Bernhard Schulz (1913 – 2003) war ein Osnabrücker Autor, der keinen Vergleich zu scheuen braucht: 24 Bücher und fast 2.400 (!) Kurzgeschichten sind seit 1934 erschienen. Letztere fanden sich in Zeitungsausgaben, Anthologien und Sammelbänden und sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach Auffassung der OR-Redaktion ist dieser markante Schreiber zu Unrecht in Vergessenheit geraten, dessen Geschichten hin und wieder von seinem Freund Fritz Wolf mit einer Karikatur begleitet wurden. Die Ergebnisse sind auch ein Spiegelbild des damaligen, heute oft äußerst befremdlich wirkenden Zeitgeistes. Ein Link zu früheren Folgen und Anmerkungen zu dieser exklusiven OR-Serie am Ende des Textes.

„Tristan im Schwefelbad“ 1959

In der Zeitung stand, dass ein norwegischer Student ganz von Trondheim nach Messina mit dem Rad gefahren ist. Dieser norwegische Student hatte ein Foto von einem sizilianischen Mädchen gesehen, dessen außergewöhnliche Schönheit sein Herz verwirrte. Nun soll man, wenn man es mit der Liebe eilig hat, auf keinen Fall zu Fuß gehen. Aber auch ein Fahrrad ist nicht immer schnell genug; denn als der radelnde Liebhaber in Messina ankam, war das Mädchen gerade abgereist, nach Hollywood zum Filmen.

Mir ist es einmal ähnlich ergangen, wenn auch nicht auf Filmbasis. Ich hatte in den Schulferien ein Mädchen namens Isolde kennengelernt. Ich liebt sie sehr, wie das nun einmal auf Untersekunda so ist. Ich war fest entschlossen, Isolde zu heiraten, sobald ich es zu irgendetwas gebracht hätte. Der Vater der Braut war Musiklehrer und verehrte Richard Wagner. Das war der Grund, warum Isoldes Brüder Parsifal und Lohengrin hießen.

Ich hatte also Isolde zu der meinigen erkoren, und wenn ich mich mit hehren Gedanken abgab, was damals häufig geschah, dann kam ich mir wie Tristan vor.  Ich war angesteckt. Mein Auge schweifte lodernd in die Ferne. Ich beteuerte meine Liebe bereits im Opernstil.

Als die Ferien zu Ende waren, reiste Isolde samt Familie ab. Jetzt beutelte mich die Sehnsucht, die Liebe zehrte an meinem Dasein, und ernste Absichten marterten mein Schülerhirn. Ich beschaffte mir eine Landkarte. Ach, bis zu Isoldes Vaterhaus waren es 300 Kilometer…

Eines Sonnabends nahm mich ein Fernfahrer mit, den ich kannte. Während der Fahrt erzählte ich ihm, auf welche infame Weise König Leonidas bei den Thermopylen besiegt worden war. „So was Dummes“, meinte der Fahrer.

Wir fuhren die ganze Nacht hindurch. Gegen sechs Uhr kamen wir an. Isoldes Vaterstadt lag noch in tiefer Ruhe. Es goss in Strömen. So früh am Sonntagmorgen konnte ich unmöglich schon meine Aufwartung machen. Auch kamen mir Bedenken, ob der Musiklehrer wohl mit mir als Schwiegersohn einverstanden sei. Ich besaß acht Mark und 40 Pfennig. Dafür wollte ich Blumen kaufen.

Vorerst beschloss ich, mich rasieren zu lassen. Im Hauptbahnhof war der Friseurladen Tag und Nacht geöffnet. Ich setzte mich auf den Stuhl und ließ mich schaben. Auf 80 Pfennig sollte es mir nicht ankommen. Kein Tristan besucht unrasiert seine Isolde…

In dieser Minute schaltete sich das Schicksal ein. „Sie haben da ein Pickelchen“, sagte der Friseur, „darf ich’s Ihnen wegnehmen?“ Ich sagte ja, arglos sagte ich ja; denn einen Tristan mit Pickeln gibt es nicht. Der Friseur traf umständliche Vorbereitungen. Ich musste meinen Kopf über eine Schüssel beugen, die mit einer schweflig riechenden Brühe gefüllt war. Es sah aus, als sollten die Schwefeldämpfe das Ungemach beseitigen.

Um diese Stunde war im Geschäft nichts los. Der Meister hatte Zeit, sich mit mir zu beschäftigen. Dem Schwefelbad schlossen sich eine Gesichtsmassage und Behandlung mit antiseptischem Wasser an. In heiße Frotteetücher gehüllt, verbrachte ich kostbare Stunden in der Gewalt eines vom Schicksal umsichtig herbeigerufenen Bahnhofsfriseurs.

Die Rechnung betrug acht Mark 40 Pfennig. Tristan war pleite. Er war in kosmetischer Hinsicht auf dem laufenden, aber in der Liebe ein zurückgebliebener Tropf. Ohne Blumen dürfte er sich der Angebotenen nicht nähern, und außerdem hatte er auch schon gar keinen Mut mehr. Der Anschluss an Isolde war verpasst. Im Schwefelbad ward Tristan die Erkenntnis gekommen, dass es vor der Ehe zur Umkehr niemals zu spät ist.

Isolde hat später einen Mann geheiratet, der sich aus Wagner gar nichts machte. Er handelt mit Kunstdärmen und hat es mit dem Schlachterhandwerk zu tun. Seine Kinder tragen ordentliche Namen, die für die Opernbühne nicht in Frage kommen.




Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946Redakteur Bernhard Schulz mit der OR-Erstausgabe vom 1. März 1946

Ganz im Gegensatz zu Bernhard Schulz hat es sein enger Freund Fritz Wolf (1918-2001) bis heute in die Ahnengalerie von solchen Osnabrückerinnen und Osnabrückern geschafft, die über Jahrzehnte, von der NOZ bis zum Stern, erfolgreich versucht haben, den deutschen Zeitgeist textlich oder zeichnerisch zu spiegeln. Immer wieder ergeben sich bis heute aktuelle Anlässe, um an den Meister des feinen Federstrichs mit seinen stets liebevoll in Szene gesetzten Prominenten zu erinnern.

Sohn Ansgar und Bernhard SchulzSohn Ansgar und Bernhard Schulz

Kurzum: Anlässe genug, fortan eine neue OR-Serie zu starten, in der ausgewählte Kurzgeschichten von Bernhard Schulz mitsamt ihrer zeichnerischen Begleitung durch Fritz Wolf vorgestellt werden. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Ansgar Schulz-Mittenzwei, der die neue Serie im vertrauensvollen Kontakt zur OR-Redaktion erst ermöglicht hat und der bis heute in liebevoller Weise das literarische Erbe seines Vaters verwaltet.

Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951Bernhard Schulz und Fritz Wolf 1951

Alle Schulz-Geschichten sowie etliche Wolf-Zeichnungen besitzen eine einzige Quelle, die in jüngster Zeit, ebenfalls durch das entscheidende Mitwirken seines Sohnes Ansgar, erscheinen konnte. Entnommen sind sie nämlich dem Schulz-Buch „Den Löwenzahn zermalmt nicht die Kesselpauke oder Hinwendung zur Geborgenheit. 200 kurze Geschichten der Jahre 1945-1965.“ Das kompakte Werk ist im Buchhandel (beispielsweise bei Wenner), online oder direkt über die Website www.BernhardSchulz.de erhältlich.


Alle bislang in der OR erschienenen Geschichten gibt es hier

Neugierigen seien darüber hinaus diese Internetseiten ans Herz gelegt:
Webseite von Bernhard Schulz
Wikipedia über Bernhard_Schulz 
Webseite Fritz Wolf

Interview mit Ansgar Schulz Mittenzwei, dem Sohn von B. Schulz