Kaufmanns Zickzackkurs in der Trainerfrage
Ein fahrlässiger Vertragsverlängerungsunfall mit Totalschaden
Der VfL erlebte am Samstag in Mannheim ein Déjà-vu. Wie am ersten Spieltag in Sandhausen kassierte er in der späten Nachspielzeit einen Gegentreffer, der die Niederlage besiegelte. Das 3:2 der Waldhöfer machte den miesesten Saisonstart der Lilahemden in der Drittligahistorie perfekt. Der VfL-Geschäftsführer für das Sportliche – Philipp Kaufmann – reagierte darauf, indem er am Sonntag den Cheftrainer Koschinat freistellte.
Der frühe Zeitpunkt des Rauswurfs überraschte, weil der „neue VfL“ mit seiner Wertekommunikation den Eindruck vermittelte, im Profifußball ein Gegenmodell zu verkörpern, das zu den knallharten Mechanismen der Branche eine kritische Distanz aufgebaut hätte. Dieser Identitätsanspruch erwies sich jedoch nicht als krisenfest, bezogen auf die Trainerentscheidung, die der neue Sportgeschäftsführer traf. Schon nach sechs Spieltagen setzte er Koschinat den Trainerstuhl vor das „Brückentor“, als wäre der VfL das „Schalke des Nordens“ – anstatt sich an der „Freiburger Schule“ auszurichten, die nach dem Prinzip einer vertrauensbasierten Kontinuität erfolgsorientiert und krisenresilient arbeitet.
Kaufmanns Durchgreifen scheint eiskalt zu sein. Der Sportgeschäftsführer tritt vordergründig in der Pose des kühl kalkulierenden Entscheiders auf, der aus den Gründen einer übergeordneten Clubräson Koschinat rauswirft, auch wenn der Vollzug dieser Handlung menschlich schwierig gewesen wäre. In diesen Selbstkundgaben blitzte ein Möchtegern-Heroismus auf, der sich daran berauschte, dass er seine Sympathien für den Coach als Menschen unterdrücken konnte, um vermeintlich eine totale Versachlichung der Trainerfrage zu bewirken. Doch das, was als rationale Macherattitüde kommuniziert wurde, kann auch als ein Zeichen der Schwäche gedeutet werden.
Denn: Kaufmanns Entscheidung, Koschinat schon nach wenigen Spieltagen zu feuern, stellte sich ungewollt als ein wenig souveräner Zickzackkurs dar, nachdem der Sportgeschäftsführer den Vertrag des Trainers erst im Frühjahr verlängert hatte. Er hatte sich Zeit nehmen wollen, um Koschinat in seiner alltäglichen Trainerarbeit kennenzulernen. Obwohl Kaufmann länger brauchte, traf er die Entscheidung für Koschinat anscheinend nicht mit der vollen Überzeugung. Ansonsten würde er jetzt nicht die fachliche Kompetenz des Trainers öffentlich infrage stellen, was eine äußerst harte Kritik ist, auch gemessen an den eiskalten Gesetzmäßigkeiten der Branche.
Hätte Kaufmann Koschinat wirklich zugetraut, den VfL auf einen Erfolgskurs zu bringen, dann hätte er ihn nicht bei der ersten Krise freigestellt. Eine rationale Entscheidung vor der Vertragsverlängerung hätte das Szenario eines Fehlstarts berücksichtigt, und zwar insofern, als Kaufmann eine Weiterbeschäftigung Koschinats auch davon abhängig gemacht hätte, ob er ihm die Fähigkeit zuschreiben könnte, in einer sportlich prekären Situation am Saisonanfang die Wende zu schaffen. Wenn der Sportgeschäftsführer damals diese Frage mit einer vollen Überzeugung bejaht hätte, wäre eine Freistellung nach der Pleite in Mannheim nicht plausibel gewesen. Stattdessen hätte er ihm dann das Vertrauen aussprechen und die Entwicklung bis zum Ende der Hinrunde abwarten müssen.
Es drängt sich somit der Verdacht auf, dass der Sportgeschäftsführer im Frühjahr und nun letztes Wochenende jeweils eine Entscheidung traf, auch weil diese zum jeweiligen Zeitpunkt populär war. Auch wenn es Zweifler*innen gab – in der VfL-Öffentlichkeit waren im März und April viele dafür, dass Koschinat bei den Lila-Weißen ligaunabhängig bleiben sollte. Denn er passte mit seinem Habitus sehr gut zum VfL: Er ist an der Seitenlinie ein emotionaler Vulkan, kann aber nach dem Abpfiff das Spiel rhetorisch geschliffen analysieren wie ein Laptoptrainer, d.h., er vereint beim Fußball Herz und Verstand. Zudem schaffte er es, mit seinem Ansatz den VfL zu stabilisieren.
Für eine Entscheidung pro Koschinat konnten gute Gründe angeführt werden, zumal er in seiner Vita auch einen Aufstieg mit Fortuna Köln stehen hat. Koschinat gehört zum Typus des Generalisten, der Aufstiegs- und Abstiegskampf kann – wobei er fußballöffentlich eher als Defensivexperte wahrgenommen wird und weniger als ein Vertreter einer offensiven Spielidee, die für eine Drittligamannschaft mit Ambitionen nach oben nötig wäre. Vor diesem Hintergrund wäre auch eine Entscheidung gegen Koschinat verständlich gewesen, auch weil der Abstieg voraussehbar war und damit das Risiko, dass Koschinat belastet in die Saison gehen würde.
Eine Vertragsverlängerung wäre nur dann eine rationale Entscheidung gewesen, wenn Kaufmann von Koschinat voll überzeugt gewesen wäre. Das war er anscheinend nicht, ansonsten wäre er willens gewesen, mit Koschinat durch die Krise zu gehen. Die Freistellung nach sechs Spieltagen drückt somit vor allem eine Zögerlichkeit und Zauderhaftigkeit aus, anstatt ein konsequentes Handeln zu sein.
Mit der Korrektur seines Fehlers macht Kaufmann wieder etwas, was in der VfL-Öffentlichkeit auf große Akzeptanz stößt. Besser wäre es jedoch gewesen, wenn der Sportgeschäftsführer im Frühjahr seiner Intuition gefolgt wäre und mutig die Entscheidung für einen Neuanfang getroffen hätte. So startete der Sportgeschäftsführer mit einem fahrlässig verursachten Vertragsverlängerungsunfall, der zu einem Totalschaden führte.
Umso größer ist nun der Druck für Kaufmann, den richtigen Nachfolger zu finden. Anderenfalls wird auch seine Reputation in der VfL-Öffentlichkeit nachhaltig belastet sein – zumal die Freistellung als eine Entscheidung erscheint, mit der Kaufmann versuchte, die Verantwortung für den miesen Saisonbeginn auf Koschinat abzuwälzen.
Ja, der Trainer hat sich in den letzten Wochen ab und zu vercoacht, wechselte zwischen den Systemen hin- und her und konnte seine neue offensive Spielidee nicht vermitteln. Aber er war auch mit etlichen Problemen konfrontiert, die in der Kaderzusammenstellung begründet waren: etwa mit dem personellen Vakuum auf der Zehner-Position, den Geschwindigkeitsdefiziten außen und der langen Unklarheit über den Verbleib von Schlüsselspielern. Zudem wird Koschinat gespürt haben, dass ihm intern beim Krisenmanagement die Rückendeckung fehlte, weshalb seine Interviews zuletzt den Charakter von Selbstverteidigungsreden hatten.
Fazit: Der sportliche Misserfolg beim VfL hat mehrere Erzeuger, wie ein Vaterschaftstest nachweist, der analytisch breit gefasst ist, indem er neben Trainer- auch Managerentscheidungen erfasst sowie die Arbeitsatmosphäre unter dem Aspekt der Vertrauenskommunikation. Danach hat Kaufmann an der jetzigen prekären Tabellensituation einen viel größeren Anteil, als seine „Tabula rasa“-Lösung auf der Trainerbank nach außen hin suggerieren möchte. Beim 2:5-Desaster gegen Cottbus wirkte der Trainerwechsel eher wie ein Negativimpuls, der das Abwehrchaos noch verstärkte – es sei denn, man/frau/divers will die Schläfrigkeit in der VfL-Defensive als „Long Koschi“-Fatigue deuten.