Mittwoch, 24. April 2024

Judith Kessler erinnert an die Bakteriologin Lydia Rabinowitsch-Kempner, die heute vor 152 geboren wurde …

Lydia Rabinowitsch-Kempner *22. August 1871

Die zweite Professorin in Preußen und erste in Berlin wies die Übertragung der Tuberkelbazillen durch infizierte Kuhmilch nach und wurde als Jüdin aus dem Amt gejagt.

Sie stammt aus Kaunas (Kowno) in Litauen und ist eines von neun Kindern des jüdische Brauereibesitzers Leo Rabinowitsch und seiner Frau Minna Werblunski. Da Frauen im russischen Reich nicht zum Studium zugelassen werden, geht sie mit 18 nach Zürich und Bern, um Pädagogik, Germanistik, Zoologie und Botanik zu studieren, promoviert 1894 in Berlin und wird (natürlich unbezahlte) Assistentin von Robert Koch.

ihre forschungsarbeiten finden zwar international beachtung, aber in berlin wird sie von den männlichen platzhirschen belächelt. sie geht in die usa, wird in philadelphia zur professorin ernannt, lehrt dort das neue fach bakteriologie und forscht in einem von ihr begründeten institut über die von ihr vermutete infektiosität der milch tuberkulöser kühe.

1898 kehrt sie nach berlin zurück und heiratet den mediziner walter kempner, der ebenfalls assistent bei koch ist. sie forscht mit ihrem mann weiter, bekommt zwischendurch drei kinder, engagiert sich für frauenrechte und 1902 reist das ehepaar nach odessa, um bei der bekämpfung der dort ausgebrochenen pest zu helfen.

seuchen und mangelnde hygiene sind zu dieser zeit noch ein großes problem und kosten viele menschenleben. robert koch gelingt es nicht, doch lydia rabinowitsch kann als erste nachweisen, dass die milch tuberkulöser kühe bei menschen tuberkulose auslösen kann. tragischerweise werden 1920 auch lydias mann und 1932 ihre tochter an der „volkskrankheit“ tbc sterben.

1904 kommt es zum „moabiter milchkrieg“. lydia rabinowitsch-kempner war vom magistrat beauftragt worden, die milch der bekannten berliner „meierei carl bolle“ näher zu untersuchen. bolle jubelt ihr statt der rohmilch bereits abgekochte und damit bakterienfreie proben unter, rabinowitsch entdeckt den schwindel, stellt strafanzeige, weist tuberkelbakterien in bolles rohmilch nach und gewinnt nach langem rechtsstreit den prozess gegen die hartnäckig leugnende firma. seitdem kennt jeder in berlin ihren namen. und die hygiene in den molkereien wird dank lydia rabinowitsch-kempner von da an von den behörden kontrolliert.

in den folgenden jahren gründet die wissenschaftlerin die erste zeitschrift für tuberkulose, berät das militär in punkto vorbeugung gegen seuchen und publiziert viel. 1912 wird ihr von wilhelm II. der professorentitel verliehen, als zweiter frau in preußen, als erster in berlin. antisemitische reaktionen bekommt sie sofort, aber eine lehrbefugnis und ein festes gehalt erst 1920, als sie die leitung des bakteriologischen instituts am krankenhaus moabit übernimmt.

A.Savin, WikiCommons

nach der machtübergabe an die nazis wird die verdienstvolle bakteriologin aus dem amt gejagt. lydia rabinowitsch-kempner ist zu krank, um deutschland noch zu verlassen und stirbt 1935 mit 63 jahren in berlin. vorher hat sie noch dafür gesorgt, dass ihre söhne emigrieren können. einer wird ein bekannter arzt, der andere, robert, wird elf jahre später der stellvertretende us-chefankläger bei den nürnberger kriegsverbrecherprozessen sein.

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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