Erster Christopher Street Day in Bramsche
Am 28. Juni 1969 stürmten Polizisten in New York das „Stonewall Inn“ in der Christopher Street, eine Bar, in der sich Schwule, Lesben und Trans-Menschen trafen. Als sich diese wehrten, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. In den folgenden Tagen gab es Massenproteste auf New Yorks Straßen. Sie bildeten den Auftakt für eine Befreiungsbewegung, die auch auf andere Kontinente überschwappte und 10 Jahre später auch in Deutschland ankam.
Auf den Tag genau 56 Jahre später und pünktlich um 11:55 Uhr findet der erste offizielle Christopher Street Day (CSD) im Landkreis Osnabrück, in Bramsche statt. Nicht von ungefähr in Bramsche, denn diese Stadt hatte sich vor Jahren schon mit einem vielfarbenprächtigen und weithin sichtbaren Kunstwerk am Hasesee zur Vielfalt des Lebens der Menschen in dieser Stadt bekannt und hatte dieses selbst nach einer Zerstörung wieder aufbauen lassen. Vor dem Rathaus in Bramsche wehte am vergangenen Samstag die Regenbogenfahne. Anders als in Berlin, wo Bundestagspräsidentin Julia Klöckner es entgegen der in den vergangenen Jahren üblichen Praxis verboten hatte, die symbolträchtige Flagge vor dem Reichstagsgebäude zu hissen. Davon ließ sich der Bramscher Bürgermeister Heiner Pahlmann hingegen nicht beeindrucken: er ordnete an, die Flagge vor dem Rathaus hochzuziehen. Und die fast 300 Teilnehmenden in Bramsche bekräftigten dies, indem sie am 28. Juni friedlich und fröhlich den Platz vor dem Rathaus an der Hase bevölkerten.
Sie folgten damit einem Aufruf des Orga-Teams um Tobias Joshua Thiele, Mara-Marina Kortekamp und Gabriel Augustyn, die in ihren Eingangsstatements auf die Geschichte dieses besonderen Tages eingingen und betonten, dass die queere Community im Laufe der Jahrzehnte jetzt selbstbewusster ihre Forderungen in die Öffentlichkeit tragen würde. Die wichtigste Forderung sei immer noch, queere Menschrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Aber man werde auch darauf drängen, dass Räume und Schutzzonen für queere Menschen geschaffen werden, „auch in und insbesondere in Bramsche“, wandten sie sich direkt an Bramsches Bürgermeister Heiner Pahlmann. Dieser bot im Gegenzug an, kurzfristig darüber zu sprechen, welche Forderungen man sofort umsetzen könne in Bramsche und wie mit den restlichen, berechtigten Wünschen am sinnvollsten verfahren sollte.
Besonders emotional wurde es als Michael Lührmann als stellvertretender Landrat die Grüße der verhinderten Landrätin Anna Kebschull überbrachte. Er als homosexueller Mensch habe sich im jugendlichen Alter geoutet und er hätte sich gewünscht, dass es damals eine solche Community gegeben hätte, die ihn in einer solch schwierigen persönlichen Situation unterstützt und ihm beigestanden hätte. Die Wirkung eines solchen CSDs sei von unschätzbarem Wert und deshalb werde er solche Veranstaltungen auch künftig mit aller Kraft unterstützen. Dies griff Tobias Joshua Thiele auf und erklärte unter dem Beifall der anwesenden Zuhörer:innen: „Den CSD in Bramsche wird es ab jetzt jedes Jahr geben!“
Als nach den vielen Redebeiträgen sich das von Achim Sandmann gelenkte und bunt geschmückte Treckergespann endlich in Bewegung setzte, bot sich den Passanten am Straßenrand ein imposanter Anblick: wie eine bunte Schlange bewegte sich der Demonstrationszug, begleitet durch die von den DJs auf dem Wagen ausgewählte Musik. In der Menschenschlange, die sich nur langsam und auch – durch die zahlreichen Ordner:innen immer wieder freundlich ermahnt – immer nur auf der rechten Fahrbahnseite bewegte, durch die Maschstraße Richtung Nordtangente, um dann kurz vorher über den Wiesenweg auf die Lindenstraße einzubiegen. Die Teilnehmer des Zuges repräsentierten die Vielfalt unserer Gesellschaft: alt und jung, darunter auch nicht-queere Menschen, die aus Solidarität mitgelaufen sind, Familien und auch einige Menschen, die aus anderen Orten nach Bramsche gekommen waren. Die Stimmung war fröhlich, die Unterhaltungen intensiv. Wer schon zu den Älteren zählte, fühlte sich gelegentlich an die Flower-Power-Zeit rund um das Woodstock-Festival erinnert, das wenige Wochen später in dem Örtchen Bethel bei New York stattfand.
Der CSD-Zug endete wieder am Rathaus und die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, sich auf den verschiedenen Anschlussveranstaltungen weiter auszutauschen: auf der Haseinsel boten die Vertreter:innen des Bramscher Jugendparlaments ein „Hase Island Picknick“; wer es ruhiger wollte, konnte den Queer-Treff im Jugendzentrum Alte Webschule nutzen oder zur After-Show-Party ins Rebano gehen.
Alles in allem wurde in Bramsche schon mit dem ersten „offiziellen“ Christopher-Street-Day ein starkes Zeichen für Vielfalt und Toleranz gesetzt und das wichtige Signal gegeben: Bramsche ist bunt.