Heiko Schulze: Politik – ein „schmutziges Geschäft“?

Gedanken nach aufgedeckten Lobby-Skandalen

Macht politisches Leben in Parlamenten automatisch reich? Sind die peinlichen CDU/CSU-Abgeordneten und überführten Lobbyisten Georg Nüßlein, Nikolas Löbel – bis hin zum wieder frisch in Mecklenburg-Vorpommern als CDU-Spitzenkandidaten gekürten Philipp Amthor – nur Ausdruck für ein todkrankes System? Es ist mehr denn je Zeit, sich grundsätzliche Gedanken um die Spielregeln unseres Gemeinwesens zu machen.

Was bereits seit Jahrzehnten als „Politikverdrossenheit“ durch die Gazetten geistert, steht in aktuellen Corona-Zeiten und angesichts der überführten Lobbyisten in besonders voller Blüte. Sprüche wie „Die Politik versagt“ oder gar „Politik ist nun mal ein schmutziges Geschäft“ triefen dermaßen fett in die Sphären politischer Diskurse, dass man alle Maschinen der Welt damit schmieren könnte. Die Frage dabei ist nur, ob jene Maschinen damit jemals laufen könnten.

„Politik“ machen wir alle

Denn der Nährboden, aus dem sich der Hass auf „die Politik“ speist, ist so hochgradig infiziert, dass ein Großteil derer, die ihre Aversionen auf diese Weise äußern, gar nicht mehr merken, was sie damit anrichten. Mehr noch: Manchmal gutgläubig, oftmals naiv, seltener bewusst legen sie die Lunte an die Grundfesten eines demokratischen Gemeinwesens. Denn „Politik“ sind wir in einer Demokratie nun mal alle! Es ist egal, ob wir daran als Nichtwählende, Wählende, Mandatstragende oder gar Bundeskanzler/in teilhaben. Erschaffen haben wir „die Politik“ gemeinsam. Selbst wenn wir kämpferisch Wahlverweigerung üben, wirken wir indirekt aktiv dabei mit, die Stärken der jeweiligen politischen Lager und damit deren Einfluss auf das Geschehen und unseren gemeinsamen Alltag zu bestimmen.

„Die Politik versagt“ ist auch deshalb eine so völlig schräge Behauptung, weil sie pauschal alle politischen Akteure anklagt: Regierende wie Opponierende, Lobbyisten wie solche, die reich machenden Lobbyismus verbieten wollen. Mit anderen Worten: Der Vorwurf trifft die, die wir, oftmals völlig zu Recht, kritisieren. Aber er trifft ebenso pauschal diejenigen, die Regierende als Oppositionsparteien womöglich mit haargenau den gleichen Worten kritisieren wie wir selbst und tagtäglich für andere politische Mehrheiten streiten. Die Alternative zu schlechter Politik ist nun mal gute Politik – und nicht die Abschaffung politischer Entscheidungen. Wer kann, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen, Lobbyismus als Füllhorn für eigene Taschen abschaffen, wenn nicht völlig neue Parlamentsmehrheiten, die endlich ein wirksames Gesetz dagegen beschließen?

Ich persönlich wäre der Letzte, der von sich behaupten würde, emotionslos die Tagesthemen zu verfolgen: Ich schimpfe, verdamme, verzweifle und fluche bei recht vielen politischen Stellungnahmen. Aktuell bekenne ich mich sogar zu einer „Spahn-Allergie“. Aber ich frohlocke und begeistere mich genauso über gegenteilige Aussagen aus der Welt der „Politik“. Was ja auch der Sinn der Demokratie ist: friedlicher, aber sehr wohl kontroverser Streit um den richtigen Weg.

Die Spannbreite ist groß genug

Besonders absurd wird das pauschale Verdammen „der“ Politik insbesondere dann, wenn wir uns das aktuelle Parteienspektrum im Bundestag zu Gemüte führen. Auch weil ich Politik seit rund 50 Jahren, mal in aktiven Funktionen, mal passiver verfolge, habe in dieser Zeit niemals ein dermaßen ausdifferenziertes Parteienspektrum im Bundestag erlebt. Noch bis 1983 war die SPD (und dann noch unter Kanzler Helmut Schmidt!) die „linkeste“, die CSU die „rechteste“ Partei im Bundestag. Es reicht von links bis in das unappetitliche Rechtsaußen hinein, auf das ich natürlich verzichten könnte. Kurzum: Die Spannbreite des Diskurses war im postfaschistischen Deutschland selten größer. Richtig spannend dürfte es natürlich erst werden, wenn sich der Mehltau großer Koalitionen endlich in klassische Links-Rechts-Konstellationen verwandelt hat. Aber das ist eine andere Frage für eine weitere Kolumne.

Klar bleibt, dass jemand, der „Politik ist ein schmutziges Geschäft“ in die Debatte wirft, vor dem weiteren Debattieren auf eine zentrale Frage antworten muss: Was soll denn positiv an die Stelle von „Politik“ und mithin von Demokratie treten? Die Antwort überlasse ich gern den Lesenden.

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