Judith Kessler über Beate Sirota (*25.10.1923), die vielleicht bedeutendste Feministin des 20. Jahrhunderts …

… von der man noch nie etwas gehört hat.

Als ich das erste Mal von ihr las, konnte ich jedenfalls kaum glauben, dass eine 22-Jährige Wiener Jüdin 1946 die neue japanische Verfassung mitgeschrieben und in ihr Frauen- und Gleichheitsrechte installiert haben sollte – fast eine Revolution, wenn man bedenkt, wie konservativ und frauenfeindlich die japanische Gesellschaft damals war. Doch mit Beate Sirota war zufällig die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen …

geboren worden war sie in wien, wohin ihre eltern, leo sirota und augustine horenstein, vor den pogromen in ihrer heimatstadt kiew geflohen waren. als beate fünf war, bekam leo sirota, damals ein bekannter pianist (auf youtobe gibt es noch aufnahmen von ihm) eine befristete stelle in tokio; ein ähnliche in wien hatte er abgelehnt, weil er für die hätte konvertieren müssen. die sirotas gingen also nach japan und aus dem sechsmonatigen vertrag wurden lange jahre. während die meisten ausländer unter sich blieben, hatten beates eltern immer viele japanische gäste und wurde sie von ihrer mutter ermuntert, sich mit japanischen kindern anzufreunden; augustine sirota förderte das unabhängige denken ihrer tochter und machte sie auf unterschiede zwischen den kulturen aufmerksam.

in dieser zeit konnten in japan väter ihre töchter noch an fremde verkaufen, frauen mussten ihre mahlzeiten in einem anderen raum als männer einnehmen, drei schritte hinter ihnen gehen etc. beate wurde eine aufmerksame beobachterin und profunde kennerin der japanischen kultur und sprache. neben deutsch und russisch, sprach sie bald fließen japanisch und lernte drei weitere sprachen. sie besuchte eine deutsche schule in tokio, bis der nazi-antisemitismus sich auch in japan ausgebreitet hatte, und wechselte dann auf eine amerikanische.

1939, mit 16, schickten ihre eltern beate zum studium in die usa. nach pearl harbor 1941 verlor sie den kontakt zu ihnen, die inzwischen interniert worden waren. das college erlaubte ihr, ihre abschlussprüfungen ohne weiteren unterricht abzulegen und sie meldete sich sofort beim office of war information als übersetzerin, in der hoffnung, so etwas über den verbleib ihrer eltern zu erfahren. sirota übersetzte und schrieb radiosendungen, in denen die japaner u.a. zur kapitulation aufgefordert wurden. nach dem atombombenabwurf auf hiroshima geriet beate, die immer noch keine nachricht von ihren eltern hatte, in panik und da zivilisten nicht nach japan durften, bettelte sie bei der us-army um einen job in tokio. dort war man angetan von der chuzpediken jungen frau, die sechs sprachen konnte, und teilte sie dem stab des oberbefehlshabers der alliierten mächte, douglas macarthur, als mitarbeiterin und dolmetscherin zu.

weihnachten 1945 kam beate wieder in tokio an, und fand ihre eltern schließlich auf dem land wieder, immer noch im hausarrest, aber gesund. im februar 46 erging plötzlich der befehl an macarthurs mitarbeiter, innerhalb einer woche eine neue japanische verfassung zu erarbeiten – der konservative entwurf der japaner war den amerikanern nicht weit genug gegangen; nun sollte ein eigener entwurf der japanischen regierung als leitfaden dienen und dann in ihrem namen publiziert werden.

beate sirota, die für frauenfragen und bürgerrechte in der arbeitsgruppe eingeteilt worden war, sagte später, dass das wenige, was sie zu diesem zeitpunkt über solche dinge wusste, aus ihrer high-school-zeit stammte. sie besorgte sich die verfassungen diverser länder, studierte sie, besonders hatten es ihr die sowjetische und weimarer verfassung angetan, und schrieb revolutionäre worte in ihren teil des entwurfs:

artikel 14: „alle bürger sind nach dem gesetz gleich und es darf keine diskriminierung in politischen, wirtschaftlichen oder sozialer hinsicht aufgrund von rasse, glauben, geschlecht, sozialem status oder familiärer herkunft geben.“

artikel 24: „die ehe gründet sich allein auf dem gegenseitigen einverständnis beider geschlechter und wird auf grundlage der gleichberechtigung von mann und frau durch gegenseitige zusammenarbeit aufrechterhalten. In bezug auf ehegattenwahl, güterrechte, erbschaft, wohnsitzwahl, scheidung und sonstige ehe- und familienangelegenheiten sind gesetze unter dem gesichtspunkt der würde des einzelnen und der grundsätzlichen gleichberechtigung der geschlechter zu erlassen.“

charles kades, der chef des konstitutionellen lenkungsausschusses, war zuerst entsetzt: „mein gott, sirota, sie haben japanischen frauen mehr rechte eingeräumt als in der amerikanischen verfassung“, erinnerte sie sich später und dass sie geantwortet habe: „colonel kades, das ist nicht sehr schwer, denn frauen stehen nicht in der amerikanischen verfassung.“ kades war verblüfft über diese tatsache und über die schlagfertige junge frau und ließ die artikel stehen.

der eigentliche härte-test kam, als das werk den japanischen unterhändlern vorgelegt wurde. die waren geschockt. frauen hatten in japan praktisch keine rechte, nicht mal die wahl des ehemannes. vor allem artikel 24 passe nicht zur japanischen kultur und lebensart, so also der einwand. es folgte ein 32-stündiges tauziehen um diese und andere klauseln, das sich vom 4. bis 5. märz 1946 hinzog. irgendwann in der nacht sagte jemand den japanern am verhandlungstisch, wer die frauen- und die antidiskriminierungsklausel eingebracht hatte. und da sie beate sirota, die einzige frau in der runde, als übersetzerin und als wohlwollende, intime kennerin ihrer kultur und ihres landes hoch schätzten und die amerikaner in anderen punkten kompromisse eingegangen waren (sie hatten der beibehaltung eines zwei-kammer-parlaments zugestimmt und den artikel fallengelassen, der land und natürliche ressourcen zu staatsbesitz gemacht hätte), stimmten sie am ende zu, als colonel kades fragte: „miss sirota hat ihr herz an die frauenrechtsklausel verloren – also warum verabschieden wir sie jetzt nicht!?“

beate sirota verließ japan mit ihren eltern 1947 und heiratete nach ihrer rückkehr in die usa im tempel emanuel in new york joseph gordon, den jüdischen dolmetscher des us-militärgeheimdienstes in japan, mit dem sie zwei kinder bekam. sie war anfangs direktorin des studentenaustauschpogramms der japan society (u.a. hat sie die junge yoko ono betreut), forschte später über asiatische tänze und widmete ihr weiteres leben der interkulturellen verständigung, als direktorin für darstellende kunst der japan society und später der asia society.

da die details der verhandlungen um die japanische verfassung von den usa und japan jahrzehntelang als staatsgeheimnis behandelt wurden, und auch beate gordon kein wort sagte und später schwieg, weil sie nicht wollte, dass ihre damalige rolle zur munition für die japanischen konservativen wurde, die seit langem eine verfassungsrevision forderten, kam ihr beitrag erst ende der 1980er jahre ans tageslicht. nun schrieb sie ihre memoiren „the only woman in the room“, wurde und wird auch nach ihrem tod 2012 in japan als heldin verehrt. die verfassung, die sie 1946 mitgeschrieben hat, ist bis heute unverändert gültig.
Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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