Harald Keller – Krimis aus dem Untergeschoss

Harald Keller, Osnabrücker Autor, Journalist, Medienwissenschaftler und Fotograf hat die Corona-Lockdowns genutzt und seinen fünften Krimi herausgebracht. Das ist aber nicht das einzige, was ihn umtreibt in seinem „Untergeschoss“.

Kerstin Broszat, Osnabrücker Rundschau: Dich kann man ja inzwischen schon einen erfahrenen Krimischreiber nennen. Wie bist du darauf gekommen, die Handlung in das Osnabrück der 80er zu versetzen?

Harald Keller: Ich hatte seit langem vor, in einem meiner Krimis die einstige Anwesenheit des britischen Militärs zu berücksichtigen. Das vorherige Buch „Tod auf dem Zauberberg”, ein Kurkrimi, hat mich viel Zeit gekostet, aber dann konnte ich die Idee mit „Mordspensum” endlich umsetzen. Osnabrück war zeitweilig der größte britische Standort auf deutschem Boden. Der Schauplatz bot sich also an. Außerdem kenne ich mich hier aus, aus eigenem Erleben. In den 80ern habe ich mein Studium als Taxifahrer verdient und hatte häufig britische Fahrgäste. Es gab quasi eine britische Infrastruktur, kleine Siedlungen außerhalb der Militärgelände wie „Kleine London”, den Armeesupermarkt NAAFI, ein britisches Kino, Autohändler, die sich auf britische Fahrzeuge spezialisiert hatten, den britischen Armeesender BFBS, Lokale mit überwiegend britischen Gästen, die britische Militärpolizei und, wie mir später erzählt wurde, sogar eine Außenstelle des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Der kommt natürlich im Buch auch vor, so etwas kann man sich nicht entgehen lassen.

OR: Ist es schwer, sich immer wieder neue Szenerien und Kriminalfälle auszudenken, oder kommen die quasi über Nacht?

Harald Keller: Ich habe laufend neue Ideen, nicht nur über Nacht – beim Spazierengehen, bei der Arbeit, oft durch Recherchen, die ich als Journalist oder Medienhistoriker durchführe. Mehrere Exposés und Szenarien warten bereits auf Umsetzung. Vor allem ein Zeitproblem. Die Tage sind immer zu kurz …

OR: Wie lange hast du für die 80er-Jahre Recherche benötigt, und wo hast du die Informationen darüber aufgetrieben wie Osnabrück zu dieser Zeit aussah und was los war?

Harald Keller: Als ehemaliger Taxifahrer kenne ich das Osnabrück der 80er natürlich sehr gut, habe auch die damalige Sprache noch im Ohr. Es gibt im Roman einen Abstecher nach England, den habe ich nach Derbyshire verlegt, wo ich in den 80ern einige Zeit verbrachte und das ich 2010 noch einmal besucht habe. Und ich konnte noch etwas anderes einbringen: Ich habe ursprünglich Einzelhandelskaufmann gelernt. Die Kripo war Kunde bei uns, und als ‚Stift‘ musste ich gelegentlich dorthin ausliefern. Das frühere Kripo-Gebäude an der Hannoverschen Straße ist mir noch in Erinnerung. Ein historischer Stadtplan hing beim Schreiben ständig in Sichtweite, und ich habe Archivstudien betrieben. Die wichtigsten Informationen kamen von noch aktiven oder im Ruhestand befindlichen Kriminalkommissaren, denen ich zu großem Dank verpflichtet bin. Manches, was wie eine kühne Autorenerfindung klingen mag, basiert auf Berichten der Praktiker.

MORDSPENSUM – Ein 80er-Jahre-Krimi: Eine niedersächsische Kreisstadt Mitte der 80er. In der Kanalschleuse schwimmt eine Tote. Wenig später stirbt ein Barbesitzer. Zwei Fälle, zwei Mordkommissionen. Einer der Ermittler: Kommissar Gräber. Erfahren. Bewährt. Beiseitegedrängt. Sabine Kühne ist neu in der Kriminalwache. Von den Männern belächelt, mit Nebentätigkeiten abgespeist. Gräber und Kühne. Zwei Außenseiter – ein Team. Die Spuren führen zu einem Immobilienkönig, in ein Internat, ins Rotlichtmilieu. In die Vergangenheit. Geoffrey McCormick von der britischen Militärpolizei leistet Amtshilfe. Und der Geheimdienst MI6 hört mit … Ein spannender Krimi mit dem Zeitkolorit der 80er. Videokassetten, Walkman, Schallplatten. Im Radio Stevie Wonder, Robert Palmer, Ina Deter, U2, Nena. Polizeiarbeit ohne Handys, DNA-Analytik, Computer. Fax statt Mail, Straßenkarte statt Navi, Pager statt SMS. Umständlich. Aber nicht aussichtslos. Mit Glossar.

Der fünfte Krimi nach „Die Nacht mit dem Holenkerl“, „Rendevouz mit dem Ropenkerl“, „Ein schöner Tag für den Tod“ und „Tod auf dem Zauberberg – kuren, kneippen, sterben“ und einer Reihe diverser Sachbücher.

OR: Nun aber zu deinen vielen anderen Aktivitäten. Dein Untergeschoss, sprich: deine Internetseite www.untergeschoss.wordpress.com – wohl gewählt als Anspielung auf deinen Nachnamen, nehme ich an – wimmelt ja von Artikeln, die du geschrieben hast, von Kritiken zu Fernsehfilmen und -serien  über Kino bis zu Literatur. Und fotografieren tust du auch noch im professionellen Rahmen. Erzähl bitte ein bisschen über all das.

Harald Keller: Ich habe im Bereich Foto eine Lehre absolviert und später als Journalist oft die Fotos zu meinen Texten mitgeliefert. Mein Schwerpunkt sind Reportage-, Reise- und Konzertfotografie, selten Porträts, am liebsten mit natürlichem Licht. Das Schreiben ist mit der Zeit in den Vordergrund gerückt, aber ich greife immer noch zur Kamera, wenn sich Gelegenheiten bieten, privat oder auch im Auftrag. In kleinerem Rahmen biete ich Fotos bei Bildagenturen an. Zu diesem Teil meines Schaffens gibt es eine eigene Webseite: https://kellerreportagefotografie.wordpress.com/.

Screenshot Website Harald Keller

Der Name der Webseite „Untergeschoss” ist tatsächlich eine Anspielung auf meinen Namen und steht zugleich für die Perspektive. Flann O’Brien hat in seinen Kolumnen oft „das einfache irische Volk” zitiert. Ich habe daraus „das einfache fernsehende Volk” gemacht, eine kleine Stichelei gegen manche Fernsehkritiker und -kritikerinnen, die einzig nach ihrem persönlichen, manchmal etwas weltfremden Geschmack und nicht nach objektiv feststellbaren kreativen Leistungen bewerten. Ursprünglich entstanden ist das „Untergeschoss”, um journalistische Texte, die keinen Abnehmer gefunden hatten oder kurzfristig aktuellen Ereignissen zum Opfer fielen, doch noch irgendwie verwerten zu können. Ich habe die Seite dann mit einem bunten Allerlei aufgefüllt, aber aus Zeitmangel zuletzt etwas vernachlässigt. Kurzmitteilungen und Links zu meinen Veröffentlichungen findet man ferner unter KommissarKeller bei Twitter, außerdem auf meiner Seite bei Facebook.

OR: Und was ist dein jetziger Hauptberuf?

Harald Keller: Ich bin Journalist (Text und Bild) und Schriftsteller, mache seit einigen Jahren Öffentlichkeitsarbeit für Kulturschaffende und erfülle einen Lehrauftrag an der Universität Osnabrück im Bereich „Professionalisierung”. Wenn es sich ergibt, arbeite ich wissenschaftlich als Medienhistoriker und durfte auch schon einmal eine Ausstellung kuratieren.

OR: Dann bist du ja auch noch Gastgeber beim Veranstaltungsformat „Die Lese-Rampe“, die in Vor-Corona-Zeiten einmal im Monat im Unikeller stattfand, im Moment aber nur sporadisch. Was passiert an so einem Abend, worauf können sich die Gäste freuen?

Harald Keller: Inzwischen können wir glücklicherweise den Monatsrhythmus wieder einhalten. Allerdings erlauben die Pandemievorschriften nur eine sehr kleine Anzahl an Gästen. Aber auch im ‚Normalbetrieb‘ ist ein intimer Rahmen gewünscht. Das Gewölbe im „Unikeller” bietet dafür die ideale Atmosphäre. Die Grundidee war, dass Autorinnen und Autoren ihre Arbeit vorstellen und mit einem interessierten Publikum ins Gespräch kommen, das Weiße im Auge des Rezipienten erblicken können. Es gibt, wenn die Gäste einverstanden sind, in der Regel ein einführendes Gespräch, von mir vielleicht etwas hochtrabend „Werkstattgespräch” geheißen, dann die Lesung mit Pause und am Schluss eine Frage- und Diskussionsrunde. Außer um die jeweiligen Bücher geht es oft auch um eine bestimmte Thematik aus der Literaturbranche. So war zum Beispiel eine Übersetzerin zu Gast, eine Lektorin, ein Illustratorenpaar, zuletzt der Drehbuch- und Romanautor André Georgi, der wegen der großen Nachfrage am 13.5.2022 nochmals in die „Lese-Rampe” kommen wird. Vorher erwarten wir am 18.3. Alexander Mrohs mit seinem Buch „Und dann hab‘ ich in die Pfanne gemacht”, die biografische, souverän umgesetzte Erzählung einer dramatischen Krankengeschichte mit allgemeingültigen Beobachtungen, mit Humor und auch ein wenig Romantik. Im April wird Dr. Rainer Eisfeld seine Neuerscheinung „Ein neuer Blick auf 1968” vorstellen. Interessant ist auch seine Vorjahresveröffentlichung „Die bewaffnete Gesellschaft der USA”, die leider aktuell einen traurigen Widerhall findet: Die Zahl der Schusswaffenopfer in den USA hat im letzten Jahr eine neue Rekordmarke erreicht. Zu allen Veranstaltungen können schon Plätze reserviert werden, vorzugsweise schriftlich unter der Mail-Adresse lese-rampe@gmx.de oder, sofern der elektronische Weg nicht zur Verfügung steht, in den Öffnungszeiten des „Unikellers” auch telefonisch.

OR: Außerdem hast Du hin und wieder auch als DJ Platten aufgelegt und Leute mit Musik unterhalten. Wird es das in Zukunft von dir wieder geben?

Harald Keller: Nur noch zu besonderen Gelegenheiten und dann ein ‚Spezialitätenprogramm‘, das beispielsweise gut zum „Unikeller” passt, mit bekannten Titeln, aber auch Raritäten aus den Sparten Soul, Funk, Rare Grooves, Acid Jazz, Black Music. Und zwar vorwiegend von Vinyl. Aber dafür müssen wir erst einmal die Pandemie hinter uns bringen.

OR: Ich denke, wir haben nun Harald Keller ausreichend durchleuchtet und vielleicht das eine oder andere aus dem Untergeschoss zu Tage befördert, dass der einen Leserin oder dem anderen Leser so noch nicht bekannt war. Vielen Dank für das offene und ausführliche Interview, das wir schriftlich unter strengsten Coronabedingungen geführt haben.
Ein letztes Wort von dir?

Harald Keller: Es ist in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht nicht so präsent, aber auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sofern sie nicht zu den Bestsellermillionären zählen, gehören zu den Leidtragenden der Pandemie. Lesungen fallen weg, die regionale Buchmesse „Osna-Buch” musste zweimal schon ausfallen. Es fehlt an Publizität, und das schlägt zu Buche, zwingt unter Umständen zu Ausweichtätigkeiten. Darum geht ein großes Dankeschön an alle Förderinstitutionen und spendablen Gäste, die beispielsweise die „Lese-Rampe” am Leben erhalten haben, was, das ist das Konzept der Reihe, vor allem anderen den Autorinnen und Autoren zugute kommt.

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