Sonntag, 12.00 Uhr: Bernhard Schulz mit Fritz Wolf – „Ein weltberühmter Mann“ (1958)

Bernhard Schulz
„Ein weltberühmter Mann“ (1958)
(Links zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Zu Ehren des großen Komponisten, der seine Sinfonie selbst dirigiert hatte, fand nach dem Konzert ein Festmahl statt. Nur die hervorragendsten Bürger der Stadt waren zu diesem Essen eingeladen worden. Der Komponist besaß einen weltberühmten Namen. Jede Stadt in jedem zivilisierten Land hätte es sich zur Ehre angerechnet, dem Dirigentenstab des Meisters folgen zu dürfen. Er war ein sehr bescheidener, sehr gütiger und sehr freundlicher Mann, der Komponist und er machte sich nichts daraus, dass er berühmt war. Und nun sollte er den Vorsitz bei Tisch führen und womöglich gar mit seinem Dirigentenstab ans Sektglas klopfen und eine Rede halten.

Nun ja, er konnte reden. Er konnte sogar vorzüglich reden; denn er war Professor an einer Hochschule gewesen. Aber er spürte diesmal nicht die geringste Lust, seinen Gastgebern gefällig zu sein. Am liebsten wäre er aufgestanden und weggegangen. Er hatte, wie fast alle Künstler, einen Hang zur Würstchenbude und zum Schwatz in Stehbierhallen, wo er mit Straßenbahnschaffnern, Lokomotivführern und Vorsitzenden von Kleingärtnervereinen verkehrte, die er zu fragen pflegte, was sie vom Wetter hielten und ob sie einen guten Witz gehört hätten.

Als der berühmte Komponist an der Tafel erschien, im Frack natürlich, wie es sich gehörte und die Frau Komponist trug ein schwarzes Abendkleid und einen Strauß roter Rosen im Arm, da setzten sich alle hin und ließen kein Auge vom berühmten Komponisten. Und alle warteten gespannt auf die Rede. Der Komponist, der gleichzeitig Dirigent, Hochschullehrer, Briefmarkensammler und Kakteenzüchter war und es in jedem dieser Ressorts zur Berühmtheit gebracht hatte, dachte gar nicht daran zu sprechen. Er aß und trank und enttäuschte die Honoratioren sehr.

Die Herrschaften hatten sich einen Mann vorgestellt, der ihnen die Geheimnisse seines Ruhmes entschleiern würde, indes sie selbst an Geflügelsalat, gespickter Rinderbrust und Oppenheimer Krötenbrunnen sich labten. Sie konnten nicht begreifen, dass ein Meister nicht immer Lust hat, berühmt zu sein. Ich nehme an, dass Männer von der Art des Komponisten recht genau wissen, mit wem sie zu Tisch sitzen und warum sie partout schweigen. In das Anschauen hinein, das nur vom Knallen der Sektkorken ein wenig gelockert wurde, richtete eine Dame der Gesellschaft folgende Worte an die Frau des Komponisten: „Nun, wie fühlen Sie sich als Gattin eines so berühmten Mannes?“
Dem Komponisten fiel nicht das Glas aus der Hand. Auch standen ihm nicht die Haare zu Berge. Im Gegenteil, er schmunzelte. Es machte ihm Spaß, dass sich die Dummheit solcherart selbst entlarvte. Jetzt konnte er sicher sein, dass zumindest die Damen seiner Sinfonie nicht gefolgt waren.

„Sie müssen wissen, Frau Generaldirektor“, sagte die Lebensgefährtin, „dass sich mein Mann gar nicht berühmt vorkommt. Wir bewohnen eine Drei-Zimmer-Wohnung ohne Mädchen und nach Tisch steht mein Mann in der Küche und hilft beim Abwaschen. Und dann dreht er die Kaffeemühle, was ihm besonders viel Vergnügen macht. Nachmittags gehen wir auf dem Lande spazieren und unterhalten uns mit den Bauern über die neuen Kirchenfenster und schauen uns die Ferkel an und die Bauern ihrerseits beginnen mit meinem Mann ein Gespräch über Philatelie und Kakteenzucht. Bisweilen bleiben wir dann in solch einer Bauernstube bis spät in den Abend hinein sitzen und kein Mensch verdächtigt uns des Ruhmes.“

So, da hatte es die Frau Generaldirektor, und was die Frau Komponist gesagt hatte, war die reine Wahrheit; denn Leute, die viel Geld besitzen, erwarten nicht, dass der Mensch auch im grauen Alltag das Glück findet. Die Sinfonie des weltberühmten Komponisten war nämlich der musikalische Ausdruck für die Weisheit der begnadeten Greise, dass Glück nicht im Überschwang des Erlebens, sondern in der Einfachheit der Liebe zweier Menschen wurzelt.

Die Sinfonie war keine Schnulze, die Sinfonie war ein Opus. Aber das wusste die gnädige Frau nicht.


Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie

Bernhard Schulz (1913 – 2003) dürfte ein Osnabrücker Autor sein, der nicht nur in seiner Heimatstadt wahrhaftig keinen Vergleich zu scheuen braucht: Stolze 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden. Völlig zu Unrecht, das ist zumindest die Auffassung der OR-Chefredaktion, ist dieser markante Schreiber heutzutage fast in Vergessenheit geraten.

Eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr in der Osnabrücker Rundschau eine Reportage von Heiko Schulze, der sich Anfang Juli dieses Jahres mit dem reichhaltigen Wirken des Osnabrücker Journalisten und Schriftstellers auseinandergesetzt hat. Dies nebenbei nicht ohne Anlass: Wie Hans Wunderlich, Josef Burgdorf oder Karl Kühling zählte Schulz anno 1946 zum Redaktionsteam der damaligen Osnabrücker Rundschau, der leider nur ein kurzes Zeitungsleben zuteil wurde.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz
Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.

 


Neugierigen seien überdies diese Internet-Seiten ans Herz gelegt:
http://www.BernhardSchulz.de
https://de.Wikipedia.org/wiki/Bernhard_Schulz 
http://www.Fritz-Wolf.de

Bislang in der OR erschienen:
Geschichte vom 21.11.2021
Geschichte vom 28.11.2021
Geschichte vom 05.12.2021
Geschichte vom 12.12.2021
Geschichte vom 19.12.2021
Geschichte vom 26.12.2021
Geschichte vom 02.01.2022
Geschichte vom 09.01.2022
Geschichte vom 16.01.2022
Geschichte vom 23.01.2022
Geschichte vom 30.01.2022
Geschichte vom 06.02.2022

Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber, dessen Geschichten zumeist von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden, zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

 

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