„Geht nach Palästina!“

Osnabrücks Anteil an der Gründung des Staates Israel im Mai 1948

„Wir waren deutsch, deutsch, und noch mal deutsch – und dann erst waren wir Juden“ – so beschrieb Ewald Aul (1926 – 2013), langjähriger Vorsitzender der jüdischen Nachkriegsgemeinde, die im Nationalsozialismus vernichtete Osnabrücker Synagogengemeinde, zu der er gehört hatte. Deutschland war, mit den Worten der Osnabrücker Ärztin Frieda Loewenstein, „das Land, wo unsere jungen Männer ihre Jugend geopfert hatten, um das Land zu verteidigen“ und von dem sie deshalb nur schwer Abschied nehmen konnte. Alle männlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die alt genug waren, hatten im Ersten Weltkrieg ihr Leben für ihr Land riskiert und ihre Loyalität zu ihrer deutschen Heimat bewiesen. Sechs von ihnen waren in diesem Krieg gefallen.

Wie wurden aus diesen heimatliebenden Deutschen dann Zionistinnen und Zionisten, mit dem Ziel, einen eigenen jüdischen Staat zu schaffen? Der Zionismus entstand aus der Erkenntnis, dass die Assimilation gescheitert sei und nur ein selbstverwalteter jüdischer Staat, aus dem sie nicht mehr vertrieben werden konnten, Jüdinnen und Juden einen Ausweg aus ständiger Verfolgung bieten konnte. Diesen Gedanken formulierte Theodor Herzl 1897 auf dem ersten Zionistischen Weltkongress in Basel. „Wir waren Deutsche und haben uns doch immer als Menschen zweiter Klasse gefühlt. Frontkämpfer mit Eisernem Kreuz und zugleich Zionist zu sein, war deshalb kein Widerspruch“, beschrieb Gershon Stein die Haltung seines Vaters, eines der aktivsten Zionisten in Osnabrück.

Drei Erinnerungen jüdischer OsnabrückerInnen, drei Schicksale. Ewald Aul wurde als 15jähriger von Osnabrück deportiert, überlebte das KZ, kehrte in die Stadt zurück, und blieb. Frieda Loewenstein floh noch rechtzeitig mit Mann und Sohn in die USA. Gershon Stein wanderte als Jugendlicher nach Palästina ein, Eltern und Bruder folgten.

Urkunde des Treefund für Gustav Stein - Archiv Martina SellmeyerUrkunde des Treefund für Gustav Stein - Archiv Martina Sellmeyer

Als bei einer jüdischen Hochzeit in Osnabrück 1908 Spenden für die Ölbaumpflanzung in Palästina gesammelt wurden, hätte wohl keiner der Gäste gedacht, dass Kinder und Enkelkinder der Feiernden, und einige von ihnen selber, einmal in diesem weit entfernten Land leben würden. Man spendete in deutsch-jüdischen Kreisen bei feierlichen Anlässen gerne Geld für die Anpflanzung von Bäumen, die in hohem Maße zur Aufforstung Palästinas beitrugen, und verfolgte interessiert Vorträge über das exotische Land. Jüdische Deutsche unterstützten auch Organisationen, die Geld für das „Aufbauwerk in Palästina“ sammelten, Damit wollten sie aber nicht die eigene Auswanderung vorbereiten, sondern Pogromflüchtlinge, vor allem aus Russland, beim Aufbau einer neuen Heimat in Erez Israel, dem Land der Vorfahren, unterstützen. Mehr als 500 Pogrome in Russland zwischen 1903 und 1905, bei denen jüdische EinwohnerInnen u. a. in Feuersbrünsten umkamen, hatten eine Massenflucht jüdischer Familien ausgelöst.

Die zionistische Idee beruhte auf der jüdischen Verfolgungserfahrung, „damit, wenn Juden irgendwo in der Welt Schwierigkeiten haben und dort nicht mehr leben können, sie ein eigenes Land haben, in das sie kommen können“. So erklärte es Elieser Elbaum, dessen Familie 1933 als eine der ersten aus Osnabrück fliehen musste, und mit Hilfe der Zionistischen Vereinigung Zuflucht in Palästina fand. Die Familie wäre ohne die nationalsozialistische Verfolgung nicht nach Palästina ausgewandert, ebenso wenig wie die von Frieda Breuer (geborene Redler): „Wir waren doch Deutsche. Ich habe meine Eltern gefragt: ‚Palästina – wo ist das?’“

„Bereits im Alter von 5-6 Jahren warfen mir meine Freunde vor, persönlich Jesus ermordet zu haben, ohne dass ich überhaupt wusste, was sie meinten“, berichtete Chanan Maor, der damals noch Hans Leichtentritt hieß. „Auf der Straße haben sie mir nachgerufen ‚Jude Itzig‘ usw., das war gang und gäbe – vor Hitler!“ erinnerte sich jüdische Fritz Loewenstein an seine Kindheit in Osnabrück. Die Osnabrücker Zeitung Der Stadtwächter sprach 1930 von jüdischen Menschen als einem „Mördervolk“ und dem „orientalische[n] Geschäftsgebaren dieser deutschen Staatsbürger mit dem jüdischen ‚Glauben’“.

Jugendgruppe des I.P.D., in der Mitte Peter van Pels - Archiv Martina SellmeyerJugendgruppe des I.P.D., in der Mitte Peter van Pels - Archiv Martina Sellmeyer

Aufgrund solcher Erfahrungen wandte sich ein Teil der jüngeren Mitglieder der jüdischen Gemeinde schon vor 1933 von dem deutschen Patriotismus der Eltern- und Großelterngeneration ab und beschäftigte sich mit der Idee einer eigenen Nation, in der es sich frei von Diskriminierung leben ließ.

Bei Treffen der Jüdischen Pfadfinder Deutschlands (I.P.D.) wurde auch über die schwierige politische Situation in Palästina gesprochen. Man traf sich wöchentlich, hörte interessante Vorträge und machte oft am Sonntag Ausflüge oder Treffen und Fahrten mit anderen jüdischen Gruppen aus Bielefeld, Düsseldorf, Frankfurt etc. Doch ohne den Holocaust wäre kaum jemand von diesen jugendlichen OsnabrückerInnen tatsächlich nach Palästina gegangen. „Die Horra hat man getanzt, und die jüdischen Lieder haben wir gesungen. Aber wir haben nicht an Auswanderung nach Israel gedacht,“ berichtet eine von ihnen. Aus dem Zionismus als Idee wurde erst unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung in Deutschland Realität – auch in Osnabrück. „Ich hätte es sicher ganz interessant gefunden, mal dahinzugehen, aber dahin auszuwandern? 1933 habe ich nicht daran gedacht,” schilderte Eri Barmé (Jahrgang 1913) ihre Einstellung zu Erez Israel.  Als in ihrer Schule im Katharinenviertel und auf den Straßen der Stadt vom „Judenblut“ gesungen wurde, das „vom Messer spritzt“, beschloss Grete Falk, zu gehen, wenn man sie in Deutschland nicht mehr haben wollte. „Es gibt keine Zukunft für mich in Deutschland“, stellte die Abiturientin fest. Doch es war nicht leicht für sie, ihre Eltern von der Idee einer Auswanderung nach Palästina zu überzeugen.

Die Zionistische Vereinigung hatte in Osnabrück vor 1933 nur wenige Mitglieder, die laut Gershon Stein von den meisten Gemeindemitgliedern als Außenseiter, wenn nicht als Sonderlinge und Schwärmer angesehen wurden, die einer unrealistischen Utopie anhingen. Was jüdische OsnabrückerInnen dennoch nach Palästina trieb, war nicht nur die judenfeindliche Politik des NS-Staates. Es waren auch die nichtjüdischen NachbarInnen. Lori Gittelsohn berichtete von ihren Erlebnissen im Haus der Familie Flatauer an der Herderstraße am 10. November 1938, dem Tag, nachdem die Synagoge in der Rolandstraße in Brand gesetzt wurde. Schüler des Realgymnasiums bewarfen das Haus den ganzen Vormittag lang mit Backsteinen, die durch die Fenster in die Wohnung flogen. Im Haus hatten viele jüdische Frauen und Kinder Schutz gesucht, die dadurch in Lebensgefahr gerieten.  Währenddessen ertönten Sprechchöre vor dem Haus: „Geht nach Palästina!“


„Auf eigenem Boden wieder ein Volk mit eigener Sprache und Kultur“

Aufgrund der sich rapide verschlechternden Situation für jüdische Menschen in Deutschland richtete der Makkabi, der eigentlich ein Sportverein war, seine Arbeit Mitte der 1930er Jahre immer stärker auf die Auswanderung nach Palästina aus, indem er jüdischen Jugendlichen Ausbildungsplätze im Handwerk oder der Landwirtschaft vermittelte, die eine Voraussetzung für den Erhalt eines Zertifikats für die Einreise waren. Eines dieser Vorbereitungslager befand sich ganz in der Nähe, in Westerkappeln bei Osnabrück. Die 18jährige Elfriede Katzmann berichtete von Fahrten mit dem Makkabi:Auf unseren großen Fahrten mit dem Bund habe ich die herbe und üppige Schönheit Deutschlands, den Zauber des deutschen Waldes, tief lieben gelernt. Sie gehören zu meinen schönsten und reichsten Erinnerungen.“ Doch gleichzeitig reifte in ihr der Wille, „mich in meinem späteren Leben für den Aufbau einer Heimstätte der jüdischen Gemeinschaft einzusetzen, wo sie auf eigenem Boden wieder ein Volk mit eigener Sprache und Kultur werden kann. Ich beabsichtige deshalb, nach der Reifeprüfung Landarbeiterin in einer Siedlung in Palästina zu werden.“   Grete Falk lernte bei einem Zeltlager der Jugendbewegung an der Möhnetalsperre zwei Zionisten kennen, die ihnen hebräische Lieder beibrachten und Ratschläge zur Auswanderung nach Palästina gaben.  Einer von ihnen, den Grete Falk, Shkolnik nannte, war Levi Eschkol (1895 – 1969), ein russischer Jude, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Palästina ausgewandert war. Er wurde 1963 Premierminister von Israel.

Die Zionistische Vereinigung informierte auch in Osnabrück ab 1933 zunehmend mit Vorträgen und auch Filmen über Palästina. Der Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück für den Monat Mai 1935 erwähnt, dass der Präsident des Makkabi-Hazair, Bernhard (Hardi) Swarsenski aus Berlin in der Osnabrücker Synagoge bei einer Veranstaltung des Jüdischen Pfadfinderbundes, Bezirk Nord-West, am 5. Mai 1935 „einen Vortrag über Palästina und die dortigen Siedlungsmöglichkeiten hielt“ und Besprechungen über die Vorarbeiten zur Auswanderung nach Palästina stattfanden. Der Makkabi führte überall in Deutschland Elternabende durch, die über die Auswanderung nach Palästina informierten. Dabei wurde die Auswanderung nach Palästina vorrangig als eine Sache der jüdischen Jugend angesehen, wenngleich der zionistische Redner in Osnabrück meinte, „später könne auch manches jüdische Elternpaar seinen Lebensabend bei den Kindern in Palästina verbringen“.


„Letzte Warnung. Wir schlagen zu!“

Viele ältere Erwachsene zogen eine Auswanderung zwar in Betracht, konnten sich aber nicht mit den primitiven Lebensumständen in Palästina anfreunden. Elfriede Cantor (1882-1954) war eine gestandene Geschäftsfrau, die in Osnabrück einen Betrieb mit hundert MitarbeiterInnen leitete, als ihr Mann im Ersten Weltkrieg kämpfte und wenn er auf Geschäftsreisen war. Trotzdem hatte sie Angst davor, ein völlig neues Leben unter sehr veränderten Bedingungen in einem Land beginnen zu müssen, dessen Sprache sie nicht einmal beherrschte.  Als das Schiff mit den Auswanderern im Hafen von Jaffa anlegte, bekam die 54jährige nervös bedingte Herzkrämpfe. In seinem Entschädigungsantrag schilderte ihr Ehemann Julius Cantor, dass ihm besonders der heiße Wüstenwind und die trockene Luft zu schaffen machten, die bei ihm zu niedrigem Blutdruck mit Übelkeit, starken Schwindelanfällen und Herzbeschwerden führten. Der erfolgreiche Kaufmann, der eine große Geflügelmastanstalt in Eversburg betrieben hatte, musste in Palästina beruflich noch einmal ganz von vorne anfangen und bei tropischer Hitze, Regen und Sturm schwere Lasten tragen, eine Arbeit, die er als Großunternehmer in Osnabrück seit den Anfängen seiner Firma nicht mehr gewohnt war. Osnabrück hatte die Familie nicht freiwillig verlassen, sondern weil die Eversburger SA sein Leben und das seiner Familie bedrohte.  „Letzte Warnung. Wir schlagen zu!“ lautete der Text auf Plakaten, die die Familie 1935 eines Sonntagmorgens auf ihrem Grundstück entdeckte, und sie zur Flucht aus Osnabrück und Aufgabe ihres erfolgreichen Betriebes zwang. Schon im April 1933 hatte man ihm und anderen jüdischen Kaufleuten in Osnabrück angedroht, sie zu erschießen.


Schwere Landarbeit bei heißem
Klima

Grete Falk und ihr Bruder Paul kurz nach der Ankunft auf der Plantage eines Kibbuz in Palästina – Archiv Martina Sellmeyer.jpg

Aber auch für junge Leute war das Leben in Palästina nicht nur ungewohnt, sondern durch das andere Klima und die harte körperliche Arbeit auch sehr anstrengend. Paul Wertheim, der bei Volljährigkeit 1934 Teilhaber des väterlichen Kaufhauses in Osnabrück hätte werden sollen, arbeitete wie Julius Cantor als Lastträger im Hafen und bei der Eisenbahn, musste in Orangen- und Zitrusplantagen schwere Erdarbeiten mit der Hacke verrichten, Kühe melken, Kuhställe sauber halten und am Toten Meer bei großer Hitze Erdarbeiten ausführen. Paul Falk, der Nachfolger seines Vaters als Teilhaber des größten Osnabrücker Kaufhauses, S. Alsberg u. Co. (heute L&T) geworden wäre, wohnte wie seine Schwester Lea in Palästina in einem Wellblechschuppen, baute auf einer einen halben Hektar großen Farm Naharija Gemüse an und hatte einen Hühnerstall mit 150 Hühnern. „Ich zeige ihnen mal unser Haus in Osnabrück, dann können sie sich vorstellen, was es geheißen hat, wenn ich in einer Baracke hier gewohnt habe, die wir vom englischen Heer gekauft haben, weil es zu alt war für das Heer,“ erzählte seine Schwester einem Osnabrücker, der sie im Kibbuz in Israel besuchte.

Die Osnabrückerin Ida Rosenthal berichtete von ihrem Leben in einem Kibbuz in Ra‘anana 1937/1938: „Wie es in einem solchen üblich war, schliefen wir dort in Zelten und nicht in Häusern und waren die Lebensverhältnisse dort entsprechend primitiver. […] In der ersten Zeit musste ich in dem genannten Kibbuz schwere Landarbeit verrichten und zwar bei dem heißen [sic] Klima, das mir bisher nicht bekannt war.”  Auch wenn das Leben dort hart war, wurde die Auswanderung nach Palästina damals auch als „Straße der Rettung“ bezeichnet.  1933 hatte die Osnabrücker jüdische Gemeinde 435 Mitglieder. Zehn Prozent von ihnen, 44 überwiegend junge Menschen, rettete ein Zertifikat für die Ausreise nach Palästina das Leben.

„Ich möchte nicht sehen, wie du abfährst“

Für den Osnabrücker Justus Cohn kam die Auswanderung ganz plötzlich, als ein Zertifikat frei wurde. Er erinnerte sich bei einem Besuch in Osnabrück 1985 noch genau an seinen Aufbruch nach Palästina 1936: Dann wurden Sachen gekauft, gepackt und Abschied von Bekannten und den wenigen Verwandten genommen. Einige haben sich gefreut, andere machten sich Sorgen (seit Ostern 1936 gab es in Palästina Unruhen mit den Arabern, Überfälle auf jüdische Siedlungen, Menschen waren getötet worden). Ich glaube, Vater bestellte damals ein Taxi – das war etwas ganz besonders für mich – und wir fuhren zur Bahn. Mutter wollte nicht mitfahren, und das war komisch. Sie sagte: ‚Justus, ich möchte nicht mit zur Bahn kommen, wir nehmen hier Abschied. Ich möchte nicht sehen, wie du abfährst‘. Mein Bruder war nicht zu Hause, er war Schlachtergeselle in Mannheim, meine Schwester war in Hannover im jüdischen Krankenhaus beschäftigt. Wir haben uns verabschiedet, und von allen habe ich nur meinen Bruder wiedergesehen. Damals konnte ich mir natürlich nicht vorstellen, daß sowas geschehen wird. Wer konnte sich das vorstellen? Man hat geglaubt, man fährt ‚raus und fertig …“

Glücklich in Palästina angekommen, waren die Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland keineswegs in Sicherheit. Grete Falk lernte im Kibbuz Misra in Palästina Landwirtschaft und Hebräisch, heiratete Siegfried Levy, der ebenfalls aus Osnabrück stammte, und nannte sich ab jetzt Lea. Wie sie es ihren Eltern versprochen hatte, kehrte sie 1936 nach zwei Jahren in Palästina noch einmal nach Osnabrück zurück, um ihre Eltern zu sehen. Hier las sie in der Zeitung, dass das Auto des Kibbuz, mit dem ihr Mann täglich nach Haifa fuhr, auf eine Landmine gefahren war. Sie sagte ihren Eltern: „Jetzt bleibe ich nicht mehr hier. Wenn das so geht, dann muss ich mit meinem Mann zusammen sein“.  Lea brach ihren Aufenthalt in Osnabrück auch noch aus einem anderen Grund ab: „Ich saß mit meinen Eltern im Zimmer, als draußen eine Parade vorbeikam [und sang:] ‚Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt …‘  Ich wollte eigentlich noch länger bleiben, aber ich konnte es nicht aushalten. Ich verließ Deutschland wieder.“

Es kam immer wieder zu Angriffen von Arabern auf die jüdischen Siedlungen. Dabei nahmen die Einwanderer der ortsansässigen Bevölkerung durchaus nicht einfach ihr Land. Der 1901 in Basel auf Initiative von Theodor Herzl gegründete Jüdische Nationalfonds Keren Kayemeth LeIsrael (KKL, hebr.: Ewiger Fonds für Israel) erwarb mit finanzieller Unterstützung jüdischer Gemeinden in der ganzen Welt Land für jüdische Siedler im britischen Mandatsgebiet Palästina, das unter anderem von Mitgliedern des Makkabi bearbeitet und besiedelt wurde. Auch in Osnabrück hatte man, wie in vielen deutschen Städten für den KKL gesammelt.  Der Makkabi verstand sich als Wegbereiter eines jüdischen Staates und betrachtete die Ansiedlung als „die letzte, wirkliche Hoffnung des Volkes“, erkannte jedoch auch die bis heute andauernde Problematik. In seinen Mitteilungen vom April 1936 heißt es: „Beide Gruppen, die Juden sowohl als auch die Araber, stellen in allen Dingen, wo die verschiedenen Interessen zusammenstoßen [sic], heute derart radikale Forderungen, dass augenblicklich keine Besserung der Lage zu erwarten ist.“

Jüdischen Eltern fiel es nicht leicht, ihre Kinder in ein Land auswandern zu lassen, in dem sie unter primitivsten Bedingungen lebten und der Gefahr von Anschlägen ausgesetzt waren. Doch sie waren in Deutschland ebenfalls in Gefahr, und das unmittelbar nach der Machtübergabe an Hitler und die Nationalsozialisten Anfang 1933. Kurt Flatauer wurde bei der erzwungenen Schließung des Geschäftes, in dem er arbeitete, festgenommen und von der SA in das Braune Haus verschleppt, wo er auf das Schwerste misshandelt wurde, so dass er danach vier Wochen im Krankenhaus lag.“ Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus tat der junge Mann alles, um ein Zertifikat für die Einwanderung nach Palästina zu erhalten und konnte dadurch sein Leben retten.

Raphael Flatauer reiste mit seiner Frau Alma 1935 zur Hochzeit des Sohnes und seiner Frau Lucie, einer ebenfalls aus Deutschland stammenden Jüdin, nach Palästina. Kurt und seine Frau hatten eines der größten Zelte festlich geschmückt, zeigten der deutschen Verwandtschaft, was sie schon alles erreicht hatten. Doch Alma Flatauer schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Hier lebt ihr? In einem Zelt in der Wüste?“ Die Flatauers kehrten nach Deutschland zurück. Als sie unter dem zunehmenden Verfolgungsdruck mit Raphaels Bruder Siegfried und seiner Frau Sophie 1938 doch nach Palästina einreisen wollten, wurden sie von den Briten nicht zu ihren Kindern ins Land gelassen, weil sie nicht über die notwendigen Zertifikate verfügten. Sie mussten nach Deutschland zurückkehren, wurden deportiert und ermordet.


„…
den grausamen Weg in die Gaskammern gehen“

„Es ist tragisch zu erfahren, daß fast alle, die nicht nach Palästina oder Übersee auswandern konnten, den grausamen Weg in die Gaskammern gehen müssen“, schrieb Toni Lukacs, geborene Cantor, nachdem die Stadt Osnabrück ihr 1988 das Gedenkbuch Stationen auf dem Weg nach Auschwitz mit den Biographien der Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde zugesandt hatte. Und in dem Israeli und ehemaligen Osnabrücker Gershon Stein tauchte beim Lesen „dabei immer wieder der Gedanke auf, welch grosses [sic] persönliches Glück es gewesen ist, dass die gute Vorsehung einigen von uns das Allerschrecklichste, schlimmer als das Vieh behandelt zu werden, erspart hat“.

Die wenigen Überlebenden, die aus Konzentrationslagern zurückkehrten, konnten sich nicht vorstellen, weiter in Deutschland zu leben. Viele von ihnen wanderten nach Kriegsende nach Palästina oder in andere Länder aus. „Leider bin ich die einzige Überlebende von dem Transport Auschwitz unserer Osnabrücker Juden“, stellte Frieda Höchster 1946 fest. „Nachdem ich vier Läger durchlebt habe, ist es mir gelungen, auf dem Weg ins fünfte Lager zu flüchten. Mein Ziel ist, mich mit meinen Kindern in Palästina wiederzusehen.“

Bei aller berechtigten Kritik an der von religiösen ultranationalistischen Gruppen beeinflussten aktuellen Politik Israels, die auch bei Demonstrationen zehntausender säkularer Israelis seit Wochen zum Ausdruck gebracht wird, sollte man sich stets in Erinnerung rufen, warum aus der Osnabrückerin Gretel Falk die Israelin Lea Levy wurde, und ihr Mann Siegfried zu Jehudah. Ohne das Lied vom „Judenblut“, das in Osnabrück gesungen wurde, und die darin deutlich zum Ausdruck kommende Absicht, das jüdische Volk vollständig auszurotten, wären sie nicht nach Palästina gegangen. Darum ist der 75. Jahrestag der Staatsgründung Israels in Osnabrück eigentlich kein Grund zum Feiern, ist er doch eine Manifestation der fehlenden Toleranz gegenüber   MitbürgerInnen mit einer anderen Religion. Freuen können wir uns, dass 44 OsnabrückerInnen die Flucht in dieses damals noch nicht existierende Land das Leben gerettet hat, und ihren Nachkommen und dem Staat Israel alles Gute wünschen.

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