„The Blues Village“ in den Niederlanden
Zwei Autostunden westlich von Osnabrück lockt das Holland International Blues Festivals im kleinen niederländischen Örtchen Grolloo. Ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf, umgeben von Weiden und Wald, gelegen an einer Landstraße, deren Nutzer normalerweise wenig Anlass sehen, in dem Flecken einen Halt einzulegen. Anders verhält es sich an zwei Tagen im Sommer, wenn Weltstars zwischen Dorfkneipe und bäuerlichen Gehöften Station machen.
Die Beschreibung erinnert an das schleswig-holsteinische Wacken mit seinem Kultfestival, dem Wacken Open Air. Sie gilt aber genauso für das niederländische Grolloo, das weniger als ein Drittel der Einwohnerzahl von Wacken aufweist. Hat sich Wacken als Mekka der Hardrock- und Metalfans etabliert, so ist Grolloo ein Magnet für alle, die Bluesmusik und verwandte Spielarten wie Soul, Gospel, Americana mögen.
Grolloo tituliert sich selbst „The Blues Village“, nicht zu Unrecht, denn diese Musik ist hier schon seit den Sechzigern zu Hause. Der niederländische Bluesmusiker Harry Muskee lebte mitten im Ort, sein Kotten war zugleich Proberaum seiner über Hollands Grenzen hinaus bekannten Band Cuby & The Blizzards. Gelegentlich schauten Größen wie John Mayall und Van Morrison in Grolloo vorbei. Später firmierte die Formation als Harry Muskee Band, unter diesem Namen gastierte sie unter anderem im März 1977 in Osnabrücker „Hyde Park“.
Ein früheres Bandmitglied war dort häufiger zu Gast: Herman Brood hatte seine Karriere als Keyboarder bei Cuby & The Blizzards begonnen. Heute ist das schlanke Bauernhaus ein liebevoll geführtes, auch deutschen Besuchern zu empfehlendes Museum, das an das Wirken Harry Muskees erinnert. Im Garten steht eine Statue Muskees, im Dorf verteilt sind großformatige Plakatwände mit Fotos, die Muskees Leben und Wirken in der lebhaften Musikszene der 1960er und 1970er dokumentieren.
Seit 2016 findet in Grolloo zu Ehren Muskees das Holland International Blues Festival statt. In diesem Jahr eröffnet es ein langjähriger Weggefährte Muskees, der Schlagzeuger Hans la Faille mit seiner Band. Wo sonst Kühe grasen, wird für die Festivaltage mitten im Ort ein riesiges Zelt aufgebaut, das bis zu 10.000 Besuchern Platz bietet.
Auf der imposanten Bühne standen in den letzten Jahren Weltstars wie ZZ Top, Van Morrison, John Fogerty, Buddy Guy, Joe Bonamassa, Ringo Starr, Jeff Beck. 2024 war auch die Osnabrücker Region dort vertreten, mit Kai Strauss & The Electric Blues All-Stars. Als Verstärkung hatte sich Saxofonist Tommy Schneller angeschlossen. In diesem Jahr wird das Abendprogramm am Freitag von Bonnie Raitt und der Robert Cray Band betritten, der Samstag gehört Melissa Etheridge und Seasick Steve.
Aber nicht nur die Headliner lohnen den Besuch. Das Programm beginnt am Nachmittag, und die Veranstalter präsentieren dort zwar teils bislang weniger bekannte, aber durchweg erstklassige Bands, wobei die stilistischen Grenzen nicht puristisch eng gesteckt sind, sodass sich abwechslungsreiche Abläufe ergeben. Early James beispielweise, der am Freitag auftreten wird, ist in verrauchten Bluesclubs ebenso zu Hause wie beim Newport Folk Festival. Margo Price entstammt Nashvilles Country-Szene, trägt manchmal Cowboyhut, gehört aber zu den progressiven Vertretern ihres Genres.
Den psychedelisch angehauchten souligen Bluesrock der Westcoast-Bands der Sechziger und Siebziger pflegen die in Brighton ansässigen The Heavy Heavy. „Heavy“ passt als Stichwort auch auf die Musik der Bluesrocker Kaleo. Sie stammen ursprünglich aus Island, feiern aber im Heimatland des Blues Triumphe und leben heute im texanischen Austin.
Ein Vertreter des Südstaaten-Blues mit deutlichem Soul-Einschlag ist Robert Finley. In jungen Jahren spielte er in Deutschland in einer US-Militärband. Später erblindete er, suchte als Straßenmusiker ein Auskommen, konnte dann mit Unterstützung der Music Maker Relief Foundation noch in reiferem Alter eine Karriere beginnen. Mit 62 Jahren legte er sein erstes Album vor. Weitere folgten, aufgenommen unter anderem mit Dan Auerbach von den Black Keys.
Der 35 Jahre jüngere Jerron „Blind Boy“ Paxton verlor sein Augenlicht im Alter von 16 Jahren, ließ sich davon aber nicht abhalten, Musiker zu werden. Er erlernte Geige, Banjo, Piano, Akkordeon, Ukulele, Mundharmonika, ist ein profunder Kenner (nicht nur) der US-amerikanischen Musikhistorie. Sein Credo: „Der Blues ist eine Art Meditation. Du fühlst dich nicht besser. Aber er hilft dir, zu verstehen.“
Eine Besonderheit des Festivals besteht im Engagement vieler freundlicher ehrenamtlicher Helfer. Das beginnt schon bei der Anfahrt. Die Besucher werden zu den Parkplätzen auf den eigens frei gehaltenen Wiesen geleitet und eingewiesen.
Selbst spät nachts stehen Freiwillige bereit, die den abfließenden Verkehr regeln. Staus sind unvermeidlich, aber es gibt kein Chaos, wie man es von manchen Veranstaltungsorten in Deutschland kennt, wo teure Parkgebühren erhoben, aber keinerlei Gegenleistungen erbracht werden.
Für Camper wird ein entsprechendes Gelände bereitgehalten. Langjährige Besucher berichten, dass es dort oft nach Ende des regulären Programms noch zu fantastischen Jamsessions kommt.
Eine unerfreulicher Aspekt soll nicht verhehlt werden: Für das Festival werden ausschließlich digitale Tickets verkauft, die am Einlass über eine App abgerufen werden müssen. Ausdrucke werden nicht akzeptiert. Ohne Handy ist also kein Zugang möglich. In den letzten Jahren gab es in den Stoßzeiten immer wieder Verbindungsprobleme. Zwar stehen für solche Fälle Helfer bereit, aber es kommt zu unschönen Stockungen.
Zum Schluss noch einmal in Stichworten: Holland International Blues Festival, 20. und 21. Juni 2025, Grolloo, Niederlande. Infos auf Niederländisch und Englisch gibt es online.