Hoffnungsschimmer trotz Rekordinzidenzen?

Aktuelle Bewertungen zur Coronalage

133.536 Neuinfektionen bundesweit, 510 neue Corona-Fälle in der Region Osnabrück (Daten vom 20.01.2022). Zahlen, die Angst machen können. Muss man sich, müssen wir uns noch mehr Sorgen machen angesichts der explodierenden Corona-Ausbrüche? Wird die Omikron-Variante uns überrollen wie ein Tsunami?

Wenn man sich zu Herzen nimmt, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Mittwochabend im ZDF bei „Markus Lanz“ prognostiziert hat, kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass das Schlimmste erst noch kommt. Er rechnet bis Mitte Februar mit mehreren Hunderttausend Corona-Neuinfektionen am Tag. Es sei mit Blick auf realistische Hochrechnungen davon auszugehen, „dass die Welle Mitte Februar ungefähr ihren Höhepunkt haben wird und dass wir dann mehrere Hunderttausend Fälle pro Tag erwarten müssen“, und zwar mit „größter Wahrscheinlichkeit“. Nun wissen wir mittlerweile, dass der SPD-Experte immer schon mit den Wahrscheinlichkeiten der negativsten Verläufe kalkuliert hat und darauf seine gesundheitspolitischen Planungen und Entscheidungen ausrichtet. Tendenziell hat er oft richtig gelegen und genießt daher bei den Bundesbürgern*innen großes Vertrauen.

Zur Begründung seines Corona-Sicherheitskurses verweist er auf die im Vergleich zu europäischen Nachbarn hohe Zahl von Ungeimpften, auch bei Älteren, in Deutschland und darauf, dass es generell darum gehe, die Kapazitäten der Krankenhäuser und Intensivstationen im Blick zu behalten. Das Vorantreiben der Impfkampagne sieht er als DAS probatestes Mittel. Als oberster Hüter der Gesundheit im Lande obliegt es ihm, mittels restriktiver Maßnahmen das System vor dem Kollaps zu bewahren. Deshalb kann er sich Lockerungen zurzeit nicht vorstellen, deshalb verspricht er in dieser Hinsicht auch nichts für die nächsten Wochen und deshalb ist er auch ein Befürworter einer Impfpflicht. Damit repräsentiert er im Kern den Standpunkt der Bundesregierung zum Thema Pandemiebekämpfung.

Daneben gibt es aber andere Perspektiven, insbesondere Stimmen aus einem weiter gefassten Expertenkreis, die den Kurs der Regierung zwar nicht gänzlich infrage stellen, jedoch alternative Ausblicke richten auf einen möglichen Verlauf, der sich positiver gestalten könnte, als es heute aussieht. Und das auf der Grundlage solider Datenauswertung und medizinischer Analysen.

Eine dieser seriösen Stimme erhebt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb, der sich regelmäßig im „Weser-Kurier“ und dem Regionalmagazin „buten und binnen“ zu neusten Entwicklungen der Corona-Epidemie äußert. Er sieht seit Kurzem ein „Licht am Ende des Tunnels“. Durch die Omikron-Variante des Virus könne es zu der angestrebten endemischen Situation nach der Pandemie kommen, meint der Wissenschaftler des Leibniz-Institutes für Präventionsforschung und Epidemiologie in der Hansestadt. Eine endemische Situation entsteht dann, wenn durch eine umfassende Durchseuchung einer Gesellschaft sich ein vorher sehr gefährliches Virus zu einer weniger gesundheitsschädigenden Variante entwickelt, das die dort lebenden Menschen in ihrer Gesamtheit nicht mehr existenziell bedroht.

Das bedeutet: Wenn sich die Corona-Pandemie zu einer Endemie entwickelt, wird das Virus nicht verschwunden sein. Wir werden uns weiterhin infizieren und das Virus übertragen. Allerdings ist das Immunsystem der meisten dann schon mit dem Virus in Kontakt gekommen oder durch Impfung geschützt. Mit der Impfung bildet unser Immunsystem die Antikörper, um einen entsprechenden Schutz gegen Corona aufbauen zu können. Die meisten erkranken dann nur noch ziemlich milde, wie z. B. bei einem grippalen Infekt.

Zeeb geht wie auch andere Kollegen*innen seines Forschungsfeldes davon aus, dass sich Covid 19 bald dementsprechend verändern werde. Weil Omikron eine extrem hohe Ansteckungsrate mit sich bringe, werde sich fast zwangsläufig jeder damit früher oder später infizieren. „Weil zugleich die Krankheitsverläufe milder ausfallen, insbesondere bei umfassend geimpften Menschen, besteht so die Chance, in einen Zustand breiter Grundimmunisierung der Gesellschaft zu gelangen.“

Dann wäre Covid-19 Zeeb zufolge zwar weiterhin eine im Einzelfall auch lebensbedrohliche Erkrankung, würde aber nicht mehr das Gesundheitssystem und das gesellschaftliche Leben gefährden. Zeeb sieht gute Chancen, dass die sich gerade bedrohlich aufbauende Welle in dieser Weise – und auch unter der Einwirkung der steigenden Temperaturen – im Frühling verebben werde. Die aktuellen Daten zur Krankenhaus-Inzidenz, zu der relativ entspannten Situation auf den Intensivstationen und auch die rückläufigen Todeszahlen könnten diese Perspektive stützen. Wichtig bleibe, betont Zeeb, ein umfassender Impfschutz inklusive der dritten Impfung. Studien würden den hohen Schutz vor schweren Verläufen durch die Booster-Impfung belegen.

Es gibt Länder in Europa, die auf der Grundlage solcher Szenarien über einen Verlauf aus der Pandemie in die Endemie ihren gesundheitspolitischen Kurs neu ausrichten. So kündigt Premierminister Boris Johnson für Großbritannien an, die Maskenpflicht ab Donnerstag nächster Woche (27. Januar) zu kippen. Auch Homeoffice sei dann nicht mehr nötig, so Johnson im Parlament. Britische Experten gingen davon aus, so Johnson, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle im Land überschritten sei, zudem laufe die Booster-Kampagne. Er gehe davon aus, dass die Regeln zur Selbstisolierung bei Infektionen zwar wie geplant noch bis März in Kraft bleiben, dann aber auslaufen würden.

 

Genauso plant die spanische Regierung wegen der sinkenden Infektions-Zahlen einen Wechsel in der Corona-Strategie.

Nach Angaben des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez raten spanische Immunologen und führende Mediziner, Covid-19 ähnlich wie eine Grippe zu behandeln. Als wichtigsten Grund für den Kurswechsel nannte Sánchez die erfolgreiche Impfkampagne. 80,5 Prozent der 47 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Spaniens sind vollständig geimpft.

Diese beiden Beispiele können uns Mut machen. Sie demonstrieren eine neue Gelassenheit als Taktik für die nächste Phase der Pandemie: das (Weiter-)Leben mit dem Virus. Sollte es gelingen, diesen Weg ohne weitere große Verluste zu gehen, würden Corona und Omikron an Schrecken verlieren – und der Weg zurück in die Normalität als real machbar erscheinen.

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