Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber, dessen Geschichten zumeist von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden, zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

 

Bernhard Schulz
„Lob der Gartenlaube“ (1951)
(Links zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Wo Gärten sind, da sind auch Garten­lauben. Gartenlauben haben mit Ar­chitektur oder gar mit Kunst nichts zu tun. Es sind liebevoll geschachtelte Hütten aus übrig gebliebenem Baumaterial. Zwei Fensterchen, mit Gardinenresten geschmückt, erhellen den kleinen Raum. Das Dach ist mit Stei­nen beschwert, damit der Wintersturm nichts davontreibt. Lustig ist die Dachrin­ne, die wie bei richtigen Häusern in einer Tonne das Regenwasser sammelt.

Ohne die Laube, wie sie in Berlin heißt, wä­re das Idyll nicht   vollständig. Zwischen Sonnenblumen, rankender Klematis und  wucherndem Kürbis stellt sie so etwas dar wie den Mittelpunkt eines winzigen König­reiches. Sie ist eine Insel des Friedens im  reißenden Strom der Zeit.

Keiner dieser Männer, die hier graben, jä­ten, gießen,  düngen und ernten, wäre bereit, mit einem König zu tauschen.

Gemes­sen an der Daseinslust eines Kleingärtners, ist König zu sein ein beklagenswertes Schicksal. Ihm, dem Kleingärtner, kann weder ein Parlament noch ein Kronrat dazwischenre­den. Kein Hitzkopf trachtet ihm nach dem Leben, und für Wanzen und versteckte Ka­meras im Efeu ist er nicht bedeutend ge­nug. Im Gärtchen gibt es außer Nachtfrost kein Problem. In die Laube mit ihrem Ge­ruch nach Erde, Kompost, Zwiebeln und Flaschenbier dringt keine Politik. Am Gar­tenzaun hört das Gezeter auf, und die Ge­mütlichkeit fängt an. Hier reden nur die Gießkanne und der Spaten. Hier ist eigener Schweiß am Werk und schafft Eingemach­tes.

Was kann schon geschehen? Wühlmäuse, Blattläuse und Wolkenbrüche kommen vom lieben Gott. Aber auch für den Weißkohl und für die Möhren ist die Schöpfung zuständig.    Katastrophe und Fruchtbarkeit heben einander auf. So ist es.

Der Kleingärtner fühlt sich unter seiner Teerpappe sicher vor Neid und Anfech­tung. Er ruht sich auf seinem Bänkchen aus und weiß, was er an seinem Frieden hat. Für ihn gibt es auf der Welt nichts Zuver­lässigeres als Gartenerde. Die Erfahrung lehrt ihn, dass in der Tat auch nichts Besseres und Schöneres zu haben ist. Einen Ge­müsegarten kann niemand im Sack davon­tragen, das steht fest.

Wenn es regnet, dann erweist sich die Nützlichkeit der Teerpappe als kluge Ent­scheidung. Der Kleingärtner zieht sich von seinen Rabatten zurück und liest die Zei­tung von gestern. Er zündet sich ein Pfeif­chen an und schaut vergnüglich zu, wie der Regen an den Blättern entlangsickert und in die Erde dringt. Die Regentonne füllt sich glucksend, und das ist Musik in seinen Ohren.

In der Laube ist ein Rest von Sonne zu­rückgeblieben, der warm aus den Brettern dunstet. Der Regen bewirkt, dass der Boden Geruch ausströmt. Im Duft der feuchten Erde, der Blumen, Gräser, Baum­rinden und Früchte kommt Seligkeit auf, die nichts kostet.

Unter der Decke hängt ein Büschel vorjäh­rigen Bohnenkrauts, auf der Fensterbank reifen Tomaten, und unter der Bank lagern Zwiebeln in einer Pappschachtel. Dutzende von bunten Samentütchen sind fächerartig an die Wand gezwickt, ein Album schöner Blumen und Gewächse, ein botanischer Lehrgang, eine originelle Plakatierung der Fruchtbarkeit.

Wenn Volk irgendwo einen Himmel hat, dann hier. Nur dass dieser Himmel statt der Geigen voller Spaten hängt. Radieschen und Erdbeeren sind schließlich auch eine Sache, für die sich Begeisterung bezahlt macht. Jedem das Seine. Uns die Garten­laube mit Schollentreue, den anderen die Limousine mit Vorwärtsdrang. Es kommt immer darauf an, wer drinsitzt.


Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie

Bernhard Schulz (1913 – 2003) dürfte ein Osnabrücker Autor sein, der nicht nur in seiner Heimatstadt wahrhaftig keinen Vergleich zu scheuen braucht: Stolze 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden. Völlig zu Unrecht, das ist zumindest die Auffassung der OR-Chefredaktion, ist dieser markante Schreiber heutzutage fast in Vergessenheit geraten. Wir drucken die Geschichten im Original ab.

Eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr in der Osnabrücker Rundschau eine Reportage von Heiko Schulze, der sich Anfang Juli dieses Jahres mit dem reichhaltigen Wirken des Osnabrücker Journalisten und Schriftstellers auseinandergesetzt hat. Dies nebenbei nicht ohne Anlass: Wie Hans Wunderlich, Josef Burgdorf oder Karl Kühling zählte Schulz anno 1946 zum Redaktionsteam der damaligen Osnabrücker Rundschau, der leider nur ein kurzes Zeitungsleben zuteil wurde.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz
Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Neugierigen seien überdies diese Internet-Seiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz

Bislang in der OR erschienen:
Geschichte vom 21.11.2021
Geschichte vom 28.11.2021
Geschichte vom 05.12.2021
Geschichte vom 12.12.2021
Geschichte vom 19.12.2021
Geschichte vom 26.12.2021
Geschichte vom 02.01.2022
Geschichte vom 09.01.2022
Geschichte vom 16.01.2022
Geschichte vom 23.01.2022
Geschichte vom 30.01.2022
Geschichte vom 06.02.2022
Geschichte vom 13.02.2022
Geschichte vom 20.02.2022
Geschichte vom 27.02.2022
Geschichte vom 06.03.2022
Geschichte vom 13.03.2022
Geschichte vom 20.03.2022
Geschichte vom 27.03.2022
Geschichte vom 03.04.2022
Geschichte vom 10.04.2022
Geschichte vom 17.04.2022
Geschichte vom 24.04.2022
Geschichte vom 01.05.2022
Geschichte vom 08.05.2022
Geschichte vom 15.05.2022
Geschichte vom 22.05.2022
Geschichte vom 29.05.2022
Geschichte vom 05.06.2022
Geschichte vom 12.06.2022
Geschichte vom 19.06.2022
Geschichte vom 26.06.2022
Geschichte vom 03.07.2022
Geschichte vom 10.07.2022
Geschichte vom 17.07.2022
Geschichte vom 24.07.2022
Geschichte vom 31.07.2022
Geschichte vom 07.08.2022
Geschichte vom 14.08.2022
Geschichte vom 21.08.2022
Geschichte vom 28.08.2022
Geschichte vom 04.09.2022
Geschichte vom 11.09.2022
Geschichte vom 18.09.2022
Geschichte vom 25.09.2022