Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten häufig von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft befremdlich wirkenden Zeitgeistes.

Bernhard Schulz
„Abrechnung mit meinen Rednern“ 1956
(Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Mit Taten ist es in der Welt nicht halb so gut bestellt wie mit Untaten. Die Tat wird gemeinhin durch Rede ersetzt. Bevor jemand zur Tat schreitet, schreitet er zum Redner­pult. In tiefschürfender Rede wird die Tat durch zahllose Worte unter­mauert. Erst dann läuft das Schiff vom Stapel. Erst dann braust das neue Feuerwehrauto los. Erst dann öffnet der Modesalon seine Pforte. Erst dann wird die Brücke dem Verkehr übergeben. Schiff, Feuerwehrauto, Mode­salon und Brücken sind Taten.

Bei Untaten ist es umgekehrt. Bei Untaten werden erst sehr viel später Worte gemacht, und gewöhnlich hört dann nur der Untäter zu, der es ent­sprechend langweilig findet. Es ist das Wesen der Untat, dass sie die Rede scheut. Von Untaten vorher Aufheben zu machen, ist unklug. Ich rate ab.


Vor kurzem lernte ich in einer klei­nen Stadt einen Bürgermeister kennen, der im Krieg General gewesen war. Jedes Mal, wenn der Bürgermeister, der im Krieg General gewesen war, eine Rede halten musste, endete es mit Schluchzen. Seine Stimme erstickte vor Rührung. Das war es wohl, was ihn den Wählern wert gemacht hatte. Sie konnten sich einen weinenden General nicht vorstellen. Deshalb sagten sie sich mit Recht, dass er kein schlechter Kerl sei. Ein General, der statt Blut Tränen ver­gießt, ist in Ordnung. Fürwahr. Der General war ein guter Bürgermeister, aber ein miserabler Redner, und das gefiel den Leuten.


Auch mir sind schlechte Redner lie­ber als jene gewaltigen Naturen, die mit ihrer Stimme alles in Grund und Boden donnern. Bei unbegabten Red­nern kommen wir zum Essen niemals zu spät. Bei begabten Rednern müssen wir den Riemen enger schnallen. Es dauert lange, bis sie einsehen, dass es genug ist. Ihrer Rede Sinn ist Missbrauch der Geduld der anderen.

Ich glaube, dass niemand bereit ist, länger als fünfzehn Minuten zuzuhören. Nach der fünfzehnten Minute fängt jeder an, sich mit seinem Innen­leben zu beschäftigen. Deshalb lohnt es sich gar nicht, begabte Redner zu engagieren. Sie erregen Unwillen. Je­denfalls sollte man ihnen vorsichts­halber Böllerschüsse mit Zeitzünder ans Stehpult binden.

Derartige „Fasse-dich-kurz-Böller“ müssten an jedem Saaleingang , zu kaufen sein,  damit man  sie notfalls gleich zur Hand hat.


Einmal stand ich hinter einem Rats­herrn, dem die Aufgabe zugefallen war, zum Tag des Baumes eine An­sprache zu halten. Er hielt auf dem Rücken mit beiden Händen das Manu­skript fest. Hände, Manuskript und Rücken zitterten unaufhörlich – ein bejammernswerter Anblick. Der Redner hatte Angst, und dabei ist Baum doch ein verhältnismäßig bequemes Thema. Milchpreis zum Beispiel ist viel schwieriger. Keine Pappel nimmt es einem übel, wenn man bei Eiche kurz bleibt.

Nun, als der Mann zu sprechen an­fing, setzte sich das Zittern auch in der Stimme fort. Das Manuskript war un­leserlich zerknautscht, und die Anwe­senden erfuhren nur, dass wie alljähr­lich so auch diesmal wieder der Tag des Baumes herangekommen sei. „Und in diesem Sinne“, fuhr der Zitterredner fort, „wollen wir jetzt einen Baum pflanzen.“

Es war eine schöne Ansprache, kurz und zutreffend, und die Tat folgte ihr auf dem Fuße; denn ein neuer Baum ist eine Tat, davon lasse ich mich nicht abbringen.


Unvergesslich ist mir ein Mann, der seine kaum begonnene Rede mit folgenden Worten abbrach: „Meine Da­men, meine Herren! Ich bin zerstreut. Entschuldigen Sie bitte. Ich erwarte daheim ein freudiges Ereignis“. Sprach’s und drehte der Gesellschaft den Rücken.

Der Mann hatte einen Vortrag über den störenden Einfluss des Wetters auf die Herstellung irgendwelcher Fabrikate zu halten – und was tat er? Der störende Einfluss des Wetters auf die Herstellung   irgendwelcher   Fabrikate ist ihm plötzlich schnuppe. Er beschloss zu handeln statt vorzutragen. Ihm ge­bührt der Lorbeer der kurzen Rede.
Sein Beispiel möge bahnbrechend wir­ken für alle Redner, die sich dem Stehpult jemals nahen.

Eine Brücke ist eine Tat. Auch ein Baum ist eine Tat. Aber ein freudiges Ereignis? Das ist die Tat der Taten … Ihm nach, ihm nach …

 

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

 

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz