Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten hin und wieder von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft äußerst befremdlich wirkenden Zeitgeistes. Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes.

„Das Testament“ 1961

„Jemand angerufen“, fragte der Notar.

„Ja“, antwortete das Fräulein Sekretärin, „man bittet Sie, so schnell wie möglich zum Reuschhof zu kommen. Dem Bauern geht’s nicht gut. Er will sein Testament aufsetzen.“

Das Fräulein half dem Notar in den Regenmantel und knipste die Aktentasche zu. Richtiges Wetter zum Sterben, dachte sie.

„Nun geht man alle in die Stube“, befahl der Reuschhofbauer, als der Notar eintrat, „ich will mit dem Doktor allein sein.“

Da lag er also, der Reuschhofbauer, dessen letztes Stündlein schlagen wollte.

„Dies ist mein letzter Wille“, sagte er.

Der Notar schrieb mit.

„Willhelm soll den Hof haben. Ein guter Landwirt, du kennst ihn ja, Doktor.“

Der Notar nickte. Er kannte den Reuschhof und seine Kinder so gut wie seine eigene Familie.

„Heinrich, der ist ja nun Beamter geworden, er soll zwanzigtausend Mark kriegen.“

„Zwanzigtausend“, wiederholte der Notar.

„Otto ist bei den Soldaten, der kann zwanzigtausend Mark ganz gut gebrauchen.“

„Zwanzigtausend für Otto.“

„Unser Lisbeth kriegt auch zwanzigtausend Mark.“

„Zwanzigtausend“, sagte der Notar.

„Ernst, was mein Jüngster ist, der muss auch zwanzigtausend Mark kriegen.“

„Zwanzigtausend“, schrieb der Notar.

„Unsere Frieda, die uns vierzig Jahre treu gedient hat, schreib‘ man fünfzehntausend auf.“

„Fünfzehntausend…“

„Und was unser guter Pfarrer ist, dem schreiben wir zehntausend Mark auf…“

„Zehntausend…“

„Die Gemeinde soll nicht leer ausgehen, hat Unkosten mit der Schule gehabt. Zehntausend, steht’s da?“

„Zehntausend“, antwortete der Notar, „es steht da. Aber sag‘ mal, Bauer, soviel Geld hast du doch gar nicht!“

„Egal, egal … sie sollen den guten Willen sehen.“




Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf

Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz