Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten hin und wieder von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft äußerst befremdlich wirkenden Zeitgeistes. Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes.

Bernhard Schulz
„Was Teenager sich wünschen“ 1962

Jeden Sonnabend um elf Uhr treffen sich in dem Café am Marktplatz einige Herren, die seit der Schulzeit miteinander befreundet sind und unterschiedlichen Berufen nachgehen.

Da ist ein Studienrat, ein Amtsgerichtsrat, ein Textilfabrikant, ein Arzt und ein Oberregierungsrat. Sonnabends gegen elf haben sie ihre Tätigkeit abgeschlossen und besuchen das kleine Café, um über die Weltereignisse zu sprechen.

Es sind Männer im besten Alter, denen man Gesundheit und Zufriedenheit schon von weitem ansieht. Sie reichen der Bürgerschaft unserer Stadt zur Ehre, und das kleine Café am Marktplatz ist mit Recht stolz auf seine Stammgäste. Manchmal beteiligt sich auch der Inhaber des Cafés am Gespräch der Herren.

Er kommt in seiner weißen Konditorjacke an den Tisch und hört zu. Der Konditor ist deshalb Konditor geworden, weil ihm das Gymnasium auf die Dauer zu anstrengend war. Aber er stellt heute weit und breit den besten Baumkuchen her. Seine Spezialität sind Marzipantorten mit dem Schriftzug „Dem lieben Geburtstagskind“.

Soeben hat nämlich der Amtsrichter eine Torte in Auftrag gegeben. Seine Tochter Isabel wird achtzehn Jahre alt. Und nun haben die Herren, nachdem sie die Weltereignisse erörtert haben, ein aufregendes Thema.

„So, die Isabel wünscht sich eine Marzipantorte zum Geburtstag?“

„Nein“, sagt der Amtsgerichtsrat, „so bescheiden tut’s die Isabel nun auch wieder nicht. Die Marzipantorte wird gar nicht angerechnet. Auf dem Wunschzettel steht ein Frühjahrskostüm, Coco Chanel oder wie das heißt. Hab‘ ich nie gehört.“

Auch die übrigen Herren haben nie etwas von Coco Chanel gehört. Weiß der Himmel.

„Meine Belinda“, mischt sich der Studienrat ein, „bekam ein Tonbandgerät. Sie will Schauspielerin werden und spricht Klassikertexte auf Band. Das Mädchen ist begabt. Ihr müsstet einmal hören, wie sie die ‚Nora‘ gestaltet. Großartig. „Die Nora ist von Ibsen“, sagt der Konditor.

„Meine Älteste“, fährt der Arzt fort, „wünschte sich zum achtzehnten Geburtstag eine Mittelmeerreise. Sie war versessen darauf, Gibraltar zu sehen. In Athen lernte sie einen Amerikaner kennen. Sie kam verlobt zurück, richtig verlobt.“

„Da sieht man, wozu Mittelmeerreisen gut sind“, wirft der Amtsgerichtsrat ein, „Und du, Berthold? Ich frage mich gerade, was du deiner Marie-Luise zum Geburtstag geschenkt hast.“

„Ein Auto“, antwortet Berthold mit übertriebener Sachlichkeit. Der Freund, den sie Berthold nennen, ist Textilfabrikant.

„Ein Auto, soso“, murmeln die. Herren. „Das ist allerdings die Höhe. Da kommen wir nicht mit, du meine Güte. Nach dem Auto kommt dann das Reitpferd, nicht wahr?“

„Mal sehen“, lächelt der Textilfabrikant. „Aber wir haben den Oberregierungsrat noch nicht gehört. Karl, du hast doch auch einen Teenager zuhause! Heraus mit dem Wunsch – wozu hat sich deine Ulrike verstiegen?“

„Meine Ulrike?“ Der Oberregierungsrat schmunzelt.

„Sie wünschte sich, dass ich mit ihr essen gehen sollte, einmal ganz schick. Ich musste meinen schwarzen Anzug hervorholen und die erwachsene Tochter in ein erstklassiges Restaurant führen. Dort haben wir – wartet mal – Windsorsuppe, Austern mit Taubenbrust, Lendenschnitten in Sahne und Creme brulée gespeist“.

„Jetzt fehlt nur noch der Champagner“, sagt der Studienrat.

„Richtig“, antwortet der Oberregierungsrat, „wir haben Champagner getrunken und sind im Taxi heimgefahren. Ich bin an keinem anderen Abend meines Lebens so stolz gewesen.“

Und das glaubten sie ihm.




Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf

Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz