Sonntag, 12.00 Uhr: Bernhard Schulz mit Fritz Wolf – „Man kann verstehen, daß junge Leute ihn mögen“ 1967

Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber, dessen Geschichten zumeist von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden, zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

 

Bernhard Schulz
„Man kann verstehen, daß junge Leute ihn mögen“   1967
(Links zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Udo sang doch in Osnabrück – Frau Jürgens stammt aus Venne

Um ein Haar wäre ich am Montag gar nicht hingegangen zur One-Man-Show. In einem Interview der Aktuellen Schaubude am vergangenen Sonnabend erklärte Westdeutschlands erfolgreichster Schlagersänger, er trete am Montag in Oldenburg auf.

Udo Jürgens ist Österreicher, und er lebt in München. Mag sein, daß es von unten so aussieht, als seien Osnabrück und Oldenburg ein und dasselbe Stadt in Norddeutschland mit sieben Buchstaben, fängt mit O an. Nun, den Schaden trägt er selbst; denn dicht geschlossen waren die Reihen keineswegs.

Und jene, die gekommen waren, ließ er eine Viertelstunde hoffen und harren. Bis Unruhe entstand. Dann holte ihn der Scheinwerfer an die Rampe: Ihn, Udo Jürgens, der den Grand Prix des europäischen Chansonwettbewerbs und den Goldenen Löwen von Radio Luxemburg gewann. Ihn, den Helden zahlreicher Titelgeschichten in Illustrierten und Musikzeitschriften.

Udo Jürgens trat in 60 Fernsehsendungen in vielen Ländern auf und gilt heute neben Hildegard Knef als unbestrittener Star im deutschsprachigen Bereich des Chansons. Er komponiert. Er dichtet. Er singt.

Ein sympathischer junger Mann und ein begabter Sänger. Man kann verstehen, daß die Jugend ihn mag. Aber wie lange wird sie ihn mögen? Schlagersänger sind Eintagsfliegen. Seit dem Frühjahr ist Udo Jürgens im Geschäft. Er singt und singt und singt. An  diesem Abend in der Halle Gartlage ist er erkältet. Trinkt Kamillentee, um den Reiz zu mildern. Bringt das Mikrophon zu nahe an den Mund.

Ich sitze in der ersten Reihe. Rasierplatz. Preis: 16 DM. Ich notiere: Glaszersägendes, mauerbrechendes, balkenverbiegendes Gekreisch. Mache einen Strich durch die Notiz. Aber zu verstehen ist weder Stimme noch Instrument. Muß das so laut sein? Ich glaube ja. Je lauter der Gesang, desto gewaltiger der Beifall. Das ist Seelenbräu für 17jährige. Labsal für Unglückliche. Ansporn für Erfolglose. Warum nur, warum?

Drahtige Figur, dieser Jürgens. 1,86 in groß. Farbe der Augen: braun. Trägt einen Smoking, der mit roter Seide gefüttert ist. Zitronenfarbenes Hemd mit dunklem Querbinder. Langes, braunes, gewelltes Haar. Keine Spur von Dialekt. Keine Eitelkeit. Kein Pathos. Keine Allüren. Gibt sich so, wie er ist. Setzt sich auf einen Stuhl. Setzt sich an den Flügel. Klimpert ein paar Noten. Trinkt ein Schlückchen. Es macht ihn so einfach.

Das Programm ist eine Mischung aus Chanson, Folklore, Jazz und Beat. Viel Eigenes an Text und Musik. Es gefällt sehr. Aber auch Becaud, Bernstein, Rodgers, Hammerstein, Lennon, McCartney, Cash. Da, wo es amerikanisch wird, Western-Song, Pferdegetrappel, Lagerfeuer, Pistolenschuß, tobt Beifall.

Seine Masche: er stellt Fragen, singt Fragen ohne Antwort. Warum nur, warum?  Wo ist der Sommer geblieben? Warum blühen die Blumen so schön? Wo sind die strahlenden Augen, an denen ich hing? So klein fängst du dein Leben an, und was kommt dann?

„Herr Jürgens“, sage ich, „darf ich auch `mal ’ne Frage stellen?“

Ich sitze ihm in der Garderobe gegenüber. Nackter Oberkörper. Frotteetücher. Kamillentee. An der Türe wehren Gefolgsmänner miniberockte Teenager ab.

„Ihre Frau soll eine Osnabrückerin sein. Einmal hörten wir, sie sei Französin, dann Österreicherin. Was stimmt?“

„Weder Französin, noch Österreicherin“, lacht Jürgens, „Meine Frau ist Osnabrückerin. Sie stammt von einem Bauernhof in Venne. Ich selbst stamme ja auch von einem Bauernhof. Meine Frau hat in Osnabrück die Schule besucht. Damals hieß sie Meier, Erika Meier. Ich nenne sie ,Panja`. Sie ist 26 Jahre alt. Wir haben zwei Kinder und bewohnen am Stadtrand von München eine kleine Villa. Sonst noch was?“

„Ja. Ich möchte ein Foto Ihrer Frau.“

„Können Sie haben!“ Er läßt sich eine Hose reichen und fingert aus der Gesäßtasche einen Umschlag hervor. „Das hat Panja mir mitgegeben. In ewiger Treue, Erika. Und Gruß an alle Osnabrückerinnen, die sich an Erika Meier aus Venne erinnern.“

NACH DEM KONZERT EINE ERFRISCHUNG. Udo Jürgens trank in der „Drehorgel“ aus dem Pokal der VfL-Basketballer. Das Gefäß schien für seinen Durst gerade groß genug zu sein.


Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie

Bernhard Schulz (1913 – 2003) dürfte ein Osnabrücker Autor sein, der nicht nur in seiner Heimatstadt wahrhaftig keinen Vergleich zu scheuen braucht: Stolze 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden. Völlig zu Unrecht, das ist zumindest die Auffassung der OR-Chefredaktion, ist dieser markante Schreiber heutzutage fast in Vergessenheit geraten. Wir drucken die Geschichten im Original ab.

Eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr in der Osnabrücker Rundschau eine Reportage von Heiko Schulze, der sich Anfang Juli dieses Jahres mit dem reichhaltigen Wirken des Osnabrücker Journalisten und Schriftstellers auseinandergesetzt hat. Dies nebenbei nicht ohne Anlass: Wie Hans Wunderlich, Josef Burgdorf oder Karl Kühling zählte Schulz anno 1946 zum Redaktionsteam der damaligen Osnabrücker Rundschau, der leider nur ein kurzes Zeitungsleben zuteil wurde.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz
Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Neugierigen seien überdies diese Internet-Seiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz

Bislang in der OR erschienen:
Geschichte vom 21.11.2021
Geschichte vom 28.11.2021
Geschichte vom 05.12.2021
Geschichte vom 12.12.2021
Geschichte vom 19.12.2021

Geschichte vom 26.12.2021
Geschichte vom 02.01.2022
Geschichte vom 09.01.2022
Geschichte vom 16.01.2022
Geschichte vom 23.01.2022
Geschichte vom 30.01.2022
Geschichte vom 06.02.2022
Geschichte vom 13.02.2022
Geschichte vom 20.02.2022
Geschichte vom 27.02.2022
Geschichte vom 06.03.2022
Geschichte vom 13.03.2022
Geschichte vom 20.03.2022
Geschichte vom 27.03.2022
Geschichte vom 03.04.2022
Geschichte vom 10.04.2022
Geschichte vom 17.04.2022
Geschichte vom 24.04.2022
Geschichte vom 01.05.2022
Geschichte vom 08.05.2022
Geschichte vom 15.05.2022
Geschichte vom 22.05.2022
Geschichte vom 29.05.2022
Geschichte vom 05.06.2022
Geschichte vom 12.06.2022
Geschichte vom 19.06.2022
Geschichte vom 26.06.2022
Geschichte vom 03.07.2022
Geschichte vom 10.07.2022
Geschichte vom 17.07.2022
Geschichte vom 24.07.2022

Geschichte vom 31.07.2022
Geschichte vom 07.08.2022
Geschichte vom 14.08.2022
Geschichte vom 21.08.2022
Geschichte vom 28.08.2022
Geschichte vom 04.09.2022
Geschichte vom 11.09.2022
Geschichte vom 18.09.2022
Geschichte vom 25.09.2022
Geschichte vom 02.10.2022
Geschichte vom 09.10.2022
Geschichte vom 16.10.2022
Geschichte vom 23.10.2022
Geschichte vom
30.10.2022
Geschichte vom 06.11.2022

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