Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten hin und wieder von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft äußerst befremdlich wirkenden Zeitgeistes. Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes.

Bernhard Schulz
„Die Braut im Regen“ 1986

Ein wohlhabender Kaufmann sah eines Morgens, als ein Gewitter Blitz und Donner und Hagel über die Landschaft herabkommen ließ, ein kleines‘ Auto am Straßenrand stehen, das offensichtlich eine Panne hatte. Der Kaufmann nahm dieses Bild nur im Vorbeifahren wahr. Er war in Eile, denn wichtige Geschäfte warteten. Geschäftsabschlüsse sind wichtig, sie dulden keinen Aufschub, und Leute in einem kleinen, kaputten Auto interessieren da nicht.

Irgendwie jedoch ging ihm das Bild, das er so schwach wahrgenommen hatte, nicht aus dem Sinn. Ein junger Mann im schwarzen Anzug, erinnerte er sich, stand vor hochgestellter Haube über den Motor gebeugt und betrachtete einen Schraubenzieher oder etwas Ähnliches. Er sah verzweifelt und wütend aus.

Und im Wagen? Saß da nicht ein Mädchen im weißen Kleid, einen Schleier über dem Haar? War es ein Brautpaar, unterwegs zur Trauung?

Der Geschäftsmann verlangsamte seine Fahrt, hielt an, überlegte, rang mit seinem bösen Ich, bat das gute Ich um Rat und fuhr zurück.

„Panne?“ fragte er.

„Sieht so aus“, antwortete der junge Mann im schwarzen Anzug; ein silbriges Blümchen im Knopfloch wies ihn als Bräutigam aus.

„Die Kiste läuft nicht mehr. Ich weiß nicht, woran es liegt, und der Schraubenzieher weiß es auch nicht“.

Der Schraubenzieher weiß es auch nicht — das gefiel dem Kaufmann. „Ich schleppe Sie zur nächsten Tankstelle“, schlug er vor, „dann sehen wir weiter!“

Sie seilten das kleine Auto an das große Auto, und dann ruckelten sie los. Es war etwas über den Kaufmann gekommen, das ihn erschreckte. Du wirst sentimental, schalt er sich, hast du’s nötig, diese Karre abzuschleppen? Im Rückspiegel weinte die Braut. Aus den Augen flossen Tränen und aus dem Schleier Regentropfen. Kein schöner Hochzeitstag, dachte er.

„Die Zufuhr zur Benzinpumpe ist gerissen“, stellte der Tankstellenwärter fest, „ich muss das Ersatzteil aus der Stadt kommen lassen. Kann sechs Stunden dauern. Wenn wir Glück haben“, fügte er hinzu, „bei diesen alten Typen ist das immer so eine Sache.“ Er trat gegen den rechten Vorderreifen des kleinen Wagens.

Der Kaufmann, im Gefühl, noch nicht alles getan zu haben, fragte den Bräutigam: „Wo wollen Sie überhaupt hin?“

„Nach Huntlosen.“

„Und wo liegt das?“

„Etwa achtzig Kilometer von hier.“

„Und was gibt es da zu sehen?“

„Wir wollen dort heiraten. Huntlosen ist unsere Heimat. Unsere Familien haben alles vorbereitet. Man erwartet uns um elf Uhr in der Kirche.“

Der Kaufmann hatte an diesem Tag, an dem es blitzte, donnerte und goss, seinen Tag. „Wissen Sie was“, sagte er, „ich fahre Sie hin. Bis elf Uhr schaffen wir das spielend. Wie war der Name…?“

„Huntlosen“, antwortete diesmal die Braut; sie hatte aufgehört zu weinen.

„Huntlosen“ wiederholte der Kaufmann, als hätte er den Namen nie gehört

Und so kam es, dass die jungen Leute zur rechten Zeit vor den Traualtar traten. Der Kaufmann, dessen Geschäftsabschlüsse jetzt endgültig geplatzt waren, ward eingeladen, an der Trauung und am Hochzeitsessen teilzunehmen. „Mit großem Vergnügen“, sagte er. Dieser Ausflug ins Nichtalltägliche, dieser ganz und gar nicht eingeplante Abstecher, bereitete ihm von Stund zu Stund mehr Wonne als er je empfunden hatte. Die Menschen an der Hochzeitstafel gefielen ihm ihrer einfachen Art wegen, und er genoss die Dankbarkeit, die ihm entgegenschlug. Er: der unbekannte Wohltäter, der Mann mit dem Abschleppseil, ein Kavalier der Landstraße, ein Gast unter Gästen.

„Und das in Huntlosen“, sagte er, als sei Huntlosen für ihn ein Ort von großer Bedeutung geworden.




Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf

Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz