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Mittwoch, 18. Juni 2025
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30 Jahre „abseits“ – Die Osnabrücker Straßenzeitung

Vor wenigen Tagen ist die Juni- / Juliausgabe der Osnabrücker Straßenzeitung „abseits“ erschienen und kann an vielen öffentlich00en Orten, meist in der Innenstadt, bei festen Verkäufer*innen gekauft werden.

Das Magazin der Osnabrücker Wohnungslosenhilfe ist wieder voll mit wunderbaren Artikeln, die von einem ehrenamtlichen Redaktionsteam recherchiert und geschrieben werden, und diese Ausgabe ist tatsächlich die Jubiläumsausgabe zu „30 Jahre abseits“ – wir gratulieren herzlich!

Die „abseits“ erscheint zweimonatlich und kostet 2,60 Euro, von denen 1,30 Euro beim Verkäufer / der Verkäuferin verbleiben. Herausgeber sind die „Soziale Dienste SKM gGmbH“.

In dieser aktuellen Ausgabe hat Jann Weber die Entstehungs- und Werdegeschichte der „abseits“ recherchiert und aufgeschrieben und wir haben uns die Genehmigung zum Abdruck eingeholt.

Wie die „abseits“ entstanden ist (von Jann Weber)

Eine Straßenzeitung mit ehrenamtlichen Autor*innen und mit Verkäufer*innen, die ihre  Selbstachtung wiederfinden: Die „abseits“ gibt es seit 30 Jahren. Wie ist sie entstanden? Der Chefredakteur erinnert sich. Der heißt Thomas Kater. In seinem Beruf dreht sich alles um die Wohnungslosenhilfe: Er ist Fachdienstleiter für die Tageswohnung. Sein Arbeitsplatz ist das Bernhard-Schopmeyer-Haus an der Bramscher Straße 11. Die Straßenzeitung für Osnabrück – das war seine Idee. Und die hatte er 1994.
„Da habe ich meine Diplomarbeit geschrieben: ‚Entstehung und Bewältigung von Wohnungslosigkeit in Osnabrück‘. Bei der Recherche dafür habe ich mitbekommen, dass sich in anderen Städten wie Hamburg und München gerade Straßenzeitungen gegründet hatten. Das hat mich beeindruckt. Als ich meine Stelle bekommen habe, hatte ich bereits die Idee für eine Straßenzeitung in Osnabrück.“

1994 war also auch das Jahr, in dem Thomas Kater begann, in der Fachberatungsstelle für Wohnungslose zu arbeiten. Über seine Idee berichtete er gleich in einer der ersten Dienstbesprechungen, an der er teilnahm. Und wie kam sie an? Offenbar sofort gut. Thomas Kater freute sich über „die Unterstützung von Kolleg*innen und offene Türen bei Geschäftsleitung und Vorstand“. Dann begann er, in seinen Sprechstunden seine Besucher*innen zu fragen, ob sie Interesse hätten, in einer Redaktion mitzuarbeiten.

Die erste Redaktionssitzung tagte im Sozialraum der Wohnungslosenhilfe, die sich damals noch an der Lohstraße 42 befand. Im Dachgeschoss traf sich Thomas Kater mit ehemaligen Wohnungslosen, einer Berufspraktikantin und einem Kollegen: „Wir waren sieben Leute – und wir waren schon in einer Aufbruchstimmung.“ Viele Vorbilder gab es in Deutschland noch nicht: „Wir waren eine der ersten Straßenzeitungen nach München und Hamburg.“

Die Themen waren schnell gefunden. Es ging um persönliche Lebensgeschichten und um die Fragen, wie Menschen im sozialen Abseits denken, wie sie fühlen und wie ihr Umfeld mit ihnen umgeht – immer mit einem regionalen Bezug. Für die erste Ausgabe haben wir in der Stadt eine Umfrage gemacht. Die Frage lautete: Was halten Sie von wohnungslosen Menschen in Osnabrück?

Und die Redaktion selbst stand vor dieser Frage: „Wie wird die Straßenzeitung bei den Osnabrücker*innen ankommen?“ Wie Thomas Kater sich erinnert, schwärmten zehn Verkäufer mit der ersten Ausgabe aus. Und: „Sie haben innerhalb von acht Stunden 1.000 Zeitungen verkauft. Damit hatte keiner gerechnet. Wir haben noch zweimal jeweils 1.000 Stück nachgedruckt.“

2003 erreichte eine „abseits“-Ausgabe erstmal eine Auflage von 9.000 Exemplaren. Dabei war Joanne K. Rowling behilflich, denn sie hatte ermöglicht, dass das erste Kapitel eines Harry-Potter- Bandes zwei Wochen vor Erscheinen des Buches in Straßenzeitungen abgedruckt werden durfte. Doch auch ohne prominente Unterstützung stieg die Auflage weiter, die sich gegenwärtig zwischen 9.000 und 14.000 Heften bewegt.

Die Redaktion ist noch in den Anfangsjahren von der Lohstraße in die Kommenderiestraße und noch einmal weitergezogen: Seit 1999 befindet sie sich an der Bramscher Straße 11. In den vergangenen 30 Jahren haben sich insgesamt mehr als 350 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen so abgewechselt, dass sich stets ein fester Stamm ergeben hat. Derzeit besteht die Redaktion aus Autor*innen und Korrektor*innen mit unterschiedlichen Hintergründen – von A wie Arzt über L wie Lehrerin, P wie Physiotherapeut bis hin zu S wie Studentin. Diese bunte Mischung bildet einen Querschnitt durch verschiedene Berufe und Lebensalter ab. Entsprechend lebendig sind die Redaktionssitzungen. Hier sprießen die Themen.

Und dann sind da die Verkäufer*innen — 750 in 30 Jahren, wie Thomas Kater vorrechnet. „Derzeit sind es in der Stadt und im Landkreis zusammen 45.“ Und sie spielen ebenfalls Hauptrollen bei der Straßenzeitung, denn: „abseits“ ist pädagogischer Bestandteil der Tageswohnung. Sämtliche Ziele der Tageswohnung setzen wir auch mit der Zeitung um: Es geht um die Motivation, an der eigenen Lebenssituation etwas zu verändern, darum, Kontakte und Begegnungen zu ermöglichen sowie das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung zu stärken.“ Und die Verkäufer verdienen sich mit ihrer Arbeit etwas dazu: Die Hälfte ihrer Einnahmen behalten sie für sich.

Auch ehemals Wohnungslose und Menschen in finanziellen und sozialen Schwierigkeiten verkaufen die „abseits“. Und sie machen die unterschiedlichsten Erfahrungen: „Erst ist da eine Hemmschwelle, weil man damit offenbart, im sozialen Abseits zu leben, aber dann überwiegen die positiven Erfahrungen.“ Die sind immer wieder mit kleinen Geschichten verbunden – wie die von dem Verkäufer, der von seinem Kunden neu eingekleidet wird, einem anderen, der einen Korb mit Lebensmitteln erhält, oder dem, der eingeladen wird, und von weiteren, die Freundschaften schließen. Und dann kam die Straßenzeitung selbst zu einer besonderen Anerkennung: 2015 erhielt die „abseits“ die Bürgermedaille der Stadt.

Was Thomas Kater schon bald nach den Anfängen von „abseits“ festgestellt hat, war dies: „Eine Zeitung ins Leben zu rufen, ist gar nicht so schwierig, wohl aber, sie am Leben zu halten und sie auf Dauer interessant zu gestalten.“ Aber das gelingt mit der engagierten Redaktion. Und so geht es weiter mit Beiträgen rund um die Wohnungslosigkeit, mit sozialen Themen sowie mit Lebensthemen, von denen die Redaktion annimmt, dass sie die Leser*innen auch persönlich interessieren werden.

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