Mehr Milliarden für die Rüstung …

Wird ein längst begonnener Weltkrieg vergessen?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Der menschenverachtende und überdies heimtückische Krieg der Putin-Diktatur gegen die Menschen der Ukraine verlangt natürlich nach Verteidigungsfähigkeit. In gleicher Weise, wie einst auch die Sowjetunion ihre Menschen vor faschistischen deutschen „Herrenmenschen“ mit Soldatinnen und Soldaten schützen musste, gilt dies auch heute im Kampf gegen das oligarchisch-kapitalistische Russland. Dies erfordert Geld. Viel Geld. Geld in Form von Waffen wie Folgekosten für Wirtschaftssanktionen.

Auch ein weiteres Missverständnis soll nicht entstehen: Natürlich muss auch die deutsche Demokratie wehrhaft sein. Natürlich geht es nicht an, dass deutschen Soldatinnen und Soldaten feste Socken, warme Unterwäsche und Schutzwesten fehlen. Natürlich müssen Panzer und LKWs fahren, Schiffe schwimmen, Gewehre wie Kanonen schießen und Flugzeuge fliegen können.

 

Beim Rüstungsetat helfen Vergleiche

Für derartige Selbstverständlichkeiten verfügt Deutschlands Bundeswehr derzeit über den stolzen Etat von rund 50 Milliarden Euro. Und dieses viele Geld, ein beinahe Fünffaches des Etats für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, reicht nicht für Socken und funktionierende Motoren? Nehmen wir als unbefangenen Schiedsrichter über derartige Fragen doch einmal das unabhängige, international sehr angesehene SIPRI-Institut in Stockholm, das sich auf der Basis wissenschaftlicher Vergleichsstudien mit der weltweiten Rüstung befasst. Und kleiden wir das Ganze auf dieser Basis doch einmal in einen internationalen Vergleich.

SIPRI-Zahlen zu internationalen Militärausgaben, Erhebung 2021

Die USA haben danach mit riesigem Abstand das größte Budget für Rüstungsgüter. Laut SIPRI-Bericht 2021 wuchsen die US-Militärausgaben bis Ende 2020 auf 778 Milliarden Dollar. Das war ein Plus von 4,4 Prozent gegenüber 2019 und entspricht einem Weltanteil von 39 Prozent. Kurzum: Die USA stellen unverändert den mit Riesenabstand schwerstbewaffneten Weltpolizisten. Vier von zehn Euro des weltweiten Militärbudgets knallen in Militär und Waffensysteme der USA.

Was für unser Land bemerkenswert ist: Deutschland hatte seinen Wehretat bereits ständig gesteigert, als Putins Armee noch gar nicht an Ukraines Grenzen aufmarschiert war. Im Klartext: Deutschland steht bereits heute auf dem stolzen Rang sieben des Aufrüstungswettlaufs. Die GroKo gab schon 2020 52,8 Milliarden Dollar (ungefähr 44 Milliarden Euro) für Rüstung aus. Das war bereits im Vorjahr ein sattes Plus von 5,2 Prozent. Gegenüber 2011 war alles ein Zuwachs von 28 Prozent. Es ging danach, wir wissen es, sogar noch mehr: Für das Jahr 2022 ist der deutsche Verteidigungshaushalt gegenüber 2021 um rund 3,4 Milliarden Euro sogar auf etwa 50,3 Milliarden Euro gesteigert worden! Weitere 20 Milliarden kämen hinzu, wollte man das NATO-Ziel von 2% des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben erreichen. Und noch immer reichte es nicht für warme Socken?

Auf Platz zwei der zynisch so bestehenden Weltrüstungstabelle liegt, keine Überraschung, China. Die dort regierenden kapitalistischen Kommunisten gaben Ende 2020 geschätzte 252 Milliarden US-Dollar für Rüstungsgüter aus. Dahinter folgt, eine Überraschung, keineswegs Putins Gewaltmaschine. Platz drei besetzt stattdessen Indien, das seine Rüstungsinvestitionen auf knapp 73 Milliarden US-Dollar steigerte. Und die offiziellen Ausgaben Russlands, das 2021 Platz vier belegte? Sie wuchsen laut SIPRI-Bericht auf 61,7 Milliarden Dollar. Großbritannien steht dahinter auf Platz fünf und investierte danach nur etwas weniger als Putin, exakt 59,2 Milliarden Dollar.

 

Rechenaufgabe – lösbar für Fünftklässler

Kurzum: Bereits deutsche Fünftklässler könnten schnell summieren, dass allein die NATO-Staaten Deutschland und Großbritannien mit ihren Rüstungsausgaben Ende 2021 auf 112 Milliarden Dollar kamen. Russland mit seinen 73 Milliarden stattet seine Kriegsarmee also mit nur zwei Dritteln jener Summen aus, die allein Deutschland und das Vereinigte Königreich ausgeben. „Schon jetzt übersteigen die ‚Verteidigungsausgaben‘ aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache“, stellte jüngst, die OR berichtete, eine Delegiertenversammlung der Osnabrücker IG Metall richtigerweise fest.

Und da fehlt Geld für deutsche Soldaten-Unterwäsche? Welches fette Fass ist da ohne Boden? Wo zum Teufel versickert dermaßen viel Geld, dass bei der Grundausstattung der Truppe nichts mehr ankommt? Warum packt niemand das Übel an der Wurzel und geht Strukturprobleme an?

Jetzt soll ein „Sondervermögen“ von gigantischen 100 Milliarden Euro scheinbar auch für warme Socken, rollende Panzer, schwimmende Schiffe und fliegende Flugmaschinen sorgen. Man muss schon lange schlucken, um daran zu glauben.

 

Gelder, die händeringend fehlen

Wenn die Situation nicht so tragisch wäre, böte alles den Stoff für politische Comedy. Aber es ist tragisch. Nicht nur im Hinblick auf das Massensterben von unschuldigen Menschen in der Ukraine, denen eine deutsche Überrüstung gar nichts hilft. Tragisch wird die Summe nämlich auch beim nationalen Blick auf jene Bedürftigen, die nicht einen popeligen Cent der 100 Milliarden erhalten:

Sozial weniger Betuchte, die keine Mieten und Energiekosten mehr bezahlen können, zählen dazu. Ebenso Kinder, die unverändert auf Tafeln angewiesen sind, um warmes Essen zu erhalten und auch für schulische Ausbildung völlig „ungerüstet“ bleiben. Ganz zu schweigen von schlecht abgesicherten Rentnerinnen und Rentnern wie Opfern des Hartz-4-Systems, die auch angesichts der wachsenden Inflation nicht mehr aus und ein wissen, um die Billigmargarine auf dem pappigen Toast zu finanzieren.

Wieso hat eigentlich kein erkennbarer Regierungsabgeordneter für derartige Themen „Sondervermögen“ ins Spiel gebracht?

Beinahe „harmlos2 wirkt die aufgezeigte Defizit-Liste angesichts der globalen Herausforderungen. Die ohnehin beschämend niedrigen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit soll nach Lindners Etatentwurf massiv gekürzt werden. Wo bleibt da der Aufschrei? Bewirken weltweite Hungersnöte, Feuer- und Dürrekatastrophen, katastrophale gesundheitliche Versorgung in etlichen Staaten, extreme Ausbeutung, rund 100 Millionen weltweit Geflüchtete und globale Kriegsfolgen keinen Pendelausschlag, der nach weit höheren „Sondervermögen“ nur so schreit? Denkt da niemand nach?

 

Vergessener Weltkrieg

Und das Allerschlimmste zum Schluss: Wird angesichts der nötigen Bemühungen, einen dritten Weltkrieg zu verhindern, eigentlich vollkommen vergessen, dass ein ganz anderer Weltkrieg längst begonnen hat?

Es ist keiner mit Raketen, Bomben und Panzern. Es ist exakt der weltweite Kampf um den Erhalt unseres Planeten für künftige Generationen. Jeder Euro, jeder Dollar oder Rubel, der in Todeswaffen investiert wird, fehlt für Überlebenswaffen der Menschheit. Oder, als Frage formuliert: Wo sind die weltweit auf den Weg gebrachten „Sondervermögen“ gegen die Erderwärmung, gegen die Luft-, Meer- und Landschaftsverpestung, für Solarmodule, Windräder und Wasserstofftankstellen? Muss erst wieder Greta aus Schweden kommen, um derartige Themen bei uns anzusprechen?

Das aktuelle Grundproblem unserer Welt ist so schlicht, dass es sogar kleine Kinder begreifen können: Viel zu viel Geld fließt in die Rüstung, viel zu wenig in das Überleben von heutigen wie künftigen Menschheitsgenerationen. Es ist zum Verzweifeln. Auch in Deutschland. Oder dürfen wir irgendwann mal wieder hoffen?

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