer. Habeck wäre dagegen eher der Fischer in Jagdgründen der Unionswählerschaft gewesen, aber kein Vertreter eines Politikwechsels jenseits von Union und FDP.

Da die AfD (noch) außerhalb solcher Spekulationen über Bündnisse steht, muss noch ein Blick auf die verbleibenden Bündnispartner fallen. Weder die SPD noch die Linke stehen da momentan als gestaltende Kräfte im Zentrum, allenfalls als Mehrheitsbeschaffer am Rande. Die meisten Unwägsamkeiten verbucht ein Reformbündnis grün-rot-rot, denn hier liegen die Unsicherheiten bislang auf Seiten der Linken. Wie sie sich zu Bündnisfragen mit welcher inhaltlichen Kompromissbereitschaft stellen und welche Relevanz sensible Themen wie Bundeswehrauslandseinsätze letztlich bekommen, ist derzeit schwer abzuschätzen. Zumal die Außenpolitik entgegen momentaner Diskurshoheiten schneller als gewünscht durch den Ukrainekonflikt sowie durch die Stellung zu China und Russland zu wahlrelevanten Themen aufsteigen könnten.

Unabhängig davon wie die Wahl ausgehen wird, zeichnen sich schon jetzt in die Zukunft weisende Veränderungen im Parteienspektrum ab. Die SPD hat momentan wenig Aussicht auf einen Karrieresprung zurück in den Zwanzigprozentturm. Olaf Scholz ist trotz (oder wegen?) seines Amtsbonus‘ nicht der erhoffte Joker, denn nur weil er Kanzler wohl könnte, will man ihn noch lange nicht. Die CDU/CSU muss sich darin einrichten, dass über dreißig Prozent fortan eher Ausnahmen sein werden. Das so genannte bürgerliche Lager sortiert sich neu, und die Union ist in sich nicht nur wegen der momentanen Personalien kein Hort der Eintracht und Geschlossenheit. Wie die ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie politisch verarbeitet und gelöst werden sollen, ist noch offen. Erkennbar aber sind hier inhaltliche Richtungskämpfe. Man nehme nur den Wirtschaftsflügel um Merz und Co., den bedeutungslos gewordenen Sozialflügel um Laumann (den man zur Absicherung in der älteren Arbeitnehmerschaft aber noch braucht) und jüngere Parteigliederungen, die sich um eine Modernisierung der Partei bemühen müssen, wenn sie nicht völlig aus der Zeit fallen soll. Zuwanderung, Migration und Flüchtlingsfrage sind ebenso strittige Punkte wie das Mantra der Harmonie von Klimawandel und Wirtschaft bzw. Arbeitsplätze. Absehbar ist, dass die Union nicht nur wegen ihrer Überalterung sowohl in der Wählerschaft wie Parteimitgliedschaft als Repräsentantin eines schmelzenden Bürgertums der Industriegesellschaft den Anschluss an den Wandel zur digitalen postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft zu verlieren droht. Hinzu kommt, dass die traditionsorientierte Union vom kulturellen Wertewandel, den die grünen Kosmopoliten für sich reklamieren können, bislang überrollt wird.

Die Grünen sind dagegen derzeit die Partei, deren Wählerschaft immer mehr von diesen beiden Pfeilern des sozio-ökonomischen und des kulturellen Wertewandels getragen wird. Aber ihrem Wachstum zu einer Volkspartei klassischen Typs, die nahezu alles in einer Partei als kleines Abbild der Gesamtgesellschaft integriert, sind heute im Zeitalter der Diversität auch deshalb Grenzen gesetzt, weil die politischen Angebote auf diese neuen Nachfragen diverser werden könnten. Die Milieupartei „Grüne“ ist nur noch ein Milieu unter sich vermehrenden Milieus von unterschiedlichen Größen. Die erneuten „Unübersichtlichkeiten“ könnten uns eine extreme Zerklüftung der Parteienlandschaft bescheren, die der stetig steigenden gesellschaftlichen Ausdifferenzierung und ihren Spaltungen folgt.

 

 

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