Donnerstag, 28. März 2024

Ralph Gehrke: Restrisiko oder wie sicher ist der 2G-Modus?

Mal ehrlich – wer hat nicht die Nase voll vom ewigen Corona? Dauernd diese Maske und erst der Stress, falls man die mal vergessen hat. Kein Vergnügen, bei dem man nicht Luca oder CovPass im Stand by haben muss.

DAS NERVT!

Wobei man mitunter „positiv“ überrascht werden kann: Kontrolle? Nicht nötig, ein dezenter Hinweis auf einen QR-Code zur freien Verfügung und schon ist alles so locker, wie´s mal war, vor Corona. Sowieso sei man fein raus, wenn man sich zweimal piksen lassen hat, wird uns medial weißgemacht. 2G heißt die Zauberformel, das Sesam-öffne-dich für all die Feiern und Events, die wir so sehr vermisst haben.

Endlich wieder!

Na dann, kann´s ja losgehen mit dem richtigen Leben, nach dem Motto „Endlich wieder!“
So wie beim Schlagerboom der ARD am 23.10., wo rund 9.000 Mitmacher*innen in den Party-Modus geschaltet hatten und sich Fans – natürlich ohne Maske – singend und schunkelnd in den Armen lagen. Um Irritationen vorzubeugen lief hin und wieder der Hinweis über die Bildschirme, dass alle Beteiligten nach den Maßgaben des Landes NRW gecheckt seien: Gemeint war die 2G-Regel, bei der dann alles erlaubt ist. Gewundert haben sich trotzdem nicht wenige, wie man an Reaktionen in den sozialen Medien ablesen konnte.
Florian Silbereisen fand´s wunderbar und so, wie der ausgeschaut hat, nimmt man ihm sofort ab, dass er wirklich glaubt, mit zwei Stichen im Arm sei alles möglich.
Und warum auch nicht? Der Profifußball macht´s doch genauso. Das vergangene Wochenende war das zweite, an dem wieder die vollen Kapazitäten der Stadien ausgeschöpft werden durften. 2G macht´s möglich. Die Fans, besonders die auf den Rängen hinter den Toren, sind schier aus dem Häuschen, hüpfen, was die Füße hergeben, und haben sich lieb unter der Bierdusche wie ehedem. Einige Clubs meldeten bereits „ausverkauft“!
Corona-Spaßbremsen kriegen da die rote Karte. Wie lange das gutgeht, sagt uns jedoch kein Schiedsrichter.
Besonders hoch geht´s schon länger im Laschet-Land her. Wie z. B. in Münster: 380 2G-Gäste trafen sich im September zum Club-Tanz durch die Nacht. Am Ende hatten sich mehr als 80 infiziert. Sowas gilt in NRW als nicht weiter bedenklich, haben doch alle nur leichte Symptome …
Da wollten die Kivelinge in Lingen nicht nachstehen und ließen es an der Wilhelmshöhe nach Bürgerschützenmanier mit 700 Leuten krachen. Danach sind 20 davon positiv auf Corona getestet worden, trotz 2G. Kein Grund zur Sorge, nur leichte Symptome.
Besonders die CDU scheint diese Art, das Infektionsgeschehen kleinzureden, anzuspornen, sich als Hüterin der Freiheitsrechte ins Licht zur rücken. So will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die epidemische Lage – also den Corona-Ausnahmezustand – zum 25. November beenden. Böse wäre es, ihm eine populistische Absicht zu unterstellen, weil er damit auf Wohlwollen bei einer Mehrheit der Bundesbürger*innen hofft. Begründet wird der Vorstoß mit der Impfsituation im ganzen Land. Flugs springt ihm der Parteikolleg Hans im Saarland zur Seite und begrüßt den Vorschlag überschwänglich. Ab dem 29. Oktober dürfen sich Menschen im Saarland wieder ohne Maske und Abstand im Freien treffen und ohne Impfung und Corona-Test ins Stadion gehen. Lediglich in Innenräumen gilt die 3-G-Regel.
Man müsse mehr auf Eigenverantwortung setzen und angesprochen auf die Risiken wendet er sich nur gegen ungeimpfte Erwachsen. Die hätten selbst schuld, wenn sie sich infizieren. Was wiederum darauf schließen lässt, dass für ihn das Problem Corona mit 2G erledigt scheint.
Kein Wunder also, wenn die Mehrheit der Geimpften und Genesenen sich die Perspektive, die in der Tat erfreulich klingt, zu eigen macht und immer mehr ins Risiko drängt, dass ja keins mehr sein sollte. Corona könne nur noch zum Schrecken für die werden, die sich noch nicht haben piksen lassen. Das medial an die Wand gemalte Szenario von der „Pandemie der Ungeimpften“ gibt solchen Hoffnungen weiter Auftrieb.

Impfdurchbrüche nehmen zu

Aber stimmt das wirklich? Müssen nur noch die störrischen Ungeimpften das Virus fürchten? Keinesfalls und das Phänomen ist seit Langem bekannt unter der Bezeichnung Impfdurchbruch, d.h. eine Infektion trotz zweimaliger Impfung. Laut RKI ist das in Deutschland schon in über 95.000 Fällen eingetreten, fand aber in der Öffentlichkeit bis dato kaum Beachtung. Wegen Leichtsymptomatik und so. Langsam scheint es jedoch einigen ein bisschen mulmig zu werden, weil die Fälle nicht nur weiter zunehmen, sondern auch gefährlicher verlaufen.
Aber wie das so ist mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, es musste einen Prominenten erwischen, damit die Sache ernster genommen wird. Seit dem vergangenen Champions-League- Spieltag wissen wir, dass Julian Nagelsmann vom FC Bayern München an Corona erkrankt ist, trotz korrekter Impfeinträge. Nagelsmann wäre nicht der, zu dem er es gebracht hat, wenn er die Sache als gravierend darstellen würde und so präsentiert er sich als Musterpatient mit Leichtsymptomatik.
Das hat Patricia Kelly, die von der Sänger-Familie, ganz anders erlebt, obwohl sie im wahrsten Wortsinn 2G ist mit sowohl überstandener Infektion als auch doppelter Impfung.
Damit hätte sie nach den Einschätzungen der Experten *innen als absolut sicher gelten müssen. Das Gegenteil trat ein: Sie infizierte sich so vehement, dass ihre Ärzte phasenweise mit dem schlimmsten rechnen mussten. Mittlerweile ist sie aus dem Gröbsten raus, muss aufgrund ihres Zustandes jedoch ihre Tournee absagen. Noch ernster stellte sich die Infektionslage beim Schlagersänger Tony Marshall dar, der sich ebenfalls trotz kompletter Impfung infiziert hatte. Intensivstation und künstliche Beatmung retteten ihm das Leben.
Für Edmund Stoiber, den es vorgestern ebenso erwischt hat, kann man nur hoffen, dass der Verlauf bei ihm glimpflicher bleibt. Dass es auch Jüngere treffen kann, zeigt die auf RP-online veröffentlichte Geschichte einer zweimal geimpften Studentin. Zwar nicht so dramatisch im Verlauf, aber im Hinblick auf die Durchbruch-Infektion gleich. Bedauerliche Einzelfälle würde das ein Tobias Hans nennen, der im Übrigen in der Kohorte der über Sechzigjährigen eine Herdenimmunität festgestellt haben will. Soll heißen: Denen kann nichts mehr passieren.
Die Statistiken des RKI sehen das nicht so. Daraus geht hervor, dass – wen sollte es wundern? – insbesondere diese Gruppe von Impfdurchbrüchen betroffen ist und infolge auch ernsthaft erkranken und auch sterben kann. Diese Dynamisierung des Infektionsgeschehen jenseits der Ungeimpften wirft Fragen auf, die allerdings nur vage zu beantworten sind.

Wie sicher ist mein Impfschutz wirklich?

Das kann niemand seriös beantworten. Die Prozentrechnerei der Impfstoffhersteller diente wahrscheinlich eher der Promotion und kann tatsächlich wenig Verlässliches garantieren. Immerhin haben die Verantwortlichen von Biontech mittlerweile eingeräumt, dass ihr Vakzin in Bezug auf die Delta-Variante auf 80 % Prozent Wirksamkeit heruntergestuft werden müsse. Welche Validität dieser Wert aufweist, werden wir vielleicht später erfahren.
Dementsprechend kann man sich die Zahlen für andere Marken runterrechnen. Johnson&Johnson wird von der Stiko hinsichtlich des Impfschutzes sogar als ungenügend eingestuft. Die in der Druckphase der Impfkampagne zu diesem Stoff gedrängt wurden, sollten sich schleunigst um eine weitere Impfung mit Moderna oder Biontech kümmern, empfiehlt die Kommission heute. Das führt direkt zur nächsten Frage:

Wie lange bin ich durch meine zwei Spritzen geschützt?

Auch das ist nicht sicher einzuschätzen. Die zuständigen Experten gingen bisher von mindestens sechs Monaten aus. Die Impfdurchbrüche könnten aber darauf hinweisen, dass sich die Immunisierung je nach individueller Konstitution schneller abbaut als angenommen. Ähnlich, so lässt sich vermuten, könnte es sich auch bei Genesenen verhalten. Kryptisch muss einem da vorkommen, wenn man in seinen Impfunterlagen liest, dass die Gültigkeit auf ein Jahr ausgelegt ist. Wie passt das zusammen? Offiziell noch immun, aber tatsächlich schon wieder anfällig für eine Infektion? Damit kommen wir zu einer weiteren Frage, die uns auf den Nägeln brennen muss:

Wann kommt die Booster Impfung?

Ebenfalls ungewiss. Zwar gibt es in einigen Bundesländern schon mobile Impfeinsätzen für die über Achtzigjährigen, aber ansonsten scheint noch niemand etwas in diese Richtung zu planen. Da müssen wir uns gedulden, bis sich die neue Bundesregierung konstituiert hat. Vorher fasst das Eisen keiner an. Und so tickt die Halbwertzeit unseres Impfschutzes weiter runter, während in Berlin über Klimaneutralität, Mindestlöhne, Haushaltspolitik, E-Mobilität und Rentenniveau verhandelt wird.
Dabei kann man, bei all dem, was wir insgesamt nicht über die Corona wissen, davon ausgehen, dass es ohne Drittimpfung kaum gehen wird. Deshalb hat Noch-Minister Spahn auch dazu aufgerufen. Man kann gespannt sein, wie das ablaufen soll, da die Impfzentren jetzt dicht sind. Schlange stehen für den Impf-Bus oder wie? Hausärzte haben jedenfalls noch anderes zu tun, als jedes halbe Jahr die Bevölkerung durchzuimpfen.

Und was macht eigentlich das Virus?

Noch im Sommer mussten wir lernen, wie viele Varianten sich bereits gebildet haben und wie gefährlich sie im Einzelnen seien. Und momentan? Keine Varianten mehr? Hat das Virus in den Ruhemodus geschaltet?
Kaum vorstellbar, da es doch weltweit unterwegs ist. Vielleicht ist eher so, dass das volkswirtschaftliche Interesse der Verbreitung solch sensibler Daten jetzt entschlossener entgegensteht. Soweit zur Coronalage sowie dem gesicherten Wissen darüber …

Wie kommen wir gesund durch Herbst und Winter?

Man kann davon ausgehen, dass auch die neue Koalition Eigenverantwortung und Wahrung der Freiheitsrechte vor Gesundheitsschutz stellen wird. Darauf werden schon die Freien Demokraten pochen. Jede Partei wird sich hüten, in diesem Punkt gegen eine mehrheitliche Volksmeinung zu agieren. Und die scheint auf Spaß ohne Bremse gepolt zu sein. Keine Woche vergeht, in der nicht irgendeine Stadt, ein Unternehmen oder ein Verein den „Neustart nach Corona“ ausruft. Was ja wohl im Umkehrschluss heißen soll: Die Pandemie ist vorbei!
Dazu passt die wiedererwachende Aktivität auf den Festplätzen: Kirmes, Schützenfest und bald kommen die Weihnachtsmärkte. Mit offiziell abgesegneten Hygieneplänen auf Basis von 2G, versteht sich. Wie sich das am Ende real gestaltet, werden wir erfahren, wenn wir da sind, und an welcher Bude das Virus mitgezecht hat, eine Woche später. Trotzdem: Keine Partei wird uns zum Fest noch einmal vorschreiben, mit wie vielen Menschen wir feiern dürfen.

Und was bedeutet das für uns und unsere gesundheitliche Unversehrtheit?

Wir alle werden nicht drum herumkommen, tatsächlich mehr auf Eigenverantwortung zu setzen und weniger auf die Einhaltung von klaren Regeln, denn davon wird es kaum noch welche geben. Jeder steht in Zukunft mehr denn je vor der Entscheidung, ob und wie er sich schützt. Da muss man es auch mal aushalten, wenn man wegen seiner Maske schräg angeschaut wird. Die Situationen werden kommen. Das Risiko rückt näher, da schützt bald keine Verordnung mehr.

Etwas paradox gewendet könnte man auch sagen: Es kommt auf dich selbst an, ob Corona vorbei ist.

Oder schlicht: No risk no fun!

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