Freitag, 29. März 2024

Sonntag, 12.00 Uhr: Bernhard Schulz mit Fritz Wolf – „Der Weg zu Elske“ (1952)

Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten hin und wieder von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft äußerst befremdlich wirkenden Zeitgeistes. Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes.

Bernhard Schulz
Der Weg zu Elske (1952)
(Links zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Alte Liebe in der Weihnachtszeit

Alle Männer hatten ein Mädchen am Arm. Alle Männer hatten eine Frau daheim. Alle Männer hatten ein Kind. Aber einer war unter ihnen, der stand abseits.

Er hatte zwar einmal ein Mädchen gekannt, aber das war schon lange her, und er wusste eigentlich kaum noch, wie sie beschaffen gewesen war. Jung, brav, ein gesundes Dorfkind mit blanken Augen? Ihr Vater hatte nicht dulden wollen, dass sie schon einen Liebhaber besaß. Einmal begleitete er sie nach Hause. Da standen sie dann und fürchteten sich. Heiraten, dachte er, ich habe nichts als eine Harmonika in der Tasche.

Seitdem war nie wieder sein Herz von diesem süßen Weh befallen worden. Aber je mehr Jahre ins Land gingen, desto sehnsüchtiger gedachte er jener Liebe, und er bereute immer aufrichtiger, dass er nicht wenigstens von Zeit zu Zeit geschrieben hatte. Er war damals einfach weggegangen, hatte sich aufgemacht in den Krieg, ohne ein Versprechen… „Auf Wiedersehn“, weiter nichts.

Das also hatte es ihm eingebracht: Einsamkeit, ein Leben ohne Glück und Ziel. Er beschloss, einen Brief zu schreiben. Er wolle sich hiermit erkundigen, ob sie noch am Leben sei. Sicher erinnere sie sich noch an ihn, der damals so treulos gegangen sei. Inzwischen habe er mancherlei erlebt, Krieg und Gefangenschaft, und er sitze jetzt im Büro, dem hohen Chef gegenüber. Er wünsche sehr, dass er eine gewisse Elske Wiedersehen dürfe, an den Weihnachtstagen, und wenn sie es einrichten könne, dann möge sie ihm einen Brief schreiben. Ja?

Er schrieb auch diesmal nichts von Liebe. „Sehr geehrtes Fräulein“, setzte er vorsichtig genug über den Brief. Er wartete voller Herzklopfen. Er rechnete genau aus, wann Antwort kommen müsste, wenn ihr auch nur das geringste daran gelegen wäre, ihn wiederzusehen.

Die Tage gingen mühsam dahin; sie brachten ihm nicht den ersehnten Brief, aber in Gedanken hatte er schon tausendmal seine Zeilen gelesen, sie sei verheiratet, hieß es darin. Im Übrigen wundere sie sich, dass jemand, der so wenig Treue habe, sie an solche Tändelei zu erinnern geruhe. Ob ihn Langeweile plage, da im Büro, dem hohen Chef gegenüber?

Oh, er mochte nicht weiterlesen. Ein paar Sätze nur, aber sie rissen nieder, was er in seinem Herzen aufgebaut hatte. Er redete sich ein, dass seine Liebe nicht aufrichtig sei und dass es auf die Dauer nicht genügen würde, verheiratet zu sein, bloß um der Einsamkeit zu entfliehen.

Endlich kam der Brief. Ja, sie lebe noch, und sie habe nichts einzuwenden, wenn er Weihnachten kommen wolle. Herzlichen Gruß, Elske Beut. Es war ihr Mädchenname.

Am Tage vor Weihnachten fuhr er zu ihr. Es war eine lange Reise. Unterwegs glühte es ihn durch und durch, dass er nun bald in ihrer Nähe sein würde und für sein Herz geradezustehen hätte. Als er auf dem kleinen Bahnhof ankam, wartete sie an der Sperre.

„Ich freue mich sehr, dass du gekommen bist“, sagte sie, „du kannst bei uns wohnen, wenn du willst. Wir sind alte Freunde, ja?“  „Man hat mir einen Arm abgeschossen“, sagte er. Elske nickte. Sie führte ihn den alten Weg über den Fluss und durch den verschneiten Wald. Es war alles wie früher. Der Fluss rauschte, der Wald knackte mit seinen Ästen, und der Schnee rieselte dahin. Der Mann sah, dass Elske erwachsen war, ein großes gescheites Mädchen; fast fürchtete er sich vor ihr. Er war so demütig jetzt. Er wusste nicht, wie er es anfangen sollte, aber er wollte auch nicht länger in Ungewissheit leben und so tun wie alle, die ein Mädchen gewinnen wollen: sich wichtigmachen und prahlen…

Er sagte einfach: „Ich habe immer an dich gedacht, Elske. Damals waren wir beide jung, und es hatte wohl noch keinen Sinn, zu fragen. Heute habe ich eine gute Stellung. Der Krieg ist vorbei…“ Er hielt inne und sah sie an. Sie hatte ganz dasselbe Lächeln wie früher, als er von ihr gegangen war, stolz, fast ein wenig spöttisch, das konnte sie nicht ableugnen. Aber sie war alles in allem doch größer, entschlossener, selbstbewusster. Sie blieb nicht stehen. Sie schritt durch den Schnee weiter, als sei nichts geschehen. Als er sie um diese paar Schritte eingeholt hatte und seine Hand auf ihre Schultern legte, wandte sie sich ihm zu und sagte: „Ja.“


Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie

Bernhard Schulz (1913 – 2003) dürfte ein Osnabrücker Autor sein, der nicht nur in seiner Heimatstadt wahrhaftig keinen Vergleich zu scheuen braucht: Stolze 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden. Völlig zu Unrecht, das ist zumindest die Auffassung der OR-Chefredaktion, ist dieser markante Schreiber heutzutage fast in Vergessenheit geraten.

Eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr in der Osnabrücker Rundschau eine Reportage von Heiko Schulze, der sich Anfang Juli dieses Jahres mit dem reichhaltigen Wirken des Osnabrücker Journalisten und Schriftstellers auseinandergesetzt hat. Dies nebenbei nicht ohne Anlass: Wie Hans Wunderlich, Josef Burgdorf oder Karl Kühling zählte Schulz anno 1946 zum Redaktionsteam der damaligen Osnabrücker Rundschau, der leider nur ein kurzes Zeitungsleben zuteil wurde.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.

 

 


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier.
Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz

 

 

 

 

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