Sonntag, 12.00 Uhr: Bernhard Schulz ohne Fritz Wolf – ,,Kammerbulle in Omsk” 1965

Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten häufig von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft befremdlich wirkenden Zeitgeistes.

Bernhard Schulz
,,Kammerbulle in Omsk” 1965
(Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes)

Omsk liegt in Sibirien, in der Taiga, an der Mündung des Om in den Irtysch. Ich weiß nicht, wie ich auf Omsk kam und warum es ausgerechnet Omsk sein sollte. Omsk war mein Tick, mein Kriegstick, eine Arte Neurose und diese Neurose hing mit dem Endsieg zusammen.

Wenn sie den Krieg gewinnen, sagte ich mir damals, dann werden sie Dich in ihrem Siegestaumel zum Obergefreiten befördern, ja, davon werden sie sich nicht abbringen lassen, und dann müssen sie auch einen Posten für Dich finden, damit Du eine Beschäftigung hast und Dich dankbar erweisen kannst. Und diese Beschäftigung lag in Omsk. Ich kannte Omsk nur dem Namen nach, und ich hatte auch nicht die geringste Lust, es näher kennenzulernen. Lust hin, Lust her – nun sollte ich also in Omsk Ordonnanz bei der Stadtkommandatur oder vielleicht Kammerbullengehilfe werden. Kammerbullengehilfe war mir insofern lieber, als ich die ganze Zeit über zwischen meinen Socken sitzend und Tschechow lesen konnte.

Aus Omsk wurde nichts, und Tschechow lese ich heute an Winterabenden zuhause, bei einer Pfeife Tabak und einem Glas Rotwein. Ich hatte Omsk beinahe vergessen, als eines Tages ein junger Mann in meiner Familie aufkreuzte. Ich erfuhr, dass er nach Tokio reisen wolle, und zwar mit der Eisenbahn.

„Dann fahren Sie durch Omsk!“ Rief ich aus, „tun Sie mir einen Gefallen: Schreiben sie mir eine Postkarte!“

Der junge Mann lächelte: „Wie kommen Sie auf Omsk? Ausgerechnet auf Omsk?“ „Junge“, sagte ich, „ich war’s nicht, der das ausgerechnet hat. Aber beinahe hätten es andere getan.“ Wie soll man das den jungen Leuten klarmachen. Man kann es ihnen nicht klarmachen. Deshalb ließ ich das Thema fallen. Ich hätte dann auch erklären müssen, was ein Kammerbullengehilfe ist, und was ist der schon?

Die Karte aus Omsk, der Gruß aus der Taiga, die Ansicht eines sibirischen Bahnhofs, traf gestern ein. „Ich bin in Omsk“, schreibt der junge Mann, „der Zug hält nur zehn Minuten, gerade Zeit genug, um für eine Postkarte anzustehen. Ich glaube nicht, dass der Job als Kammerbullengehilfe von Omsk etwas für Sie gewesen wäre. Die Umgebung des Bahnhofs sieht jedenfalls nicht verlockend aus.“

Sieht nicht verlockend aus? Junge, Junge, das war’s ja, was mich neurotisch machte. Was sieht in Omsk schon verlockend aus? Gibt es dort eine Flasche Wein zu kaufen? Kann man an der Om entlang spazieren gehen? Scheint gelegentlich die Sonne? Wie lange dauert der Winter? Haben Sie Farbfernsehen dort?

Sicher ist es in Omsk nicht mehr sehr viel anders als überall in der Welt, wo gearbeitet und geliebt und gelitten wird. Aber froh bin ich doch, dass aus der Berufung zum Kammerbullengehilfen von Omsk Nichts wurde. Der Endsieg fiel aus, und der Bestand an Socken ist nie korrekt nach oben gemeldet worden.

Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

 

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf
Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz

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