Mittwoch, 24. April 2024

Ralph Gehrke: Watching the Livestream flow …

Bob Dylan spielt auf Veeps im Internet

Bingo! Erfolgreich eingeloggt. Nachdem Veeps noch eine dritte Erinnerung geschickt hatte, dass man sich ja rechtzeitig einrichten solle im Videochat.

Es sind zwar noch keine bewegten Bilder zu sehen und auch nichts zu hören, aber 15 Minuten vor Beginn (22.45 Uhr Ortszeit) rattert die Chat-Box wie verrückt. Aus allen Winkeln dieser Welt fließen Grüße ins Netz. An Bob, Freunde oder die Welt. Die Gemeinde ist aus dem Häuschen. Einige geben vor, jetzt schon vor Freude zu heulen.

Ein bisschen wie im richtigen Konzert. Da wird´s ja auch immer aufgeregter, je näher der Auftritt rückt. Das Foto, auf dem His Bobness aus dem Halbschatten in die Weite des Netzes schaut, schmeichelt seinem wahren Alter. Es ist eins aus den frühen Jahren. Ein Hinweis? Dem Trailer zufolge müsste gleich etwas aus den Early Years des Bob Dylan kommen und höchstwahrscheinlich in Schwarzweiß.

Noch 10 Minuten. Die digitale Uhr tickt vernehmbar runter. Bob macht`s wirklich spannend. Und dann steht er plötzlich da, so ähnlich wie in den letzten Konzerten im Dezember 2019. Daran hat sich nichts geändert, es gibt keine Ankündigung, sondern es geht sofort los.

When I paint my masterpieceneu arrangiert wie alle Songs, die folgen werden.
Dylan an der Gitarre. Das hat´s lange nicht gegeben. Mal hören, wie´s so klingt. Gar nicht schlecht, eigentlich sogar richtig gut, wenn man ein Faible für lateinamerikanisch angetriggerte Barmusik aus den Sechzigern hat. Dylans Stimme ist klar und offenbart Volumen.
In dieser Hinsicht gibt´s also nix zu meckern. Trotzdem regt sich im parallelen Chat (den man auch deaktivieren könnte) vermehrt Unmut. Irgendetwas stimmt nicht. Zwar sieht Dylan aus wie zuletzt gewohnt:
Hut demonstrativ zufällig auf einem Barhocker abgelegt. Wer will, kann Münzen hineinschmeißen … Lässig im Rodeo-Ausgehanzug, bestickt mit floralen Motiven. Passend zum Ambiente einer Musikkneipe, die im tiefsten amerikanischen Süden, in Texas oder New Mexiko ihren Ort haben könnte. (im Abspann wird als Lokalität The Bon Bon Club, Marseille aufgeführt). Insofern passt das Setting zum Cover von „Rough and Rowdy Ways”.

Spätestens als der nächste Song ( Most likely you go your way) anklingt und sich die Szenerie sowie Dylans Position verändert, wird klar, dass dieses kein Live-Konzert ist, sondern eine Abfolge von vorgefertigten Musikvideos, die geschickt ineinander verkettet, am Ende ein Ganzes ergeben werden. Jetzt wird´s im Chat ungemütlich. Einige fühlen sich „verarscht“, andere wollen gar ihr Geld zurück. Häme begleitet das zweite Stück, so sehr sich Dylan auch anstrengt.

Kurz gesagt: Es ist vieles anders hier in dieser virtuellen Kneipe. Dazu gehört auch, dass die Gäste qualmen, was das Zeug hält. Und das so ungeniert, wie es zu Shadow-King-Zeiten nun mal üblich war. Auf ein aktuelles Publikum muss das provozierend wirken. „Stop smoking!“, bellt es nicht nur einmal aus der Chat-Box.
Neu ist auch die Band, allesamt Musiker aus im Vergleich zum Spiritus rector viel jüngeren Kohorten (siehe Credits). Kreiert wird eine Art Mardi Gras Sound, mal in erdigen Blues abfallend, dann wieder Bandolero, Cajun, Bluegrass oder mit Country Anklängen.

Man spürt das Experimentelle, das durch Dylans vokale Dominanz im Zaum gehalten wird.

Die bekannte Tour-Band wird im Chat vermisst und wieder vergessen. Denn die Neuen, im Übrigen die einzigen Personen mit Covid-Maske, spielen gut. Die im Unplugged-Modus dahinfließenden Rhythmen beschwichtigen allmählich die bösen Einträge im Chat. Dass ein Schlagzeug fehlt, fällt nicht ins musikalische Gewicht.

Mit Queen Jane approximately kommt die Mundharmonika ins Spiel – die Kommentare schlagen um ins Schwärmerische.

Spätestens mit  I´ll be your Baby tonight hat Dylan gewonnen. Im neuen weißen Anzug, das Mikro fest im Griff, zwei Pin-Ups stehen im lasziven Escort zur Seite, eine schnippt ihm einen Fussel vom Jackett. Man merkt, Dylan fühlt sich wohl in dieser Bar, ihm kommt entgegen, dass kein Flügel die enge Bühne verstellt, so kann er sich nach Lust und Laune zeigen. Mit Gitarre, an der Mundharmonika, als Crooner vorm Mikrofon.

Beim Tom Thumbs Blues hat das Publikum in der schattigen Bar gewechselt. Junge Typen jeglicher Couleur treffen sich zum Feierabendbier – und hören Bob Dylan. Das heruntergekommene Interieur passend zu der abstrusen Geschichte, die irgendwo in Mexiko angesiedelt sein soll. Und wieder die Mundharmonika. „Best fuckin´ Dylan since ages …“, jubelt es im Chat.

Tombstone Blues erinnert an Ry Cooders Kompositionen zu „Paris Texas“. Kein Wunder, wenn eine Legende mit achtzig die Bühne betritt, tauchen die Zitate ganz von selbst auf.  Fortsetzung von Traditionen des Americana, auch darum geht es auf Dylans Weg.

To be alone with you. Dylan an der Gitarre so entspannt, wie man es in den letzten Jahren der „Never-Ending-Tour“ vermisst hat, hier findet er die Energie dazu. Derweil wird im Chat gemunkelt, es könne sich alles um Playback handeln und die Musiker agierten wie Actors. Gänzlich von der Hand zu weisen ist das nicht, aber zu erkennen ist auch, dass Dylans Part live eingespielt worden ist.

What was it you wanted fällt aus dem chronologischen Muster, weil es nicht zu den frühen Werken zählt. Das Mundharmonika-Solo lässt alles vergessen …

Den folgenden Songs bekommt die elektrische Verstärkung. Das schmale Tanzparkett füllt sich, im Flow der rockigen Melodien wird alles einen Tick dynamischer, man muss einfach mitswingen.
Und gerade jetzt, da man die letzten Bremsen lockert, macht Dylan Schluss: It´all over now, Baby Blue – Nomen est Omen. Schade!

Im Nachgang wird klar, dass man in den vergangenen 50 Minuten zwar kein Live-Konzert, aber ein Unikat geboten bekam, zusammengestellt von Bob Dylan und der Musikvideo-Produzentin und Regisseurin Alma Ha´rel. Herausgekommen ist ein eigenes Kunstwerk mit dem Titel „Shadow Kingdom“.

Wie man das bewerten soll, mag jeder für sich entscheiden, der noch bis Dienstag 22.59 Uhr (MEZ) Gelegenheit hat, sich bei Veeps einzuloggen. Die Meinungen im Chat auch am Ende uneins: „Awesome“ oder „gigantic stuff“ hier, „old womans dance“ dort.

Es ist davon auszugehen, dass das Material bald als Tonträger oder DVD zu erwerben ist.

Band:
Alex Burke, Gitarre
Janie Cowan, Bass
Shahzad Ismaily, Akkordeon
Joshua Crumbly, Gitarre
Buck, Meek, Gitarre

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