2. Februar 1863:
Die Abenteurerin Alexandrine Tinne bricht zu einer Afrikaexpedition auf …
Alexandrine Tinne (1835–1869) war die Tochter von Philip Frederik Tinne, einem Kaufmann, und der Baroness Harriet van Steengracht-Capellen aus Den Haag. Sie war zehn Jahre alt, als ihr Vater starb und sie zu einer der reichsten Erbinnen der Niederlande machte.
Alexandrine hatte die Reiselust von ihrer Mutter geerbt, die mit ihr schon als Kind monatelange Touren unternommen hatte. Sie lernte Arabisch und kaum war sie volljährig, investierte sie Papas Kohle in Reisen – erst quer durch Europa, dann in den Orient – Palästina, Syrien, Libanon… im Dezember 1855 betrat sie in Alexandria, immer die Mutter im Schlepptau, erstmals afrikanischen Boden und blieb zwei Jahre.
Zurück in den Haag hoffte ihre Mutter auf einen ruhigen Lebensabend, doch Alexandrine wollte zurück nach Afrika und noch tiefer in das Innere des afrikanischen Kontinents vordringen. „Von meiner Kindheit an, als ich Erdkunde lernte, sehnte ich mich immer danach, die Orte zu besuchen, die in der Mitte der Karte von Afrika durch einen großen, leeren Raum angedeutet wurden.“
Sie überzeugte ihre Mutter und nach vier Jahren Reiserei durch Europa, machten sich die Frauen, nun war auch noch Alexandrines Tante Adriana dabei, 1861 erneut nach Afrika auf. Zu dieser Zeit waren weite Teile des Kontinents noch völlig unerforscht. Die europäischen Mächte interessierten sich vorerst nur für die Küstenregionen und das Reisen war gefährlich, wegen der Eingeborenen, wegen der tropischen Krankheiten und der Sklavenhändler.
Allerdings darf man sich Alexandrines Reisen nicht mit Outdoor-Klamotten und Rucksack vorstellen. Sie, ihre Mutter und die Tante wollten auch hier nicht auf ihren gewohnten Komfort verzichten. Und so wurden sie von hunderten Trägern begleitet, die Pelze und Abendkleider, Porzellangeschirr, Bücher, eiserne Bettgestelle und sogar ein Klavier mitschleppten.
Und der Tross wurde noch größer, denn unterwegs begegneten sie immer wieder Sklavenhändlern: „Noch nie in meinem Leben bin ich so verstummt und geschockt gewesen“, schrieb Alexandrine 1862. „Man kann sich das nicht vorstellen, es ist widerwärtig. (…) alle waren nackt, und die Männer trugen um den Nacken schwere ketten, so dass sie nicht allein aufstehen konnten. Aber, was uns noch am stärksten traf, war ihre Abgezehrtheit, unbeschreiblich.“
Die junge Niederländerin legte sich mit den Sklavenhändlern an. Sie ließ Hammel schlachten und die Ausgemergelten füttern, sie kaufte etliche Sklaven frei und bot ihnen an, sich ihr anzuschließen.
Tinne wollte unbedingt die Nilquellen finden, kam aber nur bis zum Kongo – nichtsdestotrotz eine große Leistung, war hier zuvor doch noch nie ein Europäer gewesen.
Nach Kairo zurückgekehrt, begann die Ehrgeizige ihr nächstes Projekt, die Erforschung des Gazellenflusses, zu planen. Ihre eingangs erwähnte Expedition ins absolute Unbekannte startete, begleitet von dem deutschen Forscher Theodor von Heuglin und dem Botaniker Hermann Steudner sowie 65 Leibwächtern und 40 mit Geschenken für die Eingeborenen und Gepäck beladenen Maultieren, heute vor 158 Jahren. Die Expeditionsteilnehmer beobachteten die Natur, sammelten und zeichneten Pflanzen und legten Herbarien an. Auch auf dieser Reise kaufte Tinne Menschen frei. Während der mehrere Monate dauernden Tour kamen sie durch die weitverzweigten Sumpfgebiete des Südsudans, bis unweit der heutigen Grenze zu Uganda, doch dann traf sie ein Unglück nach dem anderen. Steudner, die Mutter, die Tante, zwei Zofen und der Dolmetscher erkrankten kurz hintereinander an Malaria bzw. Typhus und starben. Entsetzt schrieb Alexandrine nach Hause: „Sie sind alle tot!“
Sie brach die Reise ab und kehrte nach Khartum zurück. Anschließend durchkreuzte sie anderthalb Jahre lang rastlos das Mittelmeer. Wollte es dann aber doch nochmal wissen und als erste Europäerin die Sahara durchqueren, von Algier bis in den Tschad. Da in der algerischen Sahara Unruhen herrschten fuhr sie mit ihrem Trupp nach Tripolis und trat von hier aus Ende Januar 1869 ihre letzte Reise an, denn am 1. August 1869, in der Nähe von Murzuk, kam es zu einem Streit zwischen mehreren ihrer Kameltreiber. Tinne sowie zwei ihrer Begleiter wurden von einem Tuareg mit dem Säbel niedergestreckt und während andere Tuaregs ihr Gepäck plünderten, verblutete sie. Bis heute ist nicht geklärt, ob die 33-jährige das Opfer religiösen Hasses, von Habgier oder eines Machtkampfes rivalisierender Gruppen wurde, denn Tinne reiste unter dem Schutz des alten Anführers der nördlichen Tuareg, Ichnuchen, und den wollten seine jüngeren Konkurrenten absetzen …
„Mit der schönen Alexandrine ist einer unserer kühnsten afrikanischen Pioniere begraben“, klagte der Maler Wilhelm Gentz in seinem Nachruf. Sie selbst hatte einmal jemandem geschrieben: „Wenn mir auf meinen Reisen was zustoßen sollte, was doch ganz gut möglich ist, dann wird man zweifellos sagen: Ja, das kommt davon, von all dem Reisen! Arme Alexine, was für ein Tod etc. etc., aber du sollst es nicht tun und mich auch nicht bemitleiden. (…) Ich habe nie das Glück begriffen, ganz alt werden zu wollen (…) und ich finde nichts beängstigend an dem Gedanken, fröhlich und tapfer mein Ende zu finden anstelle ein langweiliges Leben weiterzuschleppen, so wie ich so viele es habe tun sehen. (…) Ich habe keine Eile zu sterben – aber wenn es passiert, gut – ein kurzes Leben, aber ein fröhliches Leben!“