Sie kommt, sie kommt nicht . . . Sie kommt, sie . . .

Gegensätzliches zum Thema Impfpflicht

Österreich hat sie – seit dem 20. Januar – die Bundesregierung will sie: die allgemeine Impfpflicht für Erwachsene.

Schon vor seiner Amtseinführung hat Kanzler Scholz klargestellt, dass unter seiner Führung eine der ersten großen Gesetzes-Initiativen die für eine Impfpflicht sein werde. Bei seinem ersten Auftritt in der Fragestunde des Bundestags am 12. Januar hat er seinen Willen bekräftigt und auf rasche Einführung gedrängt. Die Entscheidung dafür sei „keine Entscheidung, die man nur für sich alleine trifft, und deshalb ist die Impfpflicht auch richtig“, sagte Scholz. Die Impfung trage dazu bei, weitere Ansteckungen mit dem gefährlichen Virus zu begrenzen – und somit „80 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger“ zu schützen.

Aufs Tempo bei der Einführung drückt auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der es bei der Bekämpfung der Pandemie für unbedingt notwendig erachtet, dass eine Corona-Impfpflicht nach einer entsprechenden Entscheidung des Bundestages rasch in Kraft tritt. Das müsse schnell geschehen, sagte der SPD-Politiker am 18. Januar in einem Interview.

Erste Schritte in diese Richtung wurden schon am 10. Dez. 2021 von Bundestag und Bundesrat auf den Gesetzes-Weg gebracht. Danach gilt für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ab 16. März eine gesetzliche Impfpflicht gegen COVID-19. Durchführung und Kontrolle orientieren sich an dem Masernschutzgesetz vom 1. März 2020, das für Arbeitnehmer*innen in Kindergärten, Schulen oder Altenheimen ebenso gilt wie für Kinder und Schüler.

Tendenziell kann sich die Bundesregierung bei diesen Richtungsentscheidungen auf eine hohe Akzeptanz unter der Bevölkerung berufen. Laut Politbarometer begrüßen 71 Prozent der Deutschen die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht für Erwachsene. Befürwortet wird dies bei den Anhängerschaften aller Parteien mit Ausnahme der AfD.

Nicht vollends eindeutig äußert sich ein Gremium, das zunehmend einen gewichtigen Einfluss auf den Umgang mit der Pandemie gewonnen hat: der Deutsche Ethikrat. Der hatte sich im Dezember 2021 zwar für eine allgemeinen Impfpflicht ausgesprochen, aber eben nicht einstimmig.

Vor Kurzem hat die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx das Votum gegenüber dem Spiegel relativiert. Sie sagte, es hänge die Haltung zur möglichen Einführung einer allgemeinen Impfpflicht auch davon ab, welche Coronavariante gerade das Infektionsgeschehen dominiert.

Wenn sich die Faktenlage in der Pandemie – eventuell durch die Omikron-Variante – deutlich verändere, müsse man „normative Einschätzungen, wie man sie getroffen hat, noch ein­mal neu anschauen“, betonte sie. „Alles andere wäre unverantwortlich.“

Durchaus gepalten ist die Haltung der Ärzteschaft. Während Frank Ulrich Montgomery sich in seiner Funktion als Vorsitzender des Weltärztebundes und als prominenter Sprecher der Bundesärztekammer klar für eine Impfpflicht ausspricht und befürchtet, dass das Thema im Bundestag zerredet werden könne, stellt sich Kassenarzt-Chef Andreas Gassen gegen die Umsetzung der geplanten allgemeinen Impfpflicht. Er steht immerhin stellvertretend für 100.000 niedergelassene Mediziner*innen. Im Gespräch mit der Bild-Zeitung sagte Gassen u. a., dass Arztpraxen kein Ort seien, „um staatliche Maßnahmen durchzusetzen“. Seine Einwände greifen somit jene Vorbehalte auf, die sich grundsätzlich fragen, wie eine gesetzlich verordnete medizinische Maßnahme kontrolliert erzwungen werden soll.

 

Initiative soll aus dem Bundestag kommen

Weil das Thema aus verschiedenen Gründen als heikel und sensibel erscheint hat die Bundesregierung bei diesem Gesetzesvorhaben auf ihr Vorschlagsrecht verzichtet und die Initiative voll umfänglich den Abgeordneten des Bundestages überlassen. Abgestimmt werden soll allein auf Grundlage individueller Beweggründe (Gewissensentscheidung), ein Fraktionszwang ist aufgehoben.

Mitte der Woche haben Abgeordnete der Koalitionsfraktionen von SPD, FDP und Grünen begonnen, einen ersten Gesetzentwurf für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht vorzubereiten. Die Gruppe spricht sich für eine Pflicht ab 18 Jahren aus, sie will nach der für nächsten Mittwoch geplanten Orientierungsdebatte im Parlament an einem Antrag dazu erarbeiten, heißt es in einem am Freitag bekannt gewordenen Schreiben. „Unsere Motivation liegt vor allem darin, langfristig mit Blick auf die kommende Herbst- und Winter-Saison vorbereitet zu sein und eine Überlastung des Gesundheitssystems auch in zukünftigen Infektionswellen zu verhindern“, steht dort als erste Begründung.

Von Beobachtern der parlamentarischen Arbeit wird erwartet, dass es abweichende Entwürfe geben wir, die eine Altersabhängigkeit, etwa ab 50, vorsehen.

Als sicher gilt ebenso ein Gegenantrag der Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der sich bekanntermaßen gegen eine Impfpflicht ausspricht. Er befürwortet einerseits wohl das Immunisieren durch Vakzine, meint aber, man müsse „akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen“.

Seine Argumentation bezieht sich auf die Rolle der Virusvariante Omikron.

Damit steht er im Einklang mit dem Augsburger Verfassungs- und Medizin-Rechtsexperten Josef Lindner. Der äußert genauso Zweifel, ob eine Impfpflicht für alle verfassungsgemäß wäre. „Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 ist verfassungsrechtlich wesentlich schwerer zu begründen als eine Impfpflicht ab 60 oder wie in Italien ab 50“, sagte er. Wenn sich Corona zu einem „gesteigerten Erkältungsvirus entwickeln sollte, wäre eine allgemeine Impfpflicht nicht mehr gerechtfertigt. Bei Omikron stellt sich die Frage, ob es noch das Maß an Gefährlichkeit hat, das eine Impfpflicht rechtfertigt.“

 

Vorbehalte aus immunbiologischer Perspektive

Auf diese Position berufen sich auch Stimmen von Medizinern, die dem Pflichtmodell der Regierung kritisch gegenüberstehen. Wie der Epidemiologe Alexander Kekulé aus Halle-Wittenberg. Der war schon bei der Delta-Variante gegen die allgemeine Impfpflicht, weil er sie epidemiologisch für nicht erforderlich hält. Bei Omikron sei sie noch viel weniger angemessen, sagte er in einem Podcast des „Kölner Stadt-Anzeigers“ und dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Eine Pflicht zur Impfung helfe nach Ansicht Kekulés nicht: „Ich verstehe nicht, warum man Impfstoffe, die für die ursprüngliche Wuhan-Variante gemacht wurden, verpflichtend machen will für eine künftige Variante, von der man die Eigenschaften gar nicht kennt.“

Wenn der Impfstoff gegen Omikron ausgeliefert werde, sei die Omikron-Welle vorbei. Er gehe davon aus, dass die Herbst-Welle eher noch leichter verlaufen werde. „Dann sind wir mit der Pandemie im Sinne von sozialen und wirtschaftlichen Disruptionen durch. Dann wird es eine weitere Infektionskrankheit sein.“

Eine ähnliche Auffassung vertritt sein Kollege Klaus Stöhr, langjährig tätig für die WHO, u. a. als SARS-Forschungskoordinator.

Eine Impfpflicht hält auch Stöhr für unnötig – und eine vierte Spritze für jedermann bezeichnet er als „absolut unvernünftig“. Daten aus Israel würden belegen, dass die vierte Impfung keinen großen Unterschied mache. „Man muss sich auch überlegen, wie weit man das Immunsystem noch ausreizen kann. Das ist ja nicht unendlich dehnbar“, erklärte er bei ntv.

Wie die Meinungen im Expertenlager auseinandergehen, belegen weitere gegensätzlichen Einschätzungen. So spricht sich Herbert Pfister, ehemaliger Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln, für eine Impfpflicht aus, während Jürgen Rissland vom Institut für Virologie des Universitätsklinikum des Saarlandes dagegen nur eine Beratungspflicht einführen möchte.

Selbst in dem von Karl Lauterbach einberufenen Expertenrat gibt es Stimmen, die sich kritische gegen den Regierungskurs wenden. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck, bis zum Sommer 2021 noch Berater von Armin Laschet (CDU) plädiert zwar uneingeschränkt fürs Impfen, hält eine gesetzliche Verpflichtung darauf aber für problematisch

„Wir können zum Beispiel gar nicht vorhersagen, welche Varianten noch kommen. Wir können nicht vorhersagen, wie dann die Schutzwirkung und die Schutzdauer sein wird. Wir können nicht sagen, wie lange und wie häufig wir impfen müssen“, zählt Streeck auf.

Corona sei anders als beispielsweise Masern und Pocken. Bei diesen Viruserkrankungen lasse sich die Krankheit durch die Impfpflicht ausrotten, in diesen Fällen würde eine sterile Immunität erzeugt, sodass Krankheitserreger nach erfolgter Immunisierung nicht mehr an Dritte weitergegeben werden können. Diesen Effekt „haben wir gegen das Coronavirus leider nicht“, macht Streeck geltend.

 

Verfassungsrechtliche Bedenken

Anknüpfend an solche Vorbehalte aus immunbiologischer Sicht wachsen die Zweifel hinsichtlich verfassungsrechtlicher Aspekte, vorgebracht vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, und dem früheren Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio. Beide sehen die Einführung einer Impfpflicht kritisch und werfen kniffelige Fragen auf. Für beide steht fest, dass der Bundestag dabei nichts übers Knie brechen dürfe.

Immerhin würde im Falle einer Impfpflicht in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2, Abs. 2, GG) eingegriffen. Ein solcher Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht müsse sorgsam gerechtfertigt werden, damit er rechtens sein kann.

Daher mahnen beide Verfassungsrechtler an, sich hinsichtlich eine solch gravierenden Gesetzesentscheidung mehr Zeit zu lassen. Aber gerade die möchte Karl Lauterbach mit Blick auf die Dynamisierung des Infektionsgeschehen nicht verlieren.

Man sieht, die Diskussionen um die Corona-Impfpflicht nehmen an Fahrt auf und wir können davon ausgehen, dass sie sich noch verschärfen werden, je näher wir dem Zeitpunkt der parlamentarischen Debatte kommen. Die ist auf Mitte Februar terminiert.

 

 

 

 

 

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