Eindrücke vom „Internationalen Museumstag“
Ist es die Herausforderung oder ist es der Geiz? Für Herausforderung spricht, dass ich für gewöhnlich bei Ausstellungen spätestens nach einer Stunde völlig erschlagen bin. Für Geiz spricht, dass alle – und ich meine wirklich alle – Ausstellungen in der Umgebung (und darüber hinaus) kostenlos zu bestaunen sind. Am 15. Mai ist nämlich „Internationaler Museumstag“, mittlerweile schon zum 45. Mal. Und ich habe beschlossen, so viele Ausstellungen wie möglich an einem Tag zu schaffen.
Zuerst zum „Museumsquartier“ dem musealen 0-Punkt der Stadt. Im Kulturgeschichtlichen Museum wird seit dem 10. April eine spannende Ausstellung zum Thema „Blue Jeans“ gezeigt. Da wollte ich schon längst hin, das interessiert mich. Es gelingt uns nicht, nicht mit unserer Kleidung zu kommunizieren. Eine Jeans zu tragen gleicht heute allerdings eher einer Aussageverweigerung – aber auch das ist ja eine Botschaft. Gut das die Ausstellung einige Exponate aus einer Zeit zusammengetragen hat, als es noch rebellisch und verwegen war, eine „Nietenhose“ zu tragen. Den AusstellungsmacherInnen gelingt es, dem eigentlich auserzählten Thema „Jeans“ eine kurzweilige Show mit überraschenden Momenten abzuringen.
Wohin als Nächstes? Wo wir uns schon in ein textiles Thema eingearbeitet haben, warum nicht nach Bramsche raus, zum „Tuchmacher Museum“? Immerhin findet dort die zentrale Auftaktveranstaltung des „Internationalen Museumstag“ für Niedersachsen und Bremen statt. Dass die Wahl auf das Tuchmacher Museum fällt, ist wohl dem 25. Geburtstag des Hauses geschuldet. Das Jubiläum gibt auch das Thema der Ausstellung vor: „Rot“. Diese Farbe hatte nämlich für die Bramscher Tuchmacher eine besondere Bedeutung. Nicht umsonst genoss das „Bramscher Rot“ in Fachkreisen höchste Anerkennung, wie Museumsleiterin Kerstin Schumann in ihrer Eröffnungsrede erläutert. Weiter geht sie auf die kulturgeschichtliche Bedeutung der Farbe Rot ein. Aber auch praktische Aspekte des Färbens kommen zu Wort. In diesem Spektrum bewegt sich auch die Ausstellung in einer wohltuende Balance zwischen Information und Anschauungsobjekten. Später soll noch der Geburtstag mit Musik und Geschenken (für alle?) gefeiert werden. Aber ich muss weiter, wenn ich noch eine Ausstellung schaffen will!
Zurück nach Osnabrück, in die Kunsthalle. Dort wird die EMAF-Ausstellung „The Thing is“ gezeigt. Prompt platze ich in eine Live-Performance, „The Life of a Self-Eating Table“. Eine Frau sitzt an einem gedeckten Tisch und erzählt, von einem Tablet ablesend. Um den Tisch herum sitzen AusstellungsbesucherInnen auf Plastikgartenstühlen. Worum es bei der Aktion ging? Keine Ahnung, die Performerin sprach Englisch und da schalte ich meistens ab. Einige der anderen Herumstehenden sehen aber genauso fragend aus wie ich. Kunst ist mir ohnehin gerade zu anstrengend, meine Aufmerksamkeitsspanne habe ich bereits bei den vorherigen Ausstellungen so sehr ausgedehnt, dass sie ausgeleiert ist. An einem Kunstwerk bin ich dann doch hängen geblieben: In einer Videoinstallation erzählt ein gezeichneter Benzinkanister seine Geschichte. Wussten Sie, dass der Kanister 1936 von den Deutschen erfunden wurde – quasi deutsche Ingenieurskunst für den kommenden Krieg? Später haben sich alle Kriegsparteien der patenten Erfindung bedient. Der künstlerische Nährwert? Darüber kann ich nicht mehr nachdenken; ich muss aus der dunklen Dominikaner-Kirche raus. Das Wetter ist einfach zu schön.
Genau das richtige Wetter für eine Fahrradtour zum Piesberg, zum „Museum Industriekultur“. Die dortige Ausstellung verspricht weniger artifiziell zu werden: Es geht ums Essen – damit kann ich etwas anfangen. Ich bin sicher, dass dort heute Kulinarisches angeboten wird. Nur als ich verschwitzt dort um 17:30 ankomme sind alle Cateringgelegenheit längst abgebaut. Also dehydriert und ausgehungert in eine Ausstellung über Essen. Genauer gesagt geht es um die Zukunft der Ernährung, mit all seinen politischen, sozialen und ökologischen Dimensionen. Konzipiert und entworfen wurde der Hauptteil der Ausstellung vom „Deutschen Hygiene-Museum Dresden“. Und das sieht man auch: eine hohe Informationsdichte in elaboriertem Design. Mich jedenfalls erschlägt das Überangebot an Sachdienlichem und Anschaulichem. Was mein müder Geist noch mitbekommt ist, dass es sich in jedem Fall lohnt, nochmal hierhin zukommen – dann aber entspannter.
Und jetzt? Zur neuen Sonderausstellung über Polizeigewalt und Zwangsarbeit in der „Gedenkstätte Augustaschacht“ in Hasbergen schaffe ich es heute jedenfalls nicht mehr, schade eigentlich. Eigentlich auch eine blöde Idee, sich aus Geiz so viele Ausstellungen an einem Tag anzutun. Dafür sind Ausstellungen nicht gemacht worden! In Großbritannien zum Beispiel wäre ein solcher Stress nicht nötig, dort sind die meisten öffentlich finanzierten Museen kostenlos zu besuchen, dort ist jeder Tag „internationaler Museumstag“.
Blue Jeans
Kult. Kommerz. Kunst
Kulturgeschichtliches Museum im Museumsquartier Osnabrück
10.04. – 10.07.2022
The thing is
Kunsthalle Osnabrück
20.04. – 29.05.2022
Future Food
Essen für die Welt von morgen
Museum Industriekultur Osnabrück
24.04 – 13.11.2022
Rot
25 Jahre Tuchmacher Museum Bramsche
Tuchmacher Museum Bramsche
15.05 – 04.09.2022
Polizeigewalt und Zwangsarbeit
Die Gestapo Osnabrück und ihr Arbeitserziehungslager Ohrbeck
Gedenkstätte Augustaschacht (Hasbergen)
Dauerausstellung