Freitag, 11. Oktober 2024

Ali Bölzen: „Die Büchse der Arminia …“

Über das kuriose Ende einer gestressten Beziehung

Ist Samir Arabi – der Bielefelder Manager – ein Depp, der hoffnungslos an der TP-Oldschool-Universität im Exzellenzcluster der angewandten Trainerwissenschaften scheitern würde? Kennt Arabi etwa nicht das Repertoire, über das ein Erfolgscoach verfügen sollte? Weiß er nicht, wie ein Gewinnertyp an der Seitenlinie sein Sturmpaar auswählt, siegbringende Ein- und Auswechslungen vornimmt, das Spielsystem variiert und Gegner wie Bayreuth arrogant vor dem Spiel ein „sportliches Kleinstkaliber“ nennt? Oder gibt es etwa doch gute Gründe, aus denen Daniel Scherning zur Arminia nach Bielefeld geholt wurde, obwohl der ostwestfälische Zweitligist eine Ablösesumme zahlen musste? In jedem Fall bewertet Arabi die letzte VfL-Saison etwas anders, als es etliche Schreiber*innen im Oldschool-TP tun.

Frank Schneider alias „Ali Bölzen“

Die Reizstimmung, die sich im Oldschool-TP durch die Frust- und Wutbeschleuniger der letzten beiden VfL-Pleiten dramatisch steigerte, klingt nun ab, zumindest kurzfristig. All diejenigen VfL-Fans, die Scherning schon nach dem späten 3:3 in Halle abgeschrieben hatten, wurden nun erlöst. Für sie wirkt es so, als wäre der Fußballgott in den Bielefelder Manager gefahren, um ihn zu einem Werkzeug für die VfL-Interessen zu machen. Die Frage ist aber, ob dieser überraschende Deal wirklich ein Wunder ist, das dem VfL den Weg für eine glänzende Zukunft freimacht. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass am Ende nur wieder eine Ernüchterung eintritt – nämlich dann, wenn lediglich die Erkenntnis gewonnen werden kann, dass auch ein anderer VfL-Trainer mit diesem Kader nicht wie gethiounet in die zweite Bundesliga durchmarschieren kann. Aber solch eine skeptische Einstellung widerspräche den fußballbiblischen Fantugenden gegenüber dem Trainermarkt (siehe unten), weshalb ich mein Denken wieder diszipliniere.

Die Diskrepanz, wie Scherning wahrgenommen und bewertet wird, ist schon extrem – als ob der Bielefelder Manager einerseits und große Teile des Oldschool-TPs andererseits jeweils in einem Paralleluniversum lebten. Gefühlt wollte am letzten Samstag das halbe VfL-Forum Scherning noch in der Halbzeitpause entlassen – während ihn Arabi nun als Heilsbringer für die Arminia sieht. Diese Situation als absurd zu beschreiben, ist fast schon untertrieben. Die verrückten Tage seit dem Abpfiff des Ingolstadt-Spiels bestätigten: Der VfL wäre nicht der VfL, wenn er dem Fußballwahnsinn nicht neue Kapitel jenseits des Vorher-für-möglich-Gehaltenen hinzufügte – diesmal mit der Unterstützung aus Bielefeld.

Insgesamt ist es sehr schade, dass Schernings Amtszeit beim VfL so kurios wie abrupt endet. Die letzte Saison war nicht perfekt, aber sie war gut. Mit einer besseren Chancenverwertung in den Heimspielen wäre mehr drin gewesen. So, wie der VfL bis zum 3:3 gegen Halle auftrat, bot er eine Projektionsfläche dafür, dass in der aktuellen Spielzeit unter Scherning ein Steigerungspotenzial möglich gewesen  wäre. Der Trainer hätte einen Vertrauenskredit verdient gehabt.

Zur Erinnerung: Sogar ein großer Coach wie Klopp verpasste in seiner ersten Saison in Dortmund das internationale Geschäft, womit er eine Muss-Erwartung vieler BvB-Fans enttäuschte. Ohne jetzt Scherning zu einem Kloppo 2.0. hochjazzen zu wollen – das Beispiel zeigt, dass sich Geduld auch auszahlen kann, selbst wenn in der heutigen Zeit eine schnelle Trainerentlassung oft als alternativlos dargestellt wird. Auch Wollitz durfte nach einem miesen zweiten Jahr weitermachen. Das, was dann am 02. Juni 2007 geschah, gehört längst zum Kanon der lila-weißen Heldengeschichten.

Scherning wird beim VfL nun keine Heldengeschichte mehr schreiben. Die Rückendeckung im VfL-Publikum bröckelte stark. Etliche hatten ihn nach der Pleite in Bayreuth angezählt, manche senkten schon den Daumen nach unten. Im Oldschool-TP wurden Szenarien durchgespielt, wann er entlassen würde. Vor diesem Hintergrund kam für ihn die Offerte aus Bielefeld zum passenden Zeitpunkt – zumal das Angebot aus biographischen Gründen attraktiv erschien. Die Arminia ist quasi sein Heimatverein, in dem er selbst gespielt und später die U23 trainiert hatte.

Scherning die Freigabe für einen Wechsel nach Bielefeld zu erteilen, war die beste Entscheidung, die der VfL in dieser Situation treffen konnte – nicht nur, weil die Höhe der Ablösesumme stimmte, es sollen über 300.000 € sein. Vor allem war mit dem Angebot des ostwestfälischen Zweitligisten die Büchse der Arminia geöffnet: Eine Büchse, aus welcher der Spekulationsstoff für eine konfliktsteigernde Kritikkommunikation entwichen wäre. Selbst wenn sich Scherning zum VfL bekannt hätte, wäre die Situation vertrackt geblieben. Loyalität schießt keine Tore – und bei einer Niederlage gegen Wiesbaden oder Saarbrücken hätten wütende Hobbypsychoanalytiker*innen in Lila-Weiß gefragt, ob Scherning nicht doch den klammheimlichen Wunsch hätte, zur Arminia zu wechseln.

Da Scherning gehen wollte und im VfL-Umfeld eine große Reizstimmung vorherrschte, war die Bielefelder Offerte ein starkes Gift, das die Atmosphäre katastrophal zugespitzt hätte. Nur eine sportliche Wunderheilung hätte helfen können, während jede weitere Niederlage die Trainerfrage dramatisiert hätte, wäre Scherning die Freigabe vom VfL verweigert worden. Verbale Blutgrätschen wären in der Form rhetorischer Fragen herangerauscht, die mit einer apodiktischen Härte gestellt worden wären – wie etwa: Kann er nach seinem Flirt mit Bielefeld die Mannschaft noch erreichen? Identifiziert er sich noch mit dem VfL? Das Klima wäre total belastet worden – und eine Trainerentlassung unausweichlich gewesen, die den VfL finanziell weiter eingeschränkt hätte.

Nachdem die Büchse der Arminia geöffnet worden war, betrieb die VfL-Führung eine rationale Gefahrenabwehr. Das Ende des absurden Trainertheaters bietet nun die Chance auf einen Neuanfang, dem der Zauber einer Projektionsfläche für eine doch noch erfolgreiche Saison innewohnt. Im Sinne der fußballbiblischen Tugenden – des Glaubens an den Erfolg, der Liebe gegenüber dem Verein und der Hoffnung auf einen „neuen Thioune“ – wäre dem VfL zu wünschen, dass er diesmal einen Trainer findet, der die Erwartungen des Umfelds (auch die des Oldschool-TPs) erfüllt.

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