Judith Kessler erinnert an die Gewerkschafterin und Journalistin Sidonie Zippora Sender, die heute vor 135 Jahren geboren wurde …

Sidonie Zippora Sender, *29. november 1888, heute kaum noch erinnert, war eine der bekanntesten Politikerinnen der Weimarer Republik, Gewerkschafterin und Journalistin …

„Im neuen Staat, der deutschen Republik, ist die Frau wenigstens soweit aus früherer Rechtlosigkeit befreit, daß sie durch die sozialdemokratische Partei das Recht zu wählen bekam. Und wir Frauen sind die Mehrheit in dem deutschen Volke. Auf uns kommt es darum an. Ihr Frauen und Mädchen habt den Mut zum Neuen, habt den Mut zum Glück“, schrieb Sender 1928.

Sie selbst, hineingeboren in eine orthodoxe Familie, ihr Vater Moses war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Biebrich am Rhein, ist schon sehr früh mutige unorthodoxe Wege gegangen. Mit 13 Jahren hatte Sidonie, die sich lieber „Toni“ nannte, ihr Elternhaus verlassen, in Frankfurt eine Handelsschule für Mädchen besucht und war als Bürogehilfin mit 16 in die Büroangestelltengewerkschaft eingetreten. Sie besuchte Kurse an der Abendschule, weil ihr Vater ihr die Zustimmung zu einem Studium der Nationalökonomie verweigert hatte und wurde 1906 Mitglied der SPD.

Um den Vorwürfen der Familie zu entfliehen ging Toni Sender 1910 als Fremdsprachensekretärin nach Paris, trat der Sozialistischen Partei Frankreichs bei und engagierte sich dort für Frauenrechte. als der Erste Weltkrieg begann, musste sie als feindliche Ausländerin Frankreich verlassen, kehrte nach Frankfurt zurück, machte sich gegen die Kriegspolitik ihrer Partei, der SPD, stark und trat konsequenterweise der neugegründeten USPD bei. 1919 wurde sie als einzige Frau der USPD Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, 1920 Reichstagsabgeordnete und entwickelte sich von da an (nebenbei absolvierte sie nach der externen Abiturprüfung 1928 ein Volkswirtschaftsstudium) zu einer Expertin für Außen- und Wirtschaftspolitik.

Die körperlich auffallend kleine Toni Sender war eine auffallend brillante Rhetorikerin, die ohne Unterlass für Abrüstung und die ökonomische Gleichstellung von Frauen, für „gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“ stritt – im Reichstag, auf Versammlungen und in über 400 Artikeln, die sie als Redakteurin der Betriebsrätezeitung des Metallarbeiterverbandes und für die sozialdemokratische „Frauenwelt“ schrieb und die ob ihrer Schlagfertigkeit häufig im „Vorwärts“ zitiert wurden.

1932 war Toni Sender noch öffentlich für einen Generalstreik eingetreten, um die faschistische Machtübernahme abzuwenden. wenige Monate später musste die jüdische Sozialistin beginnen, um ihr Leben zu fürchten. Am 5. März 1933 verließ sie Deutschland. erst hielt sie sich in der Tschechoslowakei auf, bekam dann das Angebot in Antwerpen für die „Volksgazet“ zu schreiben, wurde 1934 aus Deutschland ausgebürgert und blieb nach einer dreimonatigen Vortragsreise 1935 in den USA. Sie schrieb ihre Memoiren, die zu Recht den Titel „The Autobiography of a German Rebel“ tragen, wurde 1943 amerikanische Staatsbürgerin und Wirtschaftsspezialistin bei der United Nations Relief and Rehabilitation Administration. Sie engagierte sich bei den Vereinten Nationen u. a. in der Menschenrechtskommission, der Kommission zur Rechtsstellung der Frau und als Vertreterin des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften. 1956 endete Senders bis dahin unermüdlicher Einsatz infolge einer schweren Parkinson-Erkrankung. 1964 starb sie. Die New York Times widmete ihr einen ausführlichen Nachruf, die SPD eine kurze Notiz.

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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