Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten hin und wieder von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft äußerst befremdlich wirkenden Zeitgeistes. Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes.

„Der verratene Liebhaber“ 1963

Wir hatten in der vergangenen Woche in unserer Straße diese Geschichte mit Herrn Kruse und Herrn Knecht, über die viel und gern gelacht wurde. Man weiß ja, dass Schadenfreude die reinste Freude ist und dass niemand verwundbarer ist als jener, der nun wirklich gar keinen Humor besitzt. Und Herr Knecht ist ziemlich spröde, ein Mann mit ernster Lebensauffassung, indes wir Herrn Kruse eine gewisse Verschmitztheit nachsehen wollen.

Also. Beide Herren waren frühzeitig Witwer geworden und verzehrten in körperlicher und seelischer Frische ihre Ersparnisse, was schon recht ungewöhnlich ist; denn im Allgemeinen halten sich die Damen an das Aufzehren des Vermögens.

Eine Dame ist übrigens auch im Spiel, und was für eine Dame. Die unvermählte Angelika Pütz, eine gut anzuschauende Weibsperson Ende der Vierzig. Diese gut anzuschauende Weibsperson war Herrn Knecht ein Dorn im Herzen. Er liebte die Dame sehr, war jedoch nicht kühn genug, sich um ihre Gunst zu bemühen.

Man sagte der schönen Frau Angelika nach, dass sie aus Verehrung für ihren im Krieg gefallenen Verlobten ledig geblieben sei. Nie sei jemand gekommen, der sich als edel und vortrefflich genug gezeigt habe, seine Stelle einzunehmen.

Frau Angelika wandelte stolz dahin, von jedermann geachtet und von niemandem gefürchtet. Aber nun wurde sie von Herrn Knecht geliebt, einem Herrn „in gut situierten Verhältnissen“, der selbstbewusst und eitel war, zugegeben sogar ein Prahlhans, jedoch niemals der forscheste oder der kühnste aller Witwer in unserer Straße, die Eichendorff Straße hieß und Hausnummern von 1 bis 348 zählt.

Da war Herr Kruse anders. Er liebte überhaupt nicht, weder die heldenverehrende Angelika noch irgendeine andere. Ihm hatte es aus diesem oder jenem Grunde gereicht. Er war auch nicht eitel, eher schon ein Schlodderkaspar, und er prahlte gelegentlich höchstens seine selbstverfertigten Zigarren. Herr Kruse war in der Tabakindustrie tätig gewesen, als Unternehmer.

Die Herren waren miteinander befreundet von Kindesbeinen an. Man traf sich des Morgens zum Spaziergang, und das bei Wind und Wetter. Man aß gemeinsam, schlenderte Seite an Seite durchs Warenhaus, um hier einen Pfeifenreiniger und dort einen Bleistift einzukaufen, wovon kein Warenhausbesitzer reich wird, und vertraute einander so geringfügige Geheimnisse an, wie jenes, dass Herr Knecht sich verliebt hatte.

„In deinem Alter?“

„Jawohl“, antwortete Herr Knecht mit Nachdruck. „Darf ich Dich um einen Gefallen bitten, Heinrich? Ich habe einen Brief geschrieben. Ich will ihn nicht der Post übergeben. Sei Du mein reitender Bote“ – er lächelte – „das macht einen besseren Eindruck als ein Poststempel.“

„Gemacht“, sagte Herr Kruse und steckte den kunstvoll versiegelten Brief in die Tasche.  Er hatte den Freund immer schon im Verdacht gehabt, altmodisch zu sein, jedenfalls im Umgang mit Frauen.

Herr Kruse mit der ewig brennenden Zigarre gab den Brief an Frau Angelikas Türe ab, Eichendorff Straße 231, 3. Etage rechts, wartete nicht auf Antwort, nahm auch für Herrn Knecht nichts Schriftliches in Empfang, weiter nichts als schönen Dank und große Ehre und schönes Wetter heute, und forderte, nachdem er Angelika gesehen hatte, den Freund ermunternd auf, im Schreiben nicht nachzulassen und an Siegellack nicht zu sparen, auf ihn als reitenden Boten sei Verlass. „Steck Dir eine Zigarre an“, sagte er.

Aber Herr Knecht steckte sich keine Zigarre an. Er wurde unruhig. Herr Knecht überdachte die Summe seiner Briefe, die schlicht gesagt Liebesbriefe waren und daraufhin strebten jene Angelika Pütz zu ehelichen unter dem Motto: Geteiltes Alter ist halbes Alter. Es war ein Schlagwort. Herr Knecht beschloss zu handeln. Er ging hin…Plötzlich packte ihn der Mut. Oder ahnte er bereits?

Es heißt, dass er nicht ganz bis zum Haus der Dame gekommen sei. Unterwegs begegnete ihm die Post, die Bundespost, ihr uniformierter Bote, und übergab Herrn Knecht eine Drucksache. Darin hieß es, dass Heinrich Kruse und Angelika Kruse, geborene Pütz sich die Ehre geben, ihre Vermählung anzuzeigen.

Der von seinem Freund verratene und um eine gut anzuschauende Weibsperson Ende der vierzig geprellte Herr Knecht litt sehr unter seiner Niederlage. Er schickte auch keinen Glückwunsch und war alles in allem wohl doch ein wenig altmodisch mit seinem Siegellack und dem reitenden Boten.

Leider ist es so, dass die Leute schlecht sind und an solchen Dingen ihren Spaß haben, besonders die Leute in unserer Straße.




Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf

Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz