Köpfe aus der Geschichte der Osnabrücker Rundschau – Teil 3: Hans Wunderlich

Hans Wunderlich: Redakteur und Verfassungsvater

In der allerersten Redaktion der Osnabrücker Rundschau gibt es im Jahre 1946 einen, der nicht nur vortreffliche Artikel, sondern sogar echte Verfassungstexte schreibt. Natürlich ist es nicht der komplette Wortlaut des Grundgesetzes, das er mitformuliert. Aber immerhin ist jener Hans Wunderlich (1899-1977) einer von 65 stimmberechtigten Abgeordneten der westlichen Besatzungszonen, die das am 8. Mai 1949 im Parlamentarischen Rat behandelte Regelwerk unserer heutigen Republik diskutieren, formulieren und beschließen. Wer war dieser OR-Redakteur und Verfassungsvater?


Erste Erfahrungen

Foto: Osnabrücker Rundschau/HS

Geboren in München, ist der Katholik Wunderlich zunächst alles andere als jener tief überzeugte Sozialdemokrat, der er später wird. Denn als Sohn eines autoritären Gymnasialdirektors ist er ohne materielle Probleme im gut situierten Münchner Bürgertum aufgewachsen. Trotzdem entwickelt er schon früh eine tiefe und dauerhafte Aversion gegen das konservative Milieu seiner Eltern. Dem leistungsorientierten Vater gefällt es keineswegs, dass der Filius „nur“ die „Oberrealschule“ statt des standesgemäßen Gymnasiums absolviert.

Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) lernt Wunderlich hautnah das Massensterben in den Schützengräben kennen und wird zum prinzipienfesten Kriegsgegner. Spätestens nach Ende des Weltenbrandes entwickelt sich seine Leidenschaft zum Schreiben. Im ostfriesischen Emden beginnt er damit, erste journalistische Erfahrungen zu sammeln. Kritisch beäugt er das politische Geschehen. 1920 wird er aktiver Sozialdemokrat. In Einbeck erlernt er als Volontär beim bürgerlichen „Tageblatt“ das journalistische Handwerk. Danach wechselt er zur sozialdemokratischen Konkurrenz und wird 1921 Redakteur der „Einbecker Volksstimme“.

1923 kommt er nach Osnabrück und wird bis 1928 Redakteur der täglich erscheinenden Parteizeitung „Freie Presse“. Auch danach schreibt er im Blatt freiberuflich weiter und avanciert 1930 zum Kreisleiter des Reichsbanners „Schwarz-Rot-Gold“. Diese republikanische Schutzformation betätigt sich gegen rechte Angriffe auf demokratische Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen. In ungezählten Reden und Artikeln tritt Wunderlich als mutiger Streiter gegen die Nazi-Gefahr in Erscheinung und ist in deren Reihen verhasst.


Widerstand aus Lienen-Holperdorp

Nach der Machtübergabe an die Hitler-Partei am 30. Januar 1933 und der folgenden Zerschlagung demokratischer Presse begibt sich Wunderlich in die Illegalität. Er siedelt sich zunächst als Forstarbeiter, später als Geflügelhändler in Lienen-Holperdorp an. Dort organisiert er später die Nutzung der sogenannten „Eekenpacht“. Dies ist ein Kotten, in dem sich oppositionelle Sozialistinnen und Sozialisten über viele Jahre hin illegal während der NS-Zeit treffen, eine Bibliothek mit verbotener sozialistischer Literatur unterhalten und sich regelmäßig zu tagesaktuellen Fragen wie über die „Zeit danach“ austauschen. Das unscheinbare Gebäude bildet eine winzige Oase im tiefbraunen Umfeld.


Einfluss auf das Grundgesetz

Nach Nazizeit, einigen Repressalien, Krieg und Widerstandstätigkeit wird Wunderlich ab 1945 sofort im Rahmen des sozialdemokratischen Parteiaufbaus aktiv. Am 1. März 1946 stößt als fester Redakteur zur Osnabrücker Rundschau. Nach deren Ende wird er zum Chefredakteur der sozialdemokratischen Nordwestdeutschen Rundschau, gestaltet dort den Osnabrücker Lokalteil mit und ist außerdem zwischen 1948 bis 1950 ein führendes Mitglied des wieder demokratisch gewählten Osnabrücker Stadtrats. Seit 1947 ist er Vorsitzender der Osnabrücker SPD und stellvertretender Vorsitzender im Parteibezirk Weser-Ems.

In der SPD des neu gegründeten Bundeslandes Niedersachsen genießt der Osnabrücker ein hohes Ansehen. Der Landtag sendet ihn darum schon 1948 als einen von insgesamt neun Mitgliedern in den Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlands in Bonn ausarbeiten soll. Akribisch und leidenschaftlich bringt sich der Osnabrücker dort als Mitglied des Ausschusses für Grundsatzfragen ein. Vor allem streitet er vehement und am Ende erfolgreich, gegen den erbitterten Widerstand vieler Konservativer, für das völlig neue Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Vergeblich bleibt allerdings sein aktiver Einsatz gegen die Wiedereinführung des traditionellen, vom Obrigkeitsstaat übernommenen Berufsbeamtentums. Womöglich ahnt Wunderlich dies schon zu jenem Zeitpunkt: Die Wiedereinsetzung zigtausender ehemaliger Nazis in der deutschen Beamtenschaft durch den späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer wird zu einer unerträglichen Bürde der jungen deutschen Demokratie werden.


Enttäuschung nach der Wahlniederlage

Im Zuge der Wahlen in den drei vormaligen Westzonen kandidiert der Sozialdemokrat im Jahre 1949 vergeblich für den ersten Deutschen Bundestag. Wie andere Mitglieder seiner Partei ist er schwer enttäuscht, dass bürgerliche und restaurative Kräfte um Adenauer in der neuen Hauptstadt Bonn eine Mehrheit bekommen und auch der Osnabrücker Wahlkreis an die CDU geht. 1950 verlässt Wunderlich für viele Jahre Osnabrück.

Er kehrt zum aktiven Journalismus zurück und wird Redaktionsmitglied der sozialdemokratischen „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund. Von 1961 bis 1964 ist er sogar deren Chefredakteur. Danach wird er nach Osnabrück zurückkehren und seinen Lebensabend wieder an der Hase verbringen.

 

 

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