Freitag, 29. März 2024

Sonntag, 12.00 Uhr: Bernhard Schulz mit Fritz Wolf: „Der erste Schmetterling“ – 1950

Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber, dessen Geschichten zumeist von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden, zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

Bernhard Schulz
„Der erste Schmetterling“ – 1950
(Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Der erste Schmetterling sei angesagt. Er wurde heute Morgen auf der Redaktion abgegeben. Es war ein Falter, der in der Wärme einer Schlosserwerkstatt erwacht war. Ein Knabe bot ihn dem Redakteur in einer Zigarettenschachtel dar.

Es war ein Vorgang ähnlich dem, der uns in Bibeltexten erregt, wenn wir lesen, dass Kundschafter in einem fernen, unerforschten Land köstliche Früchte gefunden haben, eine Weintraube zum Beispiel, die sie zu zweien an einer Stange ins Lager ringen.

Zweifellos erfreute auch den Knaben der Wunsch, der Zeitung und damit der Außenwelt eine frohe Botschaft zu unterbreiten.

Der erste Schmetterling ist den Lesern um diese Jahreszeit so sicher wie der erste Maikäfer, der erste Amselruf und das erste Veilchen. Der Frühling schickt seine Boten voraus und alle werden mit Jubel und mit Druckerschwärze begrüßt. Es sind grüne, rührend zaghafte Hoffnungen, die aus dem Eis des Winters erblühen. Mit dem Falter ging es folgendermaßen zu: Der Lehrling stand an seiner Werkbank, um an einem Stück Heizungsrohr zu feilen und plötzlich taumelte in die von Staub und Spinnweben dunkle Nische des Fensters der Schmetterling. Mit einem Male wurde sich der Knabe der Dunkelheit bewusst. Sommersehnsucht kam ihn an. Heimweh überfiel ihn. Er spürte die Kälte des Metalls an seinen Händen. Er roch den Staub der Werkstatt, das Öl, das Gas, die zischende Flamme des Schneidbrenners.

Er setzte den Falter auf den Handrücken und betrachtete voller Neugier dieses schillernde, kaum wahrnehmbare Lebewesen, halb Blüte, halb Insekt und in das fromme Staunen des Lehrlings mischte sich die Anteilnahme des Meisters und seiner Gesellen.

Es gibt Nachrichten, die wesentlicher sind als die Ankunft eines Schmetterlings – Krieg, Erdbeben, Seuchen. Aber es gibt nichts, das zärtlicher ist, beglückender, unwichtiger, vergänglicher, liebenswürdiger, anspruchsloser als ein Schmetterling. Dieser Schmetterling ist ein Hauch aus dem Nichts. Er ist eine Sekunde der Andacht. Er ist das Wunder der Erweckung durch einen Sonnenstrahl. Er ist ein bedeutungsloses Ereignis in einer bedeutungslosen Stunde. Ein Schmetterling.

„Los, Junge“, sagte der Meister, „den bring mal schnell zur Zeitung!“ Da sitzt er nun, der erste Bote unseres Frühjahrs. Herzlich willkommen.


Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie

Bernhard Schulz (1913 – 2003) dürfte ein Osnabrücker Autor sein, der nicht nur in seiner Heimatstadt wahrhaftig keinen Vergleich zu scheuen braucht: Stolze 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden. Völlig zu Unrecht, das ist zumindest die Auffassung der OR-Chefredaktion, ist dieser markante Schreiber heutzutage fast in Vergessenheit geraten. Wir drucken die Geschichten im Original ab.

Eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr in der Osnabrücker Rundschau eine Reportage von Heiko Schulze, der sich Anfang Juli dieses Jahres mit dem reichhaltigen Wirken des Osnabrücker Journalisten und Schriftstellers auseinandergesetzt hat. Dies nebenbei nicht ohne Anlass: Wie Hans Wunderlich, Josef Burgdorf oder Karl Kühling zählte Schulz anno 1946 zum Redaktionsteam der damaligen Osnabrücker Rundschau, der leider nur ein kurzes Zeitungsleben zuteil wurde.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

 

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz

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