Die ersten Runden der diesjährigen Spieltriebe – BALKAN MOSAIK – sind gelaufen und gehen am 7. und 8. Juni in die zweite. Wir waren dabei auf der blauen Route und berichten Ihnen, was Sie Spannendes zu sehen und zu hören bekommen.
Zunächst: es sind noch ein paar wenige Karten erhältlich für die blaue und auch für die rote Route am kommenden Wochenende. Tickets erhalten Sie unter www.theater-osnabrueck.de/
Nun zum Festival:
Es beginnt bereits jeweils um 17.00 Uhr mit einer gemeinsamen Musik- und Tanztheateraufführung im Theater am Domhof. Anschließend wird das Publikum entsprechend der Ticketbuchungen per Bus auf die Reise geschickt, um an zwei unterschiedlichen Spielorten weitere spannende, unterhaltsame, aber auch verstörende und aufklärerische Produktionen anzusehen und sich zwischendurch eine Snackpause zu gönnen. Gegen 21.30 Uhr geht es zurück zum Domhof, wo im Innenhof gemeinsam mit Live-Musik, Essen und Getränken und den Darsteller*innen der erlebnisreiche Abend gefeiert werden darf.
Unsere Autorin hatte sich für die blaue Route entschieden und es nicht bereut. Das sind ihre Eindrücke:
Die inzwischen 10. Spieltriebe – sie finden alle zwei Jahre statt – haben zu einer Routine geführt, die alles wie am Schnürchen klappen lässt.
Pünktlich um 17.00 Uhr beginnt der von Ulrich Mokrosch inszenierte „Balkan Express“, in dem sich Mitspieler*innen aus jeder Sparte des Osnabrücker Stadttheaters (Schauspiel, Tanz, Musiktheater, Orchester) die Hand geben, um gemeinsam eine Zeitreise-Revue über das ehemalige Jugoslawien von den 80er Jahren bis zu dessen Zerfall in einzelne Nationalstaaten auf die Bühne zu bringen.
Die Texte der Lieder werden im Original gesungen und per Bildschirm für das Publikum übersetzt. Es sind Texte über das fröhliche Leben, aber auch über das Sterben im Partisanenkrieg. Es sind Einspielungen über westliche Vorurteile (Stefan Haschke brilliert als zwielichtiger Billigwitze-Erzähler) und tänzerisch und vom Orchester eindrucksvoll dargestellte kämpferische Auseinandersetzungen, die mich an die tänzerischen Machtkämpfe der Jugendbanden in der Verfilmung von Leonard Bernsteins West-Side-Story erinnerten.
Obwohl mir durchaus eine kritischere Darstellung gefallen hätte, ist die Vorstellung mitreißend und zeigt die ganze Bandbreite, zu der das Osnabrücker Ensemble fähig ist.
Nach dieser tollen Einstimmung wird das Publikum in zweimal rot und einmal blau aufgeteilt und fährt per bereitstehenden Bussen zu den nächsten Aufführungsorten.
Für die Route „rot“ sind dies das „Sharehaus Friedenskirche“, in dem eine Tanzperformance aus Rumänien mit dem Titel „Balkan Ballerinas“ gezeigt wird und zum Gedenkort „Baracke 35“, wo man sich in einem dokumentarischen Theaterprojekt auf Spurensuche begibt.
Die Teilnehmer an der Route „blau“ fahren in die Dekorationswerkstätten des Theaters im Hafen und werden im Innenhof begrüßt von Lina Akif und Vanda Velagić, die in ihrer jeweiligen Muttersprache erklären, worum es geht (eine Übersetzung erfolgt schriftlich über Bildschirme), wie sich die jugoslawischen Frauenbewegung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entwickelte.
Anschließend geleiten die beiden das Publikum in einen Raum, in dem mit Hilfe von Overheadprojektor und „Modell“ drastisch dargestellt wird, was Frauen alles für eine Abtreibung unternahmen, weil es keine medizinische Unterstützung gab und Männer nicht für Verhütung sorgen wollten.
Nach dieser Schocktherapie darf die Gruppe den Ort des Grauens wieder verlassen und sich in einem anderen niedersetzen, um die teils amüsant, teils sehr ernst und mit reichlich Bildmaterial ausgeschmückten Recherchen zur weiteren Entwicklung der Geburtenkontrolle im ehemaligen Jugoslawien anzuhören.
Und um das alles zu verdauen, gibt es danach hier im Innenhof nun einen kleinen Imbiss bis zur Weiterfahrt ins Holy Poly, einem Osnabrücker Club am ehemaligen Güterbahnhof.
Ab in die Disco! In einer Inszenierung von Tara Manić zeigt das Schauspielensemble zusammen mit Tänzerinnen und Tänzern des Stadtensembles das Stück „Ausgehen“ von Barbi Marković, basierend auf dem Text „Gehen“ von Thomas Bernhard und übersetzt auf die Clubszene in Belgrad. „Macht Clubbing hohl? Und welchen Sinn hat alles überhaupt?“ Diese und andere „Lebensfragen“ stellen sich die drei Protagonisten, immer wieder unterbrochen von Technomusik-Flashbacks.
Die Enge des „Holy Poly“ führt zu einer intensiven Präsenz der Schauspieler, ja fast schon zu einer Interaktion mit den Zuschauenden (durch direkten Blickkontakt und Wandeln durchs Publikum). Man fühlt sich fasziniert und abgestoßen zugleich von den Problemen, mit denen sich die Protagonisten herumschlagen (Kleidung, Akzeptiert-Werden, Drogen, Ausgehen).
Ganz zum Schluss darf aber zur Auflockerung mit der Crew noch kurz getanzt werden bevor es mit dem Bus zurück zum Domhof geht, wo Live-Musik, Essen und Getränke und viele gute Gespräche warten. Mittlerweile ist es 21.45 Uhr geworden, aber das ist ja noch lange nicht zu spät zum Feiern!