Montag, 11. November 2024

„Der kleinste ökologische Fußabdruck“

OR-Interview mit Philipp Wessel, Mitgründer von Young Diversity

Vom 23. bis 27. September fand, unter anderem am Theater am Dom, das Festival „Circle Zeit“ statt. Mit Performance, Workshops und der Möglichkeit zur Vernetzung. Mit dabei war auch das Mode-Start-up-Unternehmen Young Diversity um die beiden Gründer Torben Paul und Philipp Wessel aus der Heger Str. 11. Wir sprachen mit Philipp Wessel über die Themen Nachhaltigkeit, Lieferketten – und darüber, warum sich am Verbraucherverhalten etwas ändern muss. Was können Kunden machen, um Nachhaltigkeit zu fördern und Greenwashing zu erkennen, und wie kann die Politik gesetzliche Rahmenbedingungen bieten, damit alle Beteiligten profitieren?

Osnabrücker Rundschau: Guten Tag Herr Wessel, vielen Dank, dass sie sich die Zeit nehmen. Wie definieren Sie nachhaltige Mode, und was bedeutet sie für Sie persönlich?

Philipp Wessel: Langlebigkeit ist mir besonders wichtig, weil Langlebigkeit aus meiner Sicht nachhaltig ist. Wenn etwas produziert wurde, auch wie bei uns, nachhaltig und fair, muss es eine sehr lange Nutzungsdauer haben. Wir verwenden ausschließlich biologische Baumwolle, wo wir den Wertstoff an die Natur zurückgeben. Da arbeiten wir permanent an der Kreislaufwirtschaft, worauf wir alles gegründet haben. Sei es die Bio-Baumwolle, die wieder abgegeben werden kann oder die recycelten PET-Flaschen, woraus wir Jacken oder Westen produzieren. Die können wir später wieder recyceln, um neue Sachen zu schaffen.

OR: Gab es beim Start die Überlegung, etwas anderes als nachhaltige Mode anzubieten?

PW: Das Thema Mode hat sich relativ schnell herauskristallisiert. Wir waren 2018 auf der „Against fast Fashion Week“ bei der Universität Osnabrück. Dort waren auch Fotografen aus Bangladesch. Von denen erfuhren wir, dass das Textil-Business blutig und alles andere als fair ist. Als wir die ungefilterte Wahrheit auf den Bilden sahen, haben wir uns gesagt, dass wir da was verändern wollen. In Bangladesch sind 80 Prozent der Jobs im Textilexport, und wir sind davon überzeugt: Wenn wir dort zu fairen Löhnen und Arbeitszeiten produzieren, ist das eine gute Sache. Im Mai 2019 haben wir dann Young Diversity gegründet.

OR: Wie beeinflusst die Wahl der Materialien den ökologischen Fußabdruck eines Kleidungsstücks?

PW: Die Bio-Baumwolle, die produziert wird, ist CO₂-neutral. Das heißt, dass das ausgeglichen wird, machen wir mit dem Blue planet Zertifikat. Das kann auch jederzeit auf unserer Homepage verfolgt werden. Häufig werben Firmen, indem sie einen Baum pro verkauftem Textil pflanzen. Blue Planet Nature Fond machen das vernünftig, indem sie sich um den Setzling von Anfang an kümmern. Das kostet viel mehr, als wenn anderswo ein Setzling angebaut wird. Da wird dem Baum mehr Platz gegeben, der wird mehr aufgepäppelt. Wir haben gerade ein Projekt „Klimabrücken Costa-Rica“. Gerade hier spielt das Thema Transparenz eine Rolle, indem man jederzeit den Status nachverfolgen kann und berichtet, wie viel CO₂ umgewandelt wurde. Das Ganze ist in Kombination mit der Bio-Baumwolle, die wir der Natur zurückgeben, der kleinste ökologische Fußabdruck, den wir hinterlassen.

OR: Welche Rolle spielen Fast Fashion und die damit verbundene Konsumkultur bei der Verschwendung von Ressourcen?

PW: Ein erschreckendes Beispiel im Fashion-Bereich ist für mich Shi-In. Vor einigen Jahren waren wir bei 7 Millionen Tonnen an Textilien Müll, der in Afrika auf Mülldeponien gelandet ist. Mittlerweile sind wir bei 14 Millionen Tonnen pro Jahr. Bis das Elastan und Polyester abgebaut ist, vergehen teilweise 15 Jahre. Und selbst dann kann es vom Boden nicht richtig verwertet werden. Dann kommt noch dazu, dass die She-In-Produkte teilweise nur fünf Euro kosten und nur drei Mal halten, bis sie nach dem dritten Waschgang zwei Nummern größer oder die Farben raus sind. Alles ist nur so günstig, indem sofort ein neues Produkt gekauft wird. Das bedeutet, dass die Leute noch mehr kaufen und konsumieren und damit mehr Müll produzieren. Die Probleme sind für die Konsumenten so weit weg, dass sie sich nicht damit auseinandersetzen. Diese Fast-Fashion-Industrie ist absolut schädlich für die Umwelt.

OR: Wie können Verbraucher bewusster einkaufen, um ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren?

PW: Zunächst würde ich immer auf das Global Organic Textile Standard Siegel (GOTS) achten. Es garantiert, dass es wirklich biologische Materialien sind, wie unsere Bio-Baumwolle. Recycelte Textilien sind sehr gut, wie auch Secondhand. Wir haben zweimal im Jahr unsere B-Waren-Party, die unsere Kundenklientel auch super gerne annimmt. Sei es, dass ein Stick nicht in Ordnung ist oder ein Print schief ist, geben wir bis zu 60 Prozent günstiger ab. Und die Leute kommen zu dem Datum und kaufen die Ware, weil die Qualität der Ware stimmt.

OR: Welche Verantwortung tragen Modeunternehmen bei der Reduzierung ihres ökologischen Fußabdrucks, und wie setzen sie dies in der Praxis um?

PW: Bei vielen ist es noch viel zu wenig. Gerade wenn ich an H&M denke, die Banner an ihren Geschäften aushängen, auf denen stand, dass sie nur Bio-Baumwolle nutzen. Tatsächlich waren nur drei Prozent Bio-Baumwolle und der Rest Polyester, Elastan etc. Anstatt das vernünftig zu machen und umzusetzen, wird Greenwashing betrieben. Dabei werden die Leute auf eine falsche Fährte gebracht, die darauf achten möchten. Es werden auch sehr viele eigene Siegel entwickelt, was letztendlich den Verbraucher total verwirrt. Im Fußballbereich hat der FC St. Pauli als Erstes seine Trikots aus alten Trikots herstellen lassen.

OR: Muss der Verbraucher häufiger kritisch hinterfragen?

PW: Auf jeden Fall. Ich muss auch sagen, dass Corona das Kaufverhalten positiv verändert hat. Die Leute kaufen nun bewusster ein. Man kann immer viel behaupten. Man sollte mehr hinterfragen, was in dem Kleidungsstück ist. Es gibt eine Homepage vom BUND, wo alle Siegel wirklich nachhaltig sind und man sie nachverfolgen kann. Jedes Siegel hat eine Nummer, die ich recherchieren kann. Da muss der Endverbraucher mitarbeiten, damit das System funktioniert. Der Bio-Baumwollpreis ist in den letzten drei Jahren achtmal erhöht worden. Das freut mich persönlich, weil es zeigt, dass die Nachfrage steigt. Es muss viel mehr Bio-Baumwolle produziert werden. Wenn es nach uns geht, sollte jeder Textilhersteller nur so arbeiten wie wir.

OR: Wie stehen Sie zum Thema Recycling und Upcycling in der Modeindustrie? Sehen Sie hier Potenzial, oder gibt es Grenzen?

PW: Definitiv mehr Potenziale. Unsere Mode ist aus PET-Flaschen. Hier gibt es zum Beispiel den Kölner Hersteller Airpack, der als Uni-Projekt gestartet ist. Hier werden aus Autoschrott Rucksäcke hergestellt. Grenzen würde ich erstmal einklammern. Motto ist: Erstmal etwas versuchen, etwas machen. Es werden auch Feuerwehrschläuche, Lkw-Planen oder die Segel von Schiffen wiederverwendet. Hier sehe ich auf jeden Fall mehr Potenzial.

OR: Wie können Transparenz und Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette dazu beitragen, die Nachhaltigkeit von Kleidung zu verbessern?

PW: Das muss von großen Modeindustrie geleistet werden. Da müssen außerdem mehr Gesetze her, weil es derzeit zu schwammig geregelt ist. Wenn ich sehe, wie viele Unternehmen in die Türkei wechseln, um dort Regungen zu umgehen, wird das deutlich. Wir packen das Problem am Kern in Bangladesch, wo die Arbeitsbedingungen sehr prekär sind, an. Die Leute brauchen Jobs und durch die Lieferkette, die zurückverfolgt werden kann, ist es sichergestellt, dass Ausbeutung verhindert wird. Das sollte meiner Meinung nach weiterverfolgt und ausgebaut werden.

OR: Welche Herausforderungen und Hindernisse sehen Sie bei der Umstellung auf eine nachhaltigere Modeindustrie?

PW: Hindernisse sind die Transportwege. Trigema ist in Deutschland ein Beispiel dafür, dass hier ein Hersteller Bio-Baumwolle einsetzt. Wir haben bereits mit Trigema gesprochen. Wenn wir unsere Ware dort produzieren würden, wäre sie für den deutschen Markt nicht mehr bezahlbar. Das wäre die Kehrseite der Medaille.

OR: Inwiefern kann Secondhand-Mode oder das Mieten von Kleidung eine Alternative zur herkömmlichen Modeindustrie darstellen?

PW: Secondhand finde ich super. Das findet immer mehr Zuspruch. Früher war es verrufen. Auch durch den bewussten Wandel im Textilbereich gibt es in Osnabrück viel mehr Secondhand-Läden. Wir haben schon an Kleidertauschpartys teilgenommen. Ein produziertes Kleidungsstück für mehrere Nutzer anzubieten ist genau der richtige Weg.

OR: Sehen Sie bei bestimmten Käuferschichten eine Abneigung gegen Secondhand-Mode? Früher haben nur einkommensschwache Mitmenschen beim Roten Kreuz gespendete Mode gekauft. Hat sich die Sicht auf Secondhand gewandelt?

PW: Zum einen ist der Wandel da, dass die jüngere Generation oversized getragen wird. Heißt, je älter deine Schuhe sind, desto cooler sind sie. Das Potenzial ist sehr groß, was ich sehr gut finde.

OR: Vor kurzem war der Bundestagsabgeordnete Manuel Gava von der SPD zu Besuch. Was können Politik und Gesetzgebung tun, um nachhaltige Praktiken in der Modeindustrie zu fördern?

PW: Regierungen könnten Unternehmen unterstützen, die recycelbare Materialien verwenden, Produkte langlebiger gestalten oder auf Reparierbarkeit setzen. Kampagnen könnten gemacht werden, die das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum fördern. Dies wiederum könnte von der Regierung unterstützt werden. Alles könnte durch das Etikettieren nachhaltiger Produkte oder durch Aufklärung über die Auswirkungen von Fast-Fashion erfolgen.

OR: Wie wichtig ist es heute, den Nachhaltigkeitsgedanken und seine Werte bei Social Media widerzuspiegeln?

PW: Social Media ermöglicht es, Millionen von Menschen schnell und effizient zu erreichen. Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube bieten eine Möglichkeit, breite Zielgruppen über Nachhaltigkeitsthemen zu informieren und Bewusstsein für ökologische und soziale Verantwortung zu schaffen.
Menschen erwarten aber von Unternehmen und von Influencern auf Social Media Transparenz. Authentische Inhalte über nachhaltige Initiativen schaffen Vertrauen und ermöglichen es, den Nutzern verantwortungsbewusste Entscheidungen zu ermöglichen. Dies stärkt die Glaubwürdigkeit von Marken und Einzelpersonen.

OR: Was würden Sie sich für die Entwicklung von Young Diversity für das Thema Nachhaltigkeit in der Textilindustrie wünschen?

PW: Für Young Diversity würde ich mir wünschen, dass wir noch mehr Menschen erreichen. Wenn ich sehe, was wir in den wenigen Jahren in Osnabrück erreichen konnten, sehe, wie viele Leute noch nie nachhaltig, fair und vegan eingekauft haben und heute absolut davon überzeugt sind, ist das beeindruckend. Ich wünsche mir, dass Bio-Baumwolle erschwinglich bleibt, damit mehr Leute mitmachen. Das würde der Umwelt und der Modeindustrie guttun.

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