Judith Kessler: Am 5. Juli 1854 geht der berühmte „Schachtürke“ bei einem Museumsbrand in Flammen auf

„Geboren“ wurde der Schachtürke 1769 im Haus des österreichischen Staatsbeamten Wolfgang von Kempelen in Pressburg (Bratislava).

Kempelen, ein begeisterter Bastler, hatte schon eine Sprechmaschine konstruiert und wollte seiner Dienstherrin Maria Theresia nun vorführen, dass er noch mehr drauf hatte. Anfang 1770 stellte er ihr einen lebensgroßen künstlichen Menschen in türkischem Outfit vor, der an einem Podest mit einem Schachbrett saß. In dem Podest befand sich ein anscheinend kompliziertes Räderwerk. Der Türke griff und verschob mit dem linken Arm die Schachfiguren, blickte sich bei jedem Zug seines Gegenübers auf dem Brett um, schüttelte oder nickte mit dem Kopf – und setzte alle Gegner binnen dreißig Minuten schachmatt.

Ein Augenzeuge (1773): „Sowol der Tisch, als die Maschine selbst, sind voller Räder, Hebel und Springfedern. Der Herr von Kempelen macht sich auch gar kein Bedenken, die Maschine inwendig zu zeigen, besonders wann er wahrnimmt, daß jemand einen darinn verborgenen Knaben muthmaßet. Ich habe den Tisch sowol, als die Maschine öfters sehr sorgfältig untersucht, und ich kann daher mit aller Ueberzeugung versichern, daß auch nicht der mindeste Grund zu einem solchen Verdachte übrig bleibe (…).“

Kempelen, der keinen Hinweis auf die Funktionsweise gab (aber schon von einem mechanischen Trick sprach), ließ also mit Erfolg den Eindruck entstehen, dass er einen (den ersten) Automaten konstruiert hatte, der selbständig Schach spielen konnte.

1781 führte Kempelen Kaiser Joseph in Wien seinen Schachtürken vor und ging anschließend mit ihm auf „Tournee“. In Paris verlor der „Türke“ eine Partie gegen François-André Danican Philidor, seinerzeit der weltbeste Spieler. Und Wissenschaftler der Académie Française versuchten erfolglos, seine Funktionsweise zu ergründen. In Berlin soll der „Türke“ 1785 gegen Friedrich den großen gespielt und ihn besiegt haben. Jedenfalls hatte Kempelen danach so viele Besucher, dass ihm das auf die Nerven ging und er irgendwann behauptete, er habe die Maschine zerstört oder sie sei defekt.

Nachdem Kempelen 1804 gestorben war, wechselte der „Türke“ den Besitzer. Auch der neue – Johann Nepomuk Mälzel – ging mit ihm auf Reisen. 1809 gewann der „Türke“ auf Schloss Schönbrunn eine Partie gegen Napoleon, und in London versuchte Edgar Allan Poe hinter das Geheimnis des Automaten zu kommen und schrieb später das Essay „Maelzel’s chess player“.

1826 reiste Mälzel weiter in die USA. Ein Jahr später sollen zwei jungen in Baltimore beobachtet haben, wie ein Mann dem Schachtürken entstieg, nach einer anderen Version sei das Geheimnis erstmals gelüftet worden, als bei einer Vorführung auf einem Jahrmarkt ein Zuschauer „Feuer! Feuer!“ gerufen und Mälzel daraufhin den Kasten geöffnet habe, um den Spieler herauszulassen. aber erst im Todesjahr von Mälzel, 1838, teilte ein Autor in der „Revue Mensuelle des Echécs“ mit, dass wirklich Menschen darin versteckt waren. Wer diese Helfer jeweils waren, ist bis heute nicht vollkommen geklärt. aber es gibt Berichte, nach denen Kempelen seine Tochter dafür eingesetzt hat und Mälzel die Schachspieler Johann Baptist Allgaier, Boncourt, Jacques François Mouret, William Lewis und Wilhelm Schlumberger. Möglicherweise geht sogar der Ausdruck „etwas türken“ (im Sinne von vorspiegeln oder fälschen) auf diesen „Falschspieler“ zurück, der mit seiner auffälligen orientalischen Kleidung nur von der eigentlichen Täuschung ablenken sollte.

Nach dem Tod Mälzels gelangte der Schachtürke ins Peale’s Museum in Philadelphia, wo er schließich bei einem feuer im Museum verbrannte. Aber es gab Nachfolger wie den 1868 von Charles Hooper konstruierten „Ajeeb“ oder den 1878 von Charles Godfrey Gümpel gebauten „Mephisto“ und eine Rekonstruktion unseres Ur-Spielers, des Schachtürken, kann man im Heinz Nixdorf Museumsforum in Paderborn besichtigen.

 

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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