Der VfL trennt sich von Schalke 04 vor 12.500 Zuschauern 2:2

Frank Schneider alias Ali Bölzen
Endlich wieder!“-Spiel

Endlich wieder Fußball ohne schlechtes Gewissen. Vier quälend lange Wochen zog sich die „WM der Schande“ hin. Die Erleichterung ist bei mir groß, dass diese Leistungsschau des organisierten FIFA-Zynismus nun vorbei ist, der Menschenrechte auf dem Altar des Kommerzspektakels opferte. Wenn der VfL spielt, kann ich mich einfach darauf freuen – während die WM mein Fan-Ich in innere Nöte stürzte, indem ich mich zwischen einem Totalboykott und einem Ablasshandel zu entscheiden hatte.

Um 19.00 Uhr hieß es für mich: „Football is coming home“ – nachdem er 29 Tage lang Gefangener eines katarischen Sportswashing-Kommandos war. Ja, selbst der Blick auf die Nordtribüne hatte etwas Beruhigendes, weil die Gewissheit da ist, dass bei der Modernisierung der „Bremer Brücke“ 2008 keine Arbeitsmigranten an den Folgen menschenrechtswidriger Ausbeutungsverhältnisse sterben mussten. Egal, was der sportliche Nutzen des Testspiels für die nahe VfL-Zukunft sein sollte: Unabhängig von den reinen Leistungsdaten bleibt festzuhalten, dass der Fußball heute als liberal-progressives Kulturgut wieder atmen konnte – nicht zuletzt durch das Sondertrikot symbolisiert, auf dem „terre des hommes“ den Platz des Ärmelsponsors bekam. So fühlte sich der Kick gegen Schalke seelenhygienisch wie ein Kantersieg gegen den WM-Blues an.

Die wichtigste Erkenntnis aus dem heutigen Spiel lautet daher für mich: Das Erlebnis des Brücken-Fußballs hilft gegen die „Verkatarung“ der Fanpsyche so gut wie Aspirin gegen Kopfschmerzen nach einer durchzechten Nacht. Aber auch sportlich wusste der VfL zu überzeugen, war doch kein Klassenunterschied zwischen den Lilahemden und den Königsblauen zu sehen – und das, obwohl die Schalker Abwehr in der ersten Halbzeit vom japanischen WM-Helden Yoshida organisiert wurde.

Foto: Marc NiemeyerFoto: Marc Niemeyer

Die Schalker Spieler hatten harte Trainingstage in den Muskeln, denn Thomas Reis gestaltete die Vorbereitung so, als wäre für ihn die Methodik Felix Magaths das Maß aller Dinge. So wirkten die Königsblauen nicht ganz frisch, trotzdem gingen sie in der 14. Minute mit 1:0 in Führung: Kozuki, ein U23-Spieler, der bald einen Profivertrag bekommen soll, tanzte an der Strafraumkante Chato aus und schoss platziert ins lange Eck – was die Schalker davon träumen lässt, dass Kozuki im königsblauen Dress so durchstarten wird, wie es Kagawa einst beim Erzrivalen geschafft hatte. Auch beim VfL gibt es eine Projektionsfigur für eine steile Fußballkarriere: nämlich den U18-Nationspieler Kevin Wiethaup, der heute in der Startelf auflief. Diese Personalentscheidung könnte ein Hinweis darauf sein, dass er in der Restsaison bessere Chancen auf mehr Einsatzzeiten in der lila-weißen Profimannschaft hat.

Der VfL ließ sich vom Rückstand nicht beeindrucken. Stattdessen verhielten sich die Lilahemden wie Mentalitätsmonster. Engelhardt drehte sich in der 18. Minute janiakesk um seinen Gegenspieler, der Schuss des VfL-Neuners wurde aber geblockt, so dass Fährmann parieren konnte. Vier Minuten später sah der Schalker Schlussmann nicht mehr so gut aus – obwohl er nach einem Appell des Sportvorstands dem Kabinenkuchen kürzlich abgeschworen hatte, um die Chancen seiner Mannschaft auf den Klassenerhalt zu erhöhen. Denn einen Kopfball von Chato nach Simakalas gefühlvollem Freistoß konnte Fährmann trotz seines Verzichts auf Naschereien nur nach vorne abprallen lassen. Chato reagierte am schnellsten und bugsierte das Spielgerät über die Linie, als hätte er die Torjägerqualitäten Teroddes. Dieser trat erstmals in der 38. Minute auffällig in Erscheinung: Nach einer starken Ballannahme am Strafraum und einem für ihn untypischen Dribbling passte er den Ball nach außen, bekam ihn zurück – und scheiterte mit einem Schuss aus kurzer Distanz an einem hervorragenden Reflex von Adamczyk. Ein paar Minuten vorher hatte der VfL-Torhüter einen gefährlichen Flachschuss eines anderen Schalker Aufstiegshelden – nämlich von Bülter – stark abgewehrt.

Der VfL startete dann perfekt in die zweite Hälfte: Er bekam in der 47. Minute berechtigt einen Elfmeter zugesprochen, nachdem Brunner regelwidrig versucht hatte, Simakala im Strafraum zu stoppen. Der Gefoulte trat an und verwandelte den Strafstoß sicher. Schwolow, der für Fährmann ins Tor gekommen war, hatte keine Chance. Überhaupt gab es in der zweiten Halbzeit unzählige Wechsel – was dem Schalker Spiel nicht guttat. Ein Klassenunterschied war jetzt noch weniger zu sehen als zuvor. Obwohl der VfL die Partie gut unter Kontrolle hatte, kamen die Gelsenkirchener in der Schlussphase doch noch zum Ausgleich: durch eine Standardsituation (Cissé in der 86. Minute per Kopf nach einem weiten Freistoß). Dieser Gegentreffer konnte mir jedoch nicht die Freude nehmen: die Freude, endlich wieder ein Fußballspiel schauen zu können, das nicht unter moralisch höchst anstößigen Produktionsbedingungen zustande kam.

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