Freitag, 29. März 2024

Der (einarmige) Pianist Paul Wittgenstein wurde heute vor 136 Jahren geboren

Paul Wittgenstein, geboren am 11. Mai 1887, Bruder des Philisophen Ludwig Wittgenstein, setzte nach dem Verlust seines rechten Arms im Ersten Weltkrieg seine Karriere als Pianist einarmig fort.

Der Sohn des Industriellen und Mitbegründers der Wiener Sezession, Karl Wittgenstein, und seiner Frau Lepoldine, einer Pianistin, machte gegen den Willen der Familie sein Hobby zum Beruf und debütierte 1913 als Pianist in Wien. Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er als Leutnant der K&K-Armee in Polen schwer verwundet, sein Arm musste amputiert werden und er geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Noch im lager in Sibirien unternahm er unglaublichen Anstrengungen, lernte einar­mig zu boxen, übte ständig Klavier, und begann sich zu einem Spezialisten für einhändiges Spiel zu entwickeln.

Nach dem Ende des Kriegs zurück in Wien, trat Wittgenstein wieder als Konzertpianist und gab zahlreiche Kompositionen in Auftrag. unter anderem schrieben Korngold, Strauss, Britten, Prokofjew, Hindemith und Ravel Konzerte für die linke hand für Wittgenstein. Die letzten Beiden verkrachten sich mit dem Pianisten. (Maurice Ravel, weil Wittgenstein eines seiner Stücke gravierend verändert hatte; Ravels Antwort auf Wittgensteins Einwurf, dass Interpreten keine Sklaven der Komponisten seien: „Interpreten sind Sklaven.“ Und Hindemith hatte dem Pianisten ein bestelltes Konzert samt Rechnung mit den Worten „es täte mir leid, wenn ihnen das Stück nicht gefällt“ zugesandt; Wittgenstein, dem ein konservativer Musikgeschmack nachgesagt wurde, antwortete: „Ich verstehe keine Note davon und ich werde es nicht spielen“.)

Nach dem „Anschluss“ Österreichs verlor Wittengenstein (schon seine Großeltern waren getauft) infolge der „Rassegesetze“ seine stelle am Konservatorium. „Ich erinnere mich, wie Paul mir eines Morgens nach dem Umbruch mit bleichem Entsetzen mitteilte, wir gälten als Juden … Er ging herum wie einer, dem man die Grundlagen des Lebens zerstört hat, und sprach nur immer davon, dass er nicht in Ös­terreich bleiben könne“, so seine Schwes­ter Hermine. Paul brach mit den in Österreich bleibenden Familienmitgliedern, die sich gegen eine exorbitantes „Lösegeld“ von ihrer jüdischen Herkunft freigekauft hatten, und emigrierte 1938 mit seiner Ex-Studentin und Mutter zweier seiner Töchter über die Schweiz und Italien in die USA, wo beiden noch ein Sohn geboren wurde.

Hier gab er wieder Klavierunterricht als Privatlehrer und an Konservatorien und bearbeitete viele Werke u. a. von Bach, Brahms, Bartholdy, Schumann, Chopin, Beethoven und Haydn für linkshändiges Klavier. Paul Wittgenstein, dessen Ruhm sich größtenteils auf die ihm gewidmeten Klavierkonzerte begründet, starb 1961 in New York.

Interessante Lektüre: Oliver Sacks, „Musicophilia. Tales of Music and Brain“ (deutscher Titel „Der einarmige Pianist. über Musik und das Gehirn“, Rowohlt, 2008)

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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