Donnerstag, 28. März 2024

Planlos durch die Pandemie – oder wie die Ampel-Koalition ihren Start verstolpert …

Die alte Runde – das gleiche (Nach)spiel: Kaum ist der Corona-Gipfel mit designierter Regierung und Ministerpräsidenten*innen auseinandergegangen, kommen schon die ersten Meldungen über Einwände, Alternativvorschläge und Ausnahmegenehmigungen der Länder.

So wollen Niedersachsen und Rheinland-Pfalz Menschen, die die Booster-Impfung bekommen haben, von der Testpflicht entbinden, während Baden-Württemberg da nicht mitmacht. In Bayern gibt´s wieder Geisterspiele, in NRW werden die zugelassenen Kapazitäten voll ausgeschöpft. Das war schon zu Merkel-Zeiten gang und gäbe und daran ändert wohl keine Ampelschaltung etwas.

Ampel-Koalition hat die pandemische Lage unterschätzt

Dabei, so der Tenor aus den neuen Koalitionskreisen, soll es doch jetzt wirklich anders werden: Mehr Fortschritt und keine roten Linien mehr. Nun, in Bezug auf die nackten Zahlen des Infektionsgeschehens trifft Letzteres absolut zu: Die Zahlen ignorieren jede rote Linie und gehen durch die Decke wie nie zuvor. Jeden Tag aufs Neue erinnern uns die hinlänglich bekannten Statistiken daran, dass es jetzt nicht um Klimaneutralität, Investitionen in die E-Zukunft, Genderfragen oder Digitalisierung geht, sondern schlicht und ergreifend darum, dass unser Land mit Corona fertig wird!

Wenn man sich allerdings anschaut, wie die Dreierkoalition gesundheitspolitisch aufgestellt ist, muss man sich fragen, ob sie die Zeichen der Tagesaktualität wirklich begriffen haben. Jede Partei für sich scheint Anlässe in den eigenen Büros zu haben, die für wichtiger erachtet werden als der Kampf gegen das Virus und die Gefahren, die davon ausgehen. Die GRÜNEN rangeln auf offenem Podium um Posten, dass die Fetzen fliegen. Ähnlich sieht´s bei der SPD aus, nur dass die das in den Hinterstuben des Willy-Brandt-Hauses mit sich selbst ausmacht. Deshalb sind die Genossen*innen aber nicht weniger abgelenkt vom Corona-Elend. Parität vor Gesundheit? Den in diesen Zeiten wichtigsten Ministerposten haben sie immer noch nicht bestimmt. Da geht es gerade hoch her, zwischen wem auch immer. Und die FDP? Die hat Corona sowieso von Anfang an so dermaßen genervt, dass sie es am liebsten leugnen würde. Aber das passt natürlich nicht zum Bild einer Fortschrittspartei. Folgerichtig haben sich die Gelben in die Maßnahmen zur Überwindung der Corona-Krise dort besonders eingebracht, wo es darum ging, die Feststellung der pandemischen Lage im Bund zu beenden.

Wie wenig die drei Wahlgewinner das pandemische Geschehen während ihrer zähen Verhandlungen auf der Agenda hatten, zeigt sich allein daran, dass entsprechende gesundheitspolitische Noten im Koalitionsvertrag so gut wie nicht enthalten sind. Allenfalls ein paar spärliche Hinweise, dass man es mit mehr Digitalisierung effektiver machen will, mehr nicht. Ein Konzept kann man das beim besten Willen nicht nennen.

Erst als die Rufe aus den Ländern immer dringender wurden, sahen sich die Neukoalitionär*innen endlich in der Pflicht, ihrerseits etwas zur Pandemiebekämpfung beizutragen.

Ein General als Retter in der Not?

Und plötzlich war da die Idee vom Krisenstab, direkt dem Kanzleramt zugeordnet und besetzt mit wirklichen Expert*innen und nicht nur Mathematikern und Physikern (Seitenhieb auf Merkel). Diese Legende wabert nun seit der letzten großen Runde zur Coronalage durch die Pressemeldungen, aber von seiner realen Existenz weiß niemand Genaues. Da muss man sich selbst etwas ausmalen, z. B. wie das Gesundheitsministerium hier eingebunden ist. Aber dafür steht ja bis dato noch nicht mal Chef oder Chefin fest. Heißt wohl: In dieser Woche wird erstmal vereidigt, danach beginnt das Gerangel um die Besetzung des Stabes, dann ist Weihnachten (alle fahren nach Hause), also Anfang/Mitte Januar wird man langsam merken, dass es wohl einen Krisenstab geben soll…

Damit es nicht so schleppend aussieht, soll dieses neue administrative Tool von einem gestandenen Offizier geführt werden. Dafür haben die Ampel-Partner den Generalmajor Carsten Breuer aus dem Hut gezaubert. Der soll`s mit seiner Befehlsgewalt nun richten, insbesondere mit der Impfkampagne, im 16 Bundesländerstaat Deutschland. Neben vielfältigen Erfahrungen im Krisenmanagement auf Bundeswehrebene wird dem hochdekorierten Soldaten auch zugutegehalten, in Afghanistan gedient zu haben. Naja, wenn der Impfeinsatz so endet wie diese Mission, dann …

Positiv betrachtet könnte man die Personalie als eine echte Innovation der künftigen Ampelmannschaft loben. So ist es aber nicht. Die Idee haben sie vom Zeit-Herausgeber Giovanni di Lorenzo aufgeschnappt, der damit bei einem Polittalk bei Anne Will Werbung für seine zweite Heimat machen wollte. Da hat er ein bisschen angegeben mit dem General Francesco Paolo Figliuool, der Italiens Impfkampagne so derart erfolgreich mache und mit seiner unschlagbaren Autorität ein Volksheld sei. Daran sollten sich die Deutschen mal ein Beispiel nehmen. Gehört, getan. Nun hoffen Scholz und Vertragspartner, dass sie mit dem Breuer auch so einen Supermann gefunden haben.

Impfturbo und Impfrealität

Um auf Touren zu kommen, wurde am Donnerstag rhetorisch vorgeheizt und auf den „Impfturbo“ verwiesen. 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten. Jeder, der rechnen kann, weiß um die himmelschreiende Utopie dieses Ziels.

Die Impfrealität sieht anders aus. Lokale Impfaktionen, die nach zwei Stunden beendet sind, weil die Dosen ausgegangen sind. Und wo noch welche da sind, wird jemand nach Hause geschickt, weil er einen Tag zu früh zum Boostern erschienen ist (Fürstenau), während in Osnabrück und anderswo Patienten, die privat zahlen, bereits nach fünf Monaten aufgefrischt werden, weil sie sich mit ihrem Hausarzt in stillem Einvernehmen wissen. Man kennt und schätzt sich.

Normalsterbliche müssen sich ans Impfportal Niedersachsen wenden und bekommen ein Angebot in Stade oder Göttingen. Oder man kann auf die Impfbusse warten, die mit dem bescheidenen Rest unterwegs sind. 3.600 Dosen Biontech hat die Stadt Osnabrück für diese Woche geordert, 180 wird sie erhalten.

Die Frage, warum eigentlich die funktionierenden Impfzentren im September geschlossen wurden, bleibt irgendwo unbeantwortet liegen. Verständlich, die Kanzlerpartei könnte damit in die Verlegenheit kommen, Fehleinschätzungen aus der Vergangenheit der letzten Koalition einzuräumen. Aber so etwas schickt sich heutzutage nicht mehr – Fehler zuzugeben. Dafür werden jetzt neue Impfhotspots hektisch aus dem Boden gestampft (Am Kamp ab 6.12. siehe Foto) und bis die richtig anlaufen, dauert es eben.

Fast schon nach Verzweiflung klingt die Idee, Zahnarztpraxen, Apotheken oder gar Veterinär*innen zum Impfen bewegen zu wollen. Ein Abgleich mit der Umsetzbarkeit wird da schnell für Ernüchterung sorgen. Und fragwürdig bleibt ohnehin, dass immer noch mit Johnson&Johnson gepikst wird, obwohl die Wirksamkeit dieses Vakzins von der STIKO als ungenügend (= Schulnote sechs) eingestuft wird.

Neue G-Regeln mit Nebenwirkungen

Und sonst? Haben die Ampelparteien einen wesentlichen Einfluss darauf, dass es jetzt anstatt flächendeckendem Lockdown ein Konglomerat aus G-Regeln gibt (2G, 3G, 2Gplus), deren konkrete Umsetzung wiederum in der Verantwortung der Länder steht. Daher gibt es regional und lokal große Unterschiede bezüglich dessen, was die Bürger*innen dürfen und was nicht. Das Ziel ist klar, weniger Kontakte und Druck auf den ungeimpften Teil der Bevölkerung.

Nicht zu übersehen ist hierbei der Einflussnahme der FDP, um ihre Vorstellungen von Freiheit durchzudrücken. Womit in erster Linie der freie Kapital- und Warenverkehr gemeint ist. Die Geschäfte sollen unbedingt weiterlaufen, komme, was da wolle. Ob sie damit dem Einzelhandel einen Gefallen tun, ist noch nicht ausgemacht. Es gibt Händler, die sich von der neuen Regierungsgewalt instrumentalisiert sehen, indem sie ihre Läden nur für Kunden mit 2G offenhalten dürfen. Shoppen unter solchen Beschränkungen könnte sich am Ende in schmerzlichen Umsatzeinbrüchen niederschlagen.

Bisher ist auch nicht klar zu bewerten, ob diese Regelungen schon infektionshemmend wirken. Die Zahlen stagnieren zurzeit auf hohem Level.

Spaltung der Gesellschaft nimmt zu

So nachvollziehbar die genannten Ziele sind, bringen diese qualifizierenden Bestimmungen eine Nebenwirkung mit, die zwar nicht gewollt ist, aber trotzdem erodierend wirkt. Es geht um den fortschreitenden Prozess der Spaltung der Gesellschaft. Corona mit allen seinen viralen Wirkungen und sozialen Kollateralschäden trifft eben nicht alle gleich, sondern plötzlich ergibt sich sozusagen ein Dreiklassensystem. Ganz oben die privilegierten Geboosterten, die in Niedersachsen von allen Beschränkungen befreit sind, dann die Geimpften und Genesenen, die nun darauf aus sind, so rasch wie möglich zu den Geboosterten aufzusteigen, und ganz unten die Ungeimpften, durch die Maßnahmen de facto zu Bürgern*innen zweiter Klasse geschrumpft. Das kann nicht ohne Folgen bleiben und rückt die Stimmung weiter ins Aggressive. Begleitet wird das Ganze durch massive Pressekampagnen. Weiterhin wird landläufig das Bild von der Pandemie der Ungeimpften gemalt, obwohl wir es längst besser wissen müssten. Denn alle anderen tragen in weit größerem Maß zur Ausbreitung des Virus bei, als von offizieller Seite offengelegt wird. Die Wahrheit über die Wirksamkeit der gängigen Vakzine besteht schlicht darin, dass sich Impfschutz nach vier bis fünf Monaten bei sehr vielen verflüchtigt.

Deshalb auch 2Gplus, weil man mittlerweile weiß, dass Geimpfte und Genesene nach vier Monaten sowohl andere anstecken als auch schwer erkranken können. Aktuellstes prominentes Beispiel ist die Infektion der niederländischen Prinzessin Beatrix, die laut Pressemitteilung der Krone infiziert ist, obwohl sie bereits eine dritte Impfung empfangen habe.

So betrachtet ist es durchaus okay, sich schon nach fünf Monaten boostern zu lassen. Die von der STIKO empfohlenen sechs Monate sind eine theoretische Größe, die vor allem dazu dienen soll, den Ansturm auf die überlasteten Impfstellen abzubremsen.

Einsichten wie diese klar und transparent zu vermitteln, wäre eine Aufgabe seriöser Politik. Im kommunikativen Umgang mit der Bevölkerung gibt es noch viel zu verbessern. Bislang liegt da einiges im Argen und man muss sich nicht wundern, wenn bei Teilen der Gesellschaft der Eindruck entsteht, dass nicht alles, was die Pandemie betrifft, öffentlich weitergegeben wird.  Ein Anstoß, der nicht in der akuten Lage, aber in Zukunft helfen könnte, ist die Forderung nach einer Impfpflicht. Das ist jedoch ein komplexes Verfahren, das nicht ohne Kontroversen ablaufen wird. Ergebnis offen.

Kein Plan erkennbar

Alles bisher Angesprochene können Bausteine eines Plans sein, aber ein Gesamtkonzept zur Pandemiebekämpfung ist aus dieser Ampelschaltung nicht zu erkennen. Dabei hat es die Regierung im Wartestand schon leichter als die abgewählte, denn sie kann auf erste Erkenntnisse und Erfahrungen der vergangenen 21 Monate zurückgreifen. Es wird Zeit, die Möglichkeiten zu nutzen, um sich nicht wieder auf kurzfristig aus dem Boden gestampfte Wellenbrecher zu verlassen. Dazu müsste eine langfristige Strategie der Virusbekämpfung nachhaltige Antworten auf die zwei dringendsten Fragen der nächsten Zukunft konstruieren:

Was ist nach dem Boostern? Wie soll es 2022 weitergehen?

Dabei ist es vonnöten, auch schmerzhafte Eingeständnisse zuzulassen und einer konsequent realistischen Einschätzung Vorrang zu geben. Hoffen und wünschen, das müssten wir gelernt haben, hilft nicht weiter. Folgende Punkte müssten notwendige Fixpunkte eines nachhaltigen Gesamtkonzepts sein:

  1. Die Einsicht, dass Corona auch 2022 nicht vorbei sein wird, man also weder einen Freedom Day anvisieren kann noch eine Endlich-wieder-Sehnsucht wecken sollte. Dazu ist es auch im kommenden Jahr zu früh!
  2. Nach dem Boostern ist vor dem Boostern. D. h., für das nächste Jahr sind weiter Auffrischimpfungen einzuplanen, auf der Grundlage einer soliden Einschätzung der Wirkungshaltbarkeit der Vakzine. Diese sollten am besten in die Monate April/Mai und September/Oktober terminiert werden. So könnte man den Wellenrhythmus der Infektion unterbinden.
  3. Eine solche langfristig ausgelegte Booster-Kampagne müsste der Bevölkerung klar vermittelt werden und logistisch so vorbereitet, dass es keine Engpässe, welcher Art auch immer, mehr gibt. Z. B. genügend Impfzentren vorhalten.
  4. Parallel dazu eine sinnvolle und transparent evaluierte staatliche Förderung der Entwicklung verbesserter Impfstoffe.

Ergo: Impfen und Boostern bleibt das wichtigste Instrument im Kampf gegen Corona.

Diesen vorgezeichneten Weg langfristig zu planen und mit dem Ziel einer nachhaltigen Eindämmung der Infektionsdynamik konsequent durchzuziehen – dafür könnte tatsächlich ein militärisch geschulter Stratege der richtige Mann sein.

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