Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten häufig von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft befremdlich wirkenden Zeitgeistes.

Bernhard Schulz
„Engel mit Topfblume “ – 1952
(Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Sie heißt Martha, ist siebzehn Jahre alt und hat soeben die Schule verlassen. Auf der Suche nach einer Lehrstelle bewarb sie sich auf eine Anzeige, in der ein Florist einen Lehrling sucht mit „Schulabschluss und guten Umgangsformen“. Es war offensichtlich, dass es hier um Höheres ging als um die Ausbildung im Umgang mit Gewächsen schlechthin. Der Lehrherr – ein Florist und nicht etwa irgendein Gärtner – knüpfte bestimmte Voraussetzungen an das weibliche Wesen, das er anzulernen und einzusetzen gedachte. Wünschte er heimlich sogar, der Lehrling möge „ansehnlich“ sein

Der Florist wurde nicht enttäuscht. Martha war hübsch, apfelwangig schön wie die Mädchen auf den Bildern von Renoir. Anfangs war sie ängstlich, aber mit der Zeit legte sich ihre Befangenheit. Der Lehrling war dazu ausersehen, Blumengebinde vor den Türen der Kundschaft abzugeben, und wie macht man das?

Nehmen wir einmal an, ein Fabrikdirektor ruft an: „Schicken Sie mir zehn Chrysanthemen, meine Sekretärin hat Geburtstag. „Der Florist bedankt sich für den Auftrag: „Ich schicke Ihnen die schönsten Chrysanthemen, die ich habe.“ Und Martha muss los mit den schönsten Chrysanthemen. Die Chrysanthemen entfalten Pracht und Duft intimer, als es sich durch den Fahrer eines Firmenwagens machen ließe. Martha weiß, um was es geht. Sie knickst artig und lächelt, apfelwangig schön, wie sie nun einmal ist.

Frau Meier-Schnürsack, eine verwitwete Dame über siebzig, soll in ihrem Bridge-Klub geäußert haben: „Jedes Mal, wenn Martha Blumen bei mir abgibt, wirkt das auf mich wie ein Sonntagnachmittag im Frühling.“ In der Tat, Marthas Anmut ist Kapitalanlage. Das Geschäft mit weißen und roten Rosen blüht, und gefragt ist Männertreu. Es ist, als sei der Sinn für Schnitt- und Topfblumen heftiger erwacht, als es die Planung des Floristen ahnen ließ.

Martha geht auf Geschäftskosten zum Friseur und zur Kosmetik. Sie lässt sich die Fingernägel mit einem verführerischen Rosa lacken. Sogar im Lack der Fingernägel erweist sich der Umsatz im Blumenhandel. Marthas Hände erheben die Visitenkarte ihrer Firma in den Rang einer versiegelten Depesche. Beehren Sie uns bald wieder. Ihr Florist.

Es gibt Leute, die nicht wissen, dass es Blumen gibt. Erst durch Martha erfahren sie es. Martha bringt die Freude, den Optimismus, die Zuversicht in Wallung. Die gute Laune knattert und pufft. Der Genuss am Dasein pflanzt sich fort durch Farben und Duftwölkchen. Martha ist die Summe aller Glückwünsche in unserer Stadt.

Martha knickst auf grünen, silbernen und goldenen Hochzeiten. Sie gibt Jubiläumsfeiern, Geschäftseröffnungen und Dichterlesungen den fehlenden Rest. Sie hat ihren Auftritt am Wochenbett der glücklichen Mama und in der Garderobe des bewunderten Tenors. Martha ist dabei, wenn jemand aus Afrika zurückkehrt oder in der Klassenlotterie den großen Schnitt gemacht hat. Sie beglückwünscht den Schulrat zur Ernennung und den abgehenden Regierungsrat zum Ruhestand.

Kein freudiges Ereignis sickert ohne Marthas Beistand in den Mahlstrom des Vergessens. Gewiss haben auch wir anderen eine Aufgabe. Aber Marthas Aufgabe ist wirklich eine Aufgabe. Sie ist der Engel mit der Topfblume, wie ihr Chef sagt, der Glückskäfer mit dem Nelkenstrauß, der frohe Bote mit der Palme. Ich frage mich, wann nimmt unsereins endlich die Gelegenheit wahr, Licht zu verbreiten und zur Freude Anlass zu geben?

Nun ja, unsereins ist ja auch nicht schön.


Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie

Bernhard Schulz (1913 – 2003) dürfte ein Osnabrücker Autor sein, der nicht nur in seiner Heimatstadt wahrhaftig keinen Vergleich zu scheuen braucht: Stolze 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden. Völlig zu Unrecht, das ist zumindest die Auffassung der OR-Chefredaktion, ist dieser markante Schreiber heutzutage fast in Vergessenheit geraten. Wir drucken die Geschichten im Original ab.

Eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr in der Osnabrücker Rundschau eine Reportage von Heiko Schulze, der sich Anfang Juli dieses Jahres mit dem reichhaltigen Wirken des Osnabrücker Journalisten und Schriftstellers auseinandergesetzt hat. Dies nebenbei nicht ohne Anlass: Wie Hans Wunderlich, Josef Burgdorf oder Karl Kühling zählte Schulz anno 1946 zum Redaktionsteam der damaligen Osnabrücker Rundschau, der leider nur ein kurzes Zeitungsleben zuteil wurde.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946 Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard Schulz Sohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

 

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951 Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz