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Geschichte wiederholt sich nicht – es werden nur die gleichen Fehler gemacht

Fakten und Perspektiven zum Bundeswehreinsatzes in Mali

Das Desaster, mit dem der 20 Jahre andauernde Bundeswehreinsatz in Afghanistan endete, sollte trotz Corona nicht vergessen sein: Bilder von Panik und Flucht, Chaos und Verzweiflung am Flughafen von Kabul, triumphierende Taliban auf ihren Pickups, die bange Sorge um die zurückbleibenden Ortskräfte.

Fraglos eingestanden wird mittlerweile, dass die Afghanistan-Mission ein Fiasko war, politisch, militärisch und humanitär. Und zwar nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern für alle beteiligten Staaten, allen voran die USA.

Dass man sich dazu verstiegen hatte, dort eine Demokratie nach westlichem Muster aus dem Boden zu stampfen, nennt das Osnabrücker Wissensforum der Universität eine „Machbarkeitshybris“, die nur enttäuschte Erwartungen hinterlassen konnte. (Quelle NOZ)

 

Und jetzt Mali: Vom Hindukusch in die Sahelzone

Kein halbes Jahr nach der schmerzhaften Blamage vom Hindukusch steht die Bundeswehr, wenn man es illusionslos betrachtet, erneut bedenklich knapp vor einem ähnlichen Schlamassel. Und auch wenn sich der Ort des Geschehens geopolitisch ganz woanders befindet, lassen sich einige Parallelen nachweisen. Eine liegt darin, dass es wie schon beim Beginn des Afghanistan-Dramas einen Initialzünder gibt: Dort die USA, hier Frankreich.

Seit dem Militärputsch von 2012 droht das durch Korruption und individuelle Machtgelüste marode regierte Land in eine Militärdiktatur abzudriften, die nur noch fadenscheinig mit den Interessen westlicher Demokratien und insbesondere der EU auf einer Linie agiert.

Die Franzosen sahen in ihrer früheren Kolonie endgültig die Felle wegschwimmen, als die neuen Diktatoren mit ihrer Armee in einen Bürgerkrieg gegen ein Konglomerat aus unterschiedlichen Rebellentruppen gerieten, und starteten eine Militäraktion auf eigene Rechnung.

Das waghalsige Unternehmen begann mit 2500 Soldaten, die seitdem auf 5100 aufgestockt sind. Und – natürlich – sollte das Ganze schnell erledigt werden …

Als ehemalige Kolonialmacht fürchtet Paris nicht nur um die rund 7.000 in Mali lebenden Franzosen. In Frankreich selbst gibt es zudem eine große malische Bevölkerungsgruppe. Die Angst geht um, dass über diese Kanäle der Terrorismus im eigenen Land geschürt werden könne, wenn der Norden Malis unter die Kontrolle von fanatischen Islamisten fiele.

Daneben verfolgt Frankreich aber auch veritable wirtschaftliche Interessen, was medial oft übergangen wird. So liegen im Norden Malis die von Frankreich ausgebeuteten Uranminen, die das Land dringend für seine „grünen“ Atomkraftwerke braucht. Besonders involviert ist hier der staatlich geführte Atomkonzern Areva. Nicht zu vergessen, ist Frankreich auch militärisch eine Atom-Macht. Man müsse das militärische Engagement Frankreichs auch im Hinblick „der Sicherung seiner eigenen Energieversorgung mit preiswertem Uran“ aus Mali und dem Nachbarland Niger einordnen, geben Stimmen von NGOs zu bedenken.

Außerdem ist Mali der drittgrößte Produzent Afrikas in Sachen Gold, an dessen Förderung – wen sollte es überraschen – vorrangig internationale Claims beteiligt sind. Die Bevölkerung hat von dem Rohstoffreichtum so gut wie nichts, Mali zählt zu den ärmsten Ländern der Welt.

 

Und wieder konnte man nicht „nein“ sagen

 Wie schon beim Tritt in die Afghanistan-Falle konnte die Bundesrepublik Deutschland auch hinsichtlich eines Engagements in Mali kein eigenes Interesse daran haben. In beiden Fällen geschah dies aus Solidarität gegenüber Verbündeten oder pointierter gesagt, waren es Gefälligkeitsakte. Nur musste Deutschland von den französischen Nachbarn nicht so unverschämt genötigt werden wie 2002 von Bush & Co. Dass Frankreich und Deutschland eng zusammenstehen, wenn es um internationale Belange geht, hat Tradition seit der Gründung der EG (später EU).

Für Frankreich war es 2013 ein Leichtes, Partner in EU und internationaler Staatengemeinschaft für ihr Mali-Kommando zu gewinnen. Obwohl sich die Aussichtlosigkeit der Afghanistan-Kampagne längst abzeichnete und trotz Mogadischu und Irak waren die Weltexperten*innen immer noch mehrheitlich der Auffassung, dass solche „Friedensmissionen“ Sinn machen, und das anscheinend bis heute.

So kam es zu den zwei Mandaten, die das Unternehmen bis dato „legitimieren“: United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) und der European Union Training Mission Mali (EUTM Mali).

Den meisten Abgeordneten*innen des Bundestages fiel es 2013 anscheinend nicht schwer, sich auf Antrag der damaligen Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP für einen deutsche Beteiligung zu entscheiden. Nur DIE LINKE stimmte dagegen. So wurden auch die folgenden Mandatierungen abgenickt. Interessant ist dabei das Verhalten der heutigen Ampel-Koalitionäre*innen. Die FDP immer voll dafür, ebenso die SPD, bei der „Friedenspartei“ (GRÜNE) gab es ab 2020 ein zartes Umdenken, was zunächst zu Enthaltungen und im Mai 2021 schließlich zur breiten Ablehnung führte. Da stand das Menetekel von Kabul schon deutlich an der Wand.

In den Jahren zwischen 2014 und 2016 wurde die Truppe vor Ort mehrmals von der Verteidigungsministerin besucht. Die Kanzlerin versicherte ihrem Kollegen Macron bei jeder Gelegenheit, dass Deutschland in Mali fest in Frankreichs Seite stehe. Klare Indizien dafür, wie sehr sie von dieser Mission überzeugt waren.

 

Und wieder in einer hybriden Kampfzone

Ähnlich wie in den umkämpften Provinzen um Kabul sind die deutschen Soldaten*innen in Mali in eine hochriskante Gemengelage von Gefahren, Risiken und Unwägbarkeiten geraten. Nur die Gegend um die Hauptstadt Bamako gilt als relativ sicher. Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, sieht dort deutlich wachsende militärische und politische Gefahren. „Rein militärisch sehe ich Parallelen zu Afghanistan in den Methoden und Verfahren der terroristischen Gruppen. Anschläge mit Sprengfallen (IED) und komplexe Hinterhalte sind auch in Afrika Realität“, sagte der Generalinspekteur vor Kurzem der dpa. „Hinzu tritt noch der Einsatz moderner Technik. Drohnen- und Raketenangriffe nehmen deutlich zu.“

Das deckt sich mit Beobachtungen internationaler Militärexperten. In kaum einer anderen Region der Welt sind moderne Raketen oder Schusswaffen so schnell und günstig zu haben wie im Norden Malis. Nachrichtendienste gaben die Zahl der Kämpfer der Islamisten zuletzt mit ca. 2.000 an. Zu nennenswerten Operationen sind sie nicht mehr in der Lage, doch auf der Basis der hybriden Kampfführung ist ein militärisches Gegenhandeln der UNO-Truppen mehr als schwierig

Die Bundeswehr ist in dieser unübersichtlichen Kampfzone mit etwa 1.400 Männern und Frauen beteiligt und steht zwischen den Fronten verschiedener mit äußerster Brutalität und Menschenverachtung agierenden Gruppierungen. In nicht kontrollierbaren Flecken vollstrecken immer noch selbst ernannte Richter, ganz nach dem Vorbild afghanischer Taliban, Todesurteile gegen vermeintliche Ketzer, hacken Dieben die Hände ab und verfolgen Frauen, die sich gegen Zwangsheiraten wehren.

Gleichzeitig erweisen sich die eigentlichen Verbündeten, das Militär in Mali, als problematisch. Malische Bürger*innen und internationale Organisationen werfen der regulären Armee schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Konflikte zwischen konkurrierenden Offizieren werden in offener Gewalt ausgetragen. Und selbst in den zum Schutz entsendeten UNO-Kontingenten soll es Einheiten geben, die sich solcher Verbrechen schuldig machen.

Aktuell haben die Spannungen zwischen der Militärjunta und den internationalen Einsatztruppen zugenommen. Der französische Botschafter ist ausgewiesen worden, ebenso dänische Spezialkräfte. Dazu kommen Berichte über russische Söldner, denen die Führung um Interims-Staatschef Assimi Goïta mehr vertraue als ihren westlichen Partnern. Die Provokationen seitens der derzeitigen Machthaber gipfelten am 19. Januar darin, dass sie einer Bundeswehrmaschine die Überflugrechte verweigerten. Deutlicher kann man nicht ausdrücken, dass man mit deutschem Militär nichts mehr zu tun haben will.

Ein Wunder eigentlich, dass in diesem brandgefährlichen Chaos neben einem erheblichen Anteil an Verletzten bislang „nur“ zwei Todesopfer auf deutscher Seite zu beklagen sind. Es handelt sich um Soldaten, die 2017 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind. Ursache war ein Unfall aufgrund von Wartungsversäumnissen.

Die gesamte Mission MINUSMA gilt allerdings als einer der verlustreichsten UNO-Einsätze überhaupt, mit fast 250 Toten (Stand 2021).

 

Und wieder die gleichen Selbsttäuschungen

Die vom Westen angeführte UNO-Allianz geht mit den gleichen hehren Ansprüchen – Förderung von Demokratie und Menschenrechten, gute Regierungsführung und Staatsaufbau – ins malische Abenteuer wie nach Afghanistan. Und ebenso wie am Hindukusch scheitern diese überzogenen Ziele im Wüstensand an den politischen Eliten und den egoistischen Ambitionen hoher Militärs, vergleichbar etwa mit den lokalen Warlords in den Provinzen rund um Kabul. Ihr Verhalten ist geprägt durch gewalttätige Machtkämpfe, Konkurrenz, Korruption und offene Wahlverschleppung. Sie beherrschen wie im fernen Orient das Doppelspiel, sich einerseits von der EU finanzieren zu lassen, andererseits aber deren Einheiten als Invasoren zu diffamieren. Dabei haben sie noch die Chuzpe, ihre Verantwortung für die Probleme im Land auf die internationalen Schutztruppen abzuwälzen. Ungeachtet der immerhin 15.000 Soldaten starken Präsenz der UNO fanden zwischen 2020/21 zwei Putsch-Aktionen statt, bei denen unliebsame Führungskräfte gestürzt wurden. Permanent streiten sich Führungsoffiziere in der Hauptstadt Bamako um politische Posten, während im Norden und im Zentrum des Landes Zivilisten und Soldaten bei Angriffen von islamistischen Terrorkämpfern sterben.

Die internationale Gemeinschaft verurteilt die rücksichtslosen Machtpoker der Militärs scharf, erreicht jedoch nichts. Die westafrikanische Wirtschaftsunion ECOWAS hat das Land bis zu den Neuwahlen aus seiner Organisation ausgeschlossen. Damit schliddert die ohnehin wirtschaftlich dahinsiechende Nation in die Isolation. Eine Erfolgsgeschichte hört sich anders an. Deshalb spielt selbst Frankreichs Präsident Macron öffentlich mit dem Gedanken, sich mit seinen 5.100 Soldaten zurückzuziehen, sollte Mali unter Goïta weiter in den radikalen Islamismus abdriften.

Ein konkretes Ziel, das insbesondere die Bundeswehr angehen soll, ist die systematische und effektive Ausbildung der malischen Soldaten. Sie gelten als unzureichend geschult und schlecht ausgerüstet. Obwohl die UNO-Truppen sie unterstützt, stehe die malische Armee heute noch auf verlorenem Posten, sei ein leichtes Ziel für Terroristen, da sind sich die westlichen Regierungen und Geheimdienste einig. Noch immer desertieren die Männer in Scharen, auch wegen der geringen Bezahlung.

In Afghanistan hat sich gezeigt, dass die Militärhilfe aus dem Ausland inklusive der Ausbildung von Offizieren und Mannschaften wenig wert war. Ziel solcher Missionen ist es, die lokalen Führungsstäbe an demokratische Werte heranzuführen, um sie auch mental in die Lage zu versetzen, sich selbst und den reformierten Staat zu verteidigen. Wie das im Ernstfall funktioniert hat, hat man im Sommer 2021 in Kabul und drum herum gesehen.

Wenn Deutschlands ranghöchster Soldat, der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, in einem Interview mit der dpa vor einer Entwicklung in Richtung „Worst-Case-Szenarien“ warnt, stehen ihm sicherlich Bilder vor Augen, wie sie im August 2021 von dort gesendet wurden.

Wie sehr die Erwartungen des Westens einer „Machbarkeitshybris“ verfallen, sieht man daran, dass man – so nebenbei – die unzähligen Migrationsrouten durch die Sahara abschneiden will, ohne zu bedenken, dass es sich um historisch gewachsene Wege handelt, die seit 500 Jahren von einheimischen Autoritäten gepflegt, verwaltet und kontrolliert werden. Ein Vorhaben, dass man wie der Berliner Tagesspiegel nur als „Anmaßung“ bezeichnen kann.

 

Und jetzt? Chancen auf ein Ende ohne Schrecken

Militärisch ist die Krise in Mali nicht zu überwinden, sagen Sicherheitsexperten*innen schon lange, auch bei verantwortlichen Politikern*innen scheint diese Einsicht mittlerweile um sich zu greifen. Lieber abziehen als ausharren, das scheint inzwischen eine Tendenz der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu sein. Auf keinen Fall will man den Afghanistan-Fehler wiederholen und am Ende dem wichtigsten Initiator, nämlich Frankreich, in hektischem Abzug folgen.

Ein „Weiter so“ kann es so nicht geben“, mahnte der Generalinspekteur Zorn gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) stellt den weiteren Mali-Einsatz infrage. Sie sagte der ZDF-Sendung „berlin direkt“: „Ich bin momentan sehr skeptisch, ob es tatsächlich weiter sein kann, dass wir uns vor Ort engagieren. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir länger willkommen sind.“ Das habe auch etwas damit zu tun, dass der Bundeswehr und den Verbündeten die Arbeit erschwert werde. „Und deswegen ist es schon sehr schwer vorstellbar, dass dieses Engagement weitergeführt werden kann.“

In diesem Tenor hat sich vor Kurzem auch Außenministerin Annalena Baerbock in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ geäußert und offen die Frage gestellt, ob die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Engagement noch gegeben seien.

 

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