Eine purpurne Nacht in Lingen
Wenn sich eine der dienstältesten Rockbands zu einem Konzert ankündigt, dann ist kein Weg zu weit, auch über die nähere Umgebung Osnabrücks hinaus. Deep Purple gastierten am vergangenen Wochenende zusammen mit den Amerikanern Jefferson Starship in der Emsland Halle in Lingen. In der ausverkauften Halle ist die Erwartung groß. Die Freude, große alte Songs noch einmal live zu hören paart sich bei einigen mit einem fragenden „Geht’s noch“ im Hinblick auf das doch fortgeschrittene Alter der Bands.
Diese Frage muss man angesichts des Auftritts von Jefferson Starship sicherlich eher mit „Nein“ beantworten. Das 1974 aus den damaligen Jefferson Airplane entstandene Quintett spielt sich, angeführt von Urmitglied David Freiburg amerikanisch glatt durch die Hits seines Stadionrocks der Achtziger. Gassenhauer wie“Jane“, „We Built This City“ oder „Nothing’s Gonna Stop Us“ sorgen für ein lockeres Fußwippen, zünden aber nicht wirklich. Die psychedelischen Airplane-Perlen „White Rabbit“ und „Somebody To Love“ gehen dann auch noch im schlechten Sound unter, so dass der Auftritt von Jefferson Starship eher dem einer eigenen Coverband gleicht.
Umso gespannter ewartet das Publikum dann den Auftritt von Deep Purple. Das britische Hardrock Quintett, bereits 2019 auf Abschiedstour, machte durch den Neuzugang des
irischen Gitarristen Simon McBride einen Rückzieher, produzierte zusammen mit dem Erfolgsproduzenten Bob Ezrin ein neues Album und stellt dieses 2024 im Rahmen
einer ausgedehnten Tournee seinen Fans vor.
Konsequent deshalb auch die Setlist an diesem Abend. Ganze sechs Songs der neuen Platte „= 1“ haben es ins Programm geschafft und stehen Seite an Seite mit den großen Songs und weiteren Überraschungen. „Highway Star“, seit langem der Einstieg bei Deep
Purple Konzerten, gelingt gewohnt flüssig, der erste Schlagzeugbreak von Ian Paice sitzt perfekt, die Band groovt sich ein und agiert wie ein Ensemble, das sich seinen Erfolg noch erkämpfen will. Hier gibt es keine Nummer Sicher. Gleich der zweite Song „A Bit On The Side“ kommt vom neuen Longplayer.
Die Band möchte überzeugen und der erste, der dieses tut ist „Jungspund“ Simon McBride an der Gitarre. Der Ire stieß 2022 zur Band nachdem Steve Morse sich aus familiären Gründe zurückgezogen hatte und setzt gleich zu Anfang einige Glanzlichter bei seinem Gitarrensolo vor „Uncommon Man“ , ebenfalls ein Song neueren Datums vom 2013er Album „Now What“. Er ist die treibende Kraft für das neue Selbstverständnis von Deep Purple, es noch einmal wissen zu wollen.
Auch Sänger Ian Gillan reiht sich hier ein. Mit seinen 79 Jahren wirkt er erstaunlich vital, auch indem er Songs weglässt, die er stimmlich nicht mehr packt. Wer hier „Child In Time“ erwartet, ist fehl am Platz. Das hat der Sänger in vielen Interviews der letzten Jahre auch ausführlich gesagt. Sein Paradestück ist später am Abend „When A Blind Man Cries“, die Ballade vom Erfolgsalbum „Machine Head“. Der Song „über Menschen, die nicht so viel Glück haben wie wir“ wird zur Kathedrale aus Sound. Gillans ausdrucksstarker Gesang ruft Gänsehaut hervor und wird unterstützt durch die Gitarrenarbeit von Simon McBride, die dafür sorgt, dass das Starship der Vorband aus den USA doch noch in Lingen landet.
Keyboarder Don Airey, seit 2002 für den verstorbenen Jon Lord dabei, ist der musikalische Gegenpart McBrides. Die instrumentalen Duelle der beiden sind die „Sahnestücke des Lingener Konzerts. Dabei erinnern seine Ausflüge am Minimoog oft an seine Phase bei
Colosseum II zusammen mit Gary Moore. Nach der Single „Portable Door“ vom neuen Album mündet das Konzert über die Rarität „Anya“ vom 1993er Werk „The Battle Rages On“ zum Schluss in die vehement intonierten Klassiker „Space Truckin“ und „Smoke On The Water“ und lässt das ausverkaufte Haus begeistert Zugaben fordern.
Was danach folgt ist für eine Band mit einem Durchschnittsalter von über 70 Jahren – lediglich Gitarrist Simon McBride drückt den Schnitt mit seinen 45 Jahren etwas – schlichtweg phänomenal. Die drei Songs der Zugabe zeigen Spielfreude pur und dass Musik ein Jungbrunnen sein kann. Besonders beim Joe South Cover „Hush“ ziehen Deep Purple alle Register. Das Stück wird zu einem Hochamt intelligenter, anspruchsvoller Rockmusik.
Ähnlich wie auf dem bahnbrechenden Live-Album „Made In Japan“ wird hier in einer Manier improvisiert, die man so eigentlich nur vom Jazz kennt. Musikalische Spielbälle fliegen über die Bühne, atemlos getrieben vom perfekten Rhythmusteam Roger Glover und Ian Paice. Eine kernige Version des Bluesrockers „Black Night“ beendet dann dieses bemerkenswerte Konzert und lässt ein begeistertes Publikum zurück. In dieser Form darf Deep Purple gerne noch ein wenig weitermachen.